Comic Global
„Metro“ von Magdy El-Shafee ist ein Comic, der von Bankraub erzählt, von Mord und Macht und Gier. Crime fiction wie überall auf der Welt. Diesmal aus Ägypten. Das ist ungewöhnlich, bei genauerem Hinsehen aber auch wieder nicht. Großartig ist es auf jeden Fall. Eine dringende Empfehlung von Thomas Wörtche.
Eine Graphic Novel aus Ägypten, die auch bei uns blendend funktioniert, das ist schon eine kleine Sensation. Nicht, dass es der erste ägyptische Comic überhaupt wäre, aber „Metro“ von Magdy El-Shafee, der als Szenarist und Zeichner gleichzeitig agiert, ist universal verständlich, weil er kontextuell genau ist.
„Metro“ erzählt vom ganz normalen Wahnsinn in Kairo, vor dem „arabischen Frühling“, aus einer Zeit, in der endgültig alles prekär geworden ist. Eine Metropole und eine Gesellschaft im Umbruch. „Metro“ ist nicht umsonst ein kriminalliterarischer Comic, denn Gewalt und Verbrechen gehören eher zum Kairoer Alltag als folkloristische Vorstellungen von Bazar und Orient. Der Held ist ein Software-Entwickler, der pleite geht und sich mit gierigen Bankern und verräterischen Mitarbeitern herumschlagen muss. Die alte Staatsmacht hält sich mittels angeheuerter Schlägertrupps an der Macht, eine aufgeklärte, freie Presse versucht sich zu etablieren, die Geschlechterverhältnisse geraten in produktive Bewegung. Aber Korruption und organisiertes Verbrechen, Bauspekulation und Nepotismus, Totalitarismus und Religion verwandeln das Land in einen Käfig – diese Leitmetapher durchzieht den Comic –, aus dem auszubrechen das Handeln der Akteure befeuert. Auch wenn dieser Käfig hochmodern ist – mit „Metro“ ist in der Tat die U-Bahn Kairos gemeint, die Kapitel sind nach einzelnen Stationen benannt, die wiederum für verschiedene gesellschaftliche Milieus stehen, und die dort enden, wo Kairo noch lange weitergeht, aber keine Infrastruktur mehr vorhanden ist.
Bankraub als Option
Bankraub erscheint in diesem Kontext dann als durchaus legitime Option, denn der quasifeudale Totalitarismus der Eliten erscheint zumindest 2008 noch als so bedrohlich, wie er auch heute noch bei aller Gärung zu sein scheint. El-Shafee brachte dieser Umstand einigen Ärger ein, auch unter der neuen (Übergangs-)Regierung ist „Metro“ ein Thema für die Zensur.
El-Shafee erzählt schnell, sein Zeichenstil, seine Panelaufteilung, die Benutzung von Alltagssprache, all das ist auf Tempo angelegt. Er setzt seine Themen um in Action, verfremdet Proportionen und wählt ungewöhnliche Perspektiven, um seine eigene Perspektive von den Vorgaben der offiziellen Sicht der Dinge zu befreien.
Néo-polar
Im Grunde orchestriert er die klassischen Mittel des französischen néo-polar neu: Slang, Gewalt, Politik, mit einem Schuss surrealer Überspitzung auf der Bild-Ebene. Trotzdem und glücklicherweise ist „Metro“ ein sehr spezifisch ägyptischer Comic, weil er die Stimmung, den Zeitgeist, die Konfliktlage einer konkreten Situation künstlerisch be- und verarbeitet. Die populäre Erzählform Graphic (crime) Novel ist in Ägypten in der Tat noch „populär“ in einem etwas direkteren Sinn, weil eine Menge an gesellschaftlicher Kommunikation über dieses noch junge Medium läuft. Dass die Autoritäten daran nervös werden, ist der beste Beweis für die Qualität des Projektes. Noch nervöser sollten sie aber sein, weil „Metro“ so perfekt funktioniert, dass der Comic schon in etliche Sprachen (Englisch, Französisch, Italienisch) übersetzt worden ist und enthusiastisch gefeiert wird.
Ungewöhnlich für uns ist dabei höchstens, dass man „Metro“ richtig herum lesen muss: Und das heißt bei arabischer Literatur von rechts nach links, von hinten nach vorne.
Thomas Wörtche
Magdy El-Shafee: Metro (Metro, 2008). Graphic Novel. Aus dem Arabischen von Iskandar Ahmad Abdalla und Stefan Winkler. Zürich: Edition Moderne 2012. 100 Seiten. 18,00 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Webseite von El-Shafee.