Geschrieben am 15. November 2008 von für Crimemag, Porträts / Interviews

Lucie Klassen im Gespräch

Leben und Schreiben in Bad Pyrmont

Lucie Klassen, geboren 1977, Reittherapeutin aus dem Weserbergland, landete mit ihrem Debütkrimi Der 13. Brief direkt einen Coup: einen leichten, luftigen, schnellen und vor allem witzigen Unterhaltungsroman, der zum Besten gehört, was in letzter Zeit an deutschsprachiger Kriminalliteratur veröffentlicht wurde. Nicht von ungefähr wird das Buch mit den großen Gonzo-Romanen des Autorenduos Karr & Wehner verglichen. Lucie Klassen dockt da an, wo die beiden vor einem Jahrzehnt die gemeinsame Arbeit am großen Ruhrpottschnodderschnauzenkrimi zum Leidwesen der Leser beendeten. Allerdings kopiert Lucie Klassen nichts, sondern sie schreibt die Geschichte fort – mit zeitgemäßen, mit eigenen Mitteln. Jetzt endlich also können wir Karr & Wehner in Ruhe lassen: Jungs, das Betteln hat ein Ende, wir erwarten ab sofort keine Fortsetzungen mehr von Euch. Wir haben jetzt Lucie Klassen. Und lassen lieber sie zu Wort kommen… Ein Interview von Ulrich Noller

Ulrich Noller: Ihr Debütkrimi Der 13. Brief ist, so kann man sagen, ein Überraschungserfolg. Oder?
Lucie Klassen: So kann man sagen. Am meisten überrascht darüber bin ich wohl selbst. Ich bin platt.

U.N.: Zufrieden?
L.K.: Mehr als das. Es gibt sogar Leser, die sich die Mühe machen, dem Verlag zu schreiben, wie gut Ihnen das Buch gefallen hat. Am meisten freue ich mich, wenn mir die Leute berichten, dass sie das Buch gar nicht mehr aus der Hand legen konnten, weil sie so gespannt auf das Ende waren. Denn von der Spannung lebt ja ein Krimi.

U.N.: Wie kam es dazu, dass Sie das Buch geschrieben haben?
L.K.: Ich schreibe ja schon, seit ich weiß, wie man einen Stift bedient. Der 13.Brief war ursprünglich nur einer von vielen Ordnern in meinem Regal.

U.N.: Und wie kam es zur Veröffentlichung?
L.K.: Das war so einfach, dass es wohl beinahe unglaubwürdig klingt. Die Geschichte hat mir selbst gut gefallen und schon beim Schreiben viel Spaß gemacht. Beim Stöbern in einer Buchhandlung fiel mir dann durch Zufall ein Buch vom Grafit-Verlag in die Hand, der auch etwas unkonventionellere Krimis im Programm hat. Ich habe also einfach einen Versuch gewagt und das Manuskript eingesandt. Sie haben es prompt genommen. Das war alles.

U.N.: Kennen Sie die Gonzo-Kriminalromane von Karr&Wehner? Wenn ja, wie finden Sie diese?
L.K.: Ehrlich gesagt, habe ich von den Gonzo-Krimis erst gehört, seit Der 13. Brief mit ihnen verglichen wird. Sollte Der 13. Brief also irgendwie an diese Reihe anschließen, ist das reiner Zufall.

U.N.: Warum eigentlich Krimi? Was bietet Ihnen dieses Genre als Erzählform?
L.K.: Ich glaube, der Grund, aus dem Leute Krimis lesen – oder auch schreiben – ist seit hundert Jahren immer der gleiche: Der Leser hat Spaß daran, mit dem Detektiv zusammen auf Verbrecherjagd zu gehen. Und der Autor wohl meistens auch.

U.N.: Was lesen Sie denn gerne für Kriminalromane?
L.K.: Ich lese eigentlich alles, was ich kriegen kann. Krimis von Andrea Maria Schenkels Kalteis bis hin zu den Klassikern wie Agatha Christies Mord im Orient Express (übrigens der allererste Kriminalroman den ich gelesen habe und der meine Krimisucht wohl verursacht hat). Außerdem lese ich aber von der Frauenzeitschrift bis zum Reiseführer auch jedes andere bedruckte Blatt Papier, das mir in die Finger gerät.

U.N.: Wie wichtig ist Ihrer Ansicht nach der Witz für Kriminalromane?
L.K.: Für meine eigenen Geschichten ist der Witz entscheidend. Denn obwohl es in der Natur der Sache liegt, das Krimis ernste, oft grausame Themen behandeln, möchte ich meinen Leser in keine Depression stürzen, sondern auch gute Unterhaltung bieten.

U.N.: Warum Bochum als Handlungsort – und nicht Bad Pyrmont?
L. K.: Das hat sich aus der Anfangsidee zu der Geschichte ergeben. Vor knapp zehn Jahren fuhr ich im Rahmen einer Reitlehrer-Ausbildung häufig durchs Ruhrgebiet und stellte mir dabei die Frage: „Was passiert wohl, wenn hier jemand einfach aussteigt?“ Der 13. Brief ist eine unterhaltsame Antwort auf diese Frage.

U.N.: Ist Krimi für Sie ein Großstadtgenre? Oder eine Form, die auch – und gerade – auf dem Land funktioniert?
L.K.: Das Schöne am Krimi ist, dass er überall funktioniert. Sie können auch ein paar Leute auf Kamele setzen, in die Wüste Gobi reiten lassen und dann einen von ihnen umbringen. Da sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt.

U.N.: Was zeichnet denn einen richtig guten Kriminalroman aus?
L.K.: Da werden die meisten wohl an einen möglichst grausamen, noch nie da gewesenen Mord denken. Allerdings sind die meisten grausamen Morde mittlerweile schon mal da gewesen. Und wer den 13.Brief kennt, ahnt vielleicht auch, dass ich da anderer Meinung sein könnte. Meiner Meinung nach ist ein richtig gutes Ende das Wichtigste. Es muss logisch sein und den Leser trotzdem völlig überraschen. Ich finde ein Buch gut, wenn ich es zuklappe und denke: „Das hätte man nicht besser machen können.“
U.N.: Man weiß im Grunde nicht viel von Ihnen: Sie sind Physiotherapeutin. Sie leben als alleinerziehende Mutter in Bad Pyrmont. Wie lebt es sich denn so in Bad Pyrmont?
L.K.: Auch in Bad Pyrmont ändern sich Dinge. Es ist ja mittlerweile einige Zeit vergangen, seit die Arbeit am 13.Brief beendet wurde. Physiotherapeutin bin ich natürlich immer noch, aber mittlerweile lebe ich mit meinem zukünftigen Ehemann und unseren drei Töchtern aus vorherigen Beziehungen zusammen. Und der nächste Nachwuchs ist auch schon unterwegs.

U.N.: Und wie schreibt es sich in Bad Pyrmont?
L.K.: Wenn Sie die Frage einer Mutter mit einem Vollzeitjob und einem Fünf- (den Umständen nach demnächst voraussichtlich Sechs-) Personen-Haushalt in Bochum stellen würden, würde sie wohl das gleiche antworten: Selten! Nein, jetzt im Ernst: Glücklicherweise unterstützt mein Mann meine merkwürdige Angewohnheit stundenlang vorm PC zu hocken, sodass ich hoffe, auch in Zukunft Zeit für mein Hobby zu finden.

U.N.: Sie sind Ende 20, Ihre Protagonistin Lila Ziegler ist Anfang 20. Wie kommt es, dass Sie ein so, na ja, jugendliches Setting gewählt haben?
L.K.: Lilas Alter ergab sich aus der Aufgabe, an einer Schule zu ermitteln. Da musste der Altersunterschied zwischen ihr und den Mitschülerinnen einigermaßen realistisch sein. Da meine eigene Schulzeit allerdings – wie Sie richtig bemerkt haben – schon eine Weile zurückliegt, gebe ich zu, dass mich Lilas Alter zu einigen Recherchen in diesem Bereich gezwungen hat.

U.N.: Wobei die Generation 40-plus, speziell in männlicher Hinsicht, ja ziemlich verschmitzt ihr Fett weg bekommt. Absicht? Oder Zufall?
L.K.: Tatsächlich ist es wohl eher so, dass jeder in der Geschichte sein Fett weg bekommt – von den schwerstpubertierenden Gymnasiasten bis hin zur karrieregeilen Polizei-Chefin mit dem nicht gerade freundlichen Spitznamen „die Schlampe“. Das liegt zum einen daran, dass in einem Krimi nicht nur nette Figuren auftauchen und zum anderen, dass die Geschichte aus der Sicht einer vorlauten 20-Jährigen erzählt wird, die sich zu allem und jedem ihr ironisches Urteil bildet. Dabei vergessen Leser – meiner bisherigen, kurzen Erfahrung nach allerdings hauptsächlich männliche Leser – gerne, dass diese Sichtweise einer vorlauten 20-Jährigen nicht die Sichtweise der deutlich älteren und keineswegs vorlauten Autorin ist.

U.N.: Und Lila Ziegler? Wie wird es mit ihr und Ihnen weitergehen?
L.K.: Die ersten hundert Seiten von Lilas nächstem Fall sind bereits fertig, sodass ich hoffe, dass ihre Geschichte bald weitergehen kann.

U. N.: Danke!

Das Gespräch führte Ulrich Noller für das Krimi-Jahrbuch 2009

Wir danken dem Krimi-Jahrbuch 2009 für die Chance des Vorabdrucks.

Klassen, Lucie: Der 13. Brief. Roman. Grafit Verlag 2008. 346 Seiten. 9,95 Euro.