Heute: Oliver Bottini
von Marcus Müntefering
Oliver Bottini, Jahrgang 1965, gehört zu den profiliertesten Krimiautoren Deutschlands, hat bislang neun Romane geschrieben. Neben der Serie um die Polizistin Louise Bonì auch drei Standalones, von denen mich “Ein paar Tage Licht” besonders beeindruckt hat. Es ist eine bittböse Abrechnung mit der deutschen Waffenindustrie, von einer kalten Wut getrieben, aber gleichzeitig voller Empathie. Eine von Bottinis Stärken ist es, sich vor Komplexität nicht zu scheuen. Über “Ein paar Tage Licht” schrieb ich 2014:
Was Oliver Bottini mit diesem Roman gelungen ist: elegant mit einem halben Dutzend Handgranaten zu jonglieren, von denen von Anfang an klar ist, dass sie irgendwann explodieren werden – und keinen Unterschied machen, ob sie die Guten oder die Bösen in Stücke reißen.
Kaum weniger komplex ist Bottinis neuer Roman “Der Tod in den stillen Winkeln des Lebens” (Dumont), auch wenn die Ausgangssituation eine ganz simple ist: Ein Teenager wird ermordet, die Tochter eines deutschen Landwirts, der in Rumänien einen großen Agrarbetrieb führt. Der vermeintliche Täter, ein junger Rumäne, flieht. Ein ausgebrannter Kommissar soll ihn zur Strecke bringen. Was Bottini um diese klassiche Krimikonstellation strickt, weiß zu beeindrucken – eine Vielzahl von Figuren (danke für das Verzeichnis), Handlungsorten, Ideen. Spannend, glaubwürdig und hoch politisch. Mit der globalisierten Agrarindustrie hat Bottini einen Antagonisten gewählt, der am Ende nicht weniger tödlich ist als die Waffenindustrie.
1 Haben Sie je darüber nachgedacht ein Verbrechen zu begehen oder gar schon mal eines begangen?
Begangen noch nicht, den misslungenen Schallplattendiebstahl im Kaufhaus in München mit 14 kann man wohl eher nicht als „Verbrechen“ bezeichnen. Ich hatte außerdem Glück, der Kaufhausdetektiv ließ mich gehen und übergab nur meinen 15-jährigen Cousin der Polizei, den er als Haupttäter sah. In der Fußgängerzone habe ich beschämt zugesehen, wie mein armer Cousin in den Streifenwagen gesetzt und abtransportiert wurde. Da habe ich zum ersten Mal darüber nachgedacht, ein richtiges Verbrechen zu begehen. Ich nahm mir vor, entweder die Plattenabteilung oder gleich das ganze Kaufhaus niederzubrennen oder aber mindestens den Detektiv, die beiden Polizeibeamten oder Franz Josef Strauß zu ohrfeigen. Ich bin dann erst mal gegenüber zu McDonald’s und habe einen Beruhigungs-Cheeseburger in mich gestopft. Das hat geholfen und mich vor dem Gefängnis bewahrt. Übrigens war ich öfter in der Versuchung, Franz Josef Strauß zu ohrfeigen. Ich bin dann aber nur auf Demos gegen ihn gegangen, das war auch befriedigend. Ich war überhaupt viel auf Demos und bei McDonald’s damals. Entsprechend ruhig und zufrieden war ich. Später wollte ich eine kurze Weile lang Banken überfallen, um mir alles kaufen zu können, was ich nicht brauchte. Noch später wollte ich ein Held werden, und Helden begehen keine Verbrechen. Im Grunde will ich immer noch ein Held werden, deswegen schreibe ich nur über Verbrechen und begehe sie nicht. P.S.: Mein Cousin war und ist von vielen mein Lieblingscousin.
2 Wer ist der schlimmste Schurke (oder der beste Bösewicht) der Literaturgeschichte?
Was er getan hat – und seine Motive –, fand ich schon mit 14 entsetzlich (nach dem misslungenen Plattendiebstahl). Vielleicht weil er anfangs heldenhaft wirkte.
3 Erinnern Sie sich an Ihren ersten literarischen Mord?
Nur an den ersten publizierten: 2004, Mord im Zeichen des Zen, der junge Liebauer Polizist Niksch. Auf Seite 108 findet Louise ihn erschossen im Wald. Ich war sehr traurig, aber was hilft’s.
4 Die Beatles-oder-Stones-Frage: Chandler oder Hammett?
Waren beide früh für mich relevant, dann nicht mehr. Ich tendierte eher zu Chandler, wegen Philip Marlowe. Seit den Filmen verwechsele ich Chandler und Hammett miteinander, wegen Humphrey Bogart.
5 Haben Sie schon mal einen Toten gesehen? Wenn ja, wie hat dies Ihr Leben verändert?
Nicht außerhalb von Kirchen bei Beerdigungen. Und ehrlich gesagt fürchte ich mich vor dem ersten „echten“ Mal. In Freiburg haben mir Polizisten mal Fotos von einer Ermordeten gezeigt. Das war schlimm genug.
6 Wurden Sie jemals Zeuge eines Verbrechens?
Auch hier kann ich „nur“ mit einem Diebstahl dienen. Vor ein paar Jahren in Berlin-Wilmersdorf. Ein Mann hat auf einem Straßenfest Geld gestohlen und rannte mir fast ins Fahrrad. Ich bin auf der anderen Straßenseite unauffällig hinterher und habe ihn in einem Lokal verschwinden sehen. Das habe ich anschließend zu Protokoll gegeben. Wie gesagt: Ich wollte und will ein Held werden.
7 Gibt es irgendjemanden auf der Welt, dem Sie den Tod wünschen?
Das habe ich mir vor Jahren abgewöhnt. Es ist nicht demokratisch. Ich bin sehr für Demokratie und dafür auch bereit, düstere steinzeitliche Triebe zu sublimieren. Zum Beispiel indem ich schreibe, „Grr“ sage, heirate oder das Kind in die Kita bringe.
8 Welche Jobs hatten Sie, bevor Sie vom Schreiben leben konnten?
Alle bis auf den einzigen, der wirklich zählt. Zeitungsausträger, Telefonauskunftsmitarbeiter, Fotolaborist, Aprikosenpflücker, Gemäldeverkäufer, Mädcheninternatshausmeister, Pensionsrezeptionist, Lesereisenverkäufer bei einem Reiseveranstalter, am Ende freiberuflicher Buchlektor. Ein gescheitertes Berufsleben also, was mich gelegentlich grämt. Mein schon erwähnter Lieblingscousin sagte (nachdem man ihn wieder in die Freiheit entlassen hatte) völlig zu recht, er finde, jeder Mensch müsse einmal in seinem Leben Taxifahrer gewesen sein.
9 Wären Sie nicht Schriftsteller – was würden Sie stattdessen tun (wollen)?
Ich wäre dann a) gern Regisseur bzw. Drehbuchautor von Filmen, bei denen die Zuschauer heulen, weil alles so traurig wirkt und sie das Licht der Hoffnung in der Düsternis vor Tränen nicht sehen. Oder b) Saxophonist bzw. Pianist in einer sehr, sehr coolen, sehr, sehr melancholisch spielenden Jazz-Band, am liebsten vielleicht Stanley Turrentine, während er und Freddie Hubbard „Spirits up Above“ spielen. C) Fußballer wäre auch okay. Ich würde den Libero zurückerfinden, um weniger rennen zu müssen.
10 Hören Sie beim Schreiben Musik? Und falls ja: welche?
Auf gar keinen Fall. Ich würde dann die Stimmung der Musik in den Roman hineinschreiben, und da hat sie nichts verloren. Da ist nur Raum für die Stimmung des Romans. Okay, viel früher habe ich beim Schreiben tatsächlich Musik gehört. Als Jugendlicher die Allman-Brothers, als ich Jack Kerouac imitiert habe. Und Vivaldis „Vier Jahreszeiten“, als ich Gabriel García Márquez imitiert habe. Kein Wunder, dass nichts draus wurde, was hat Vivaldi mit Márquez zu tun? Ich wusste das damals nicht, diese Erkenntnis kam erst später: Vivaldi hat nun mal nichts mit Márquez zu tun. Also höre ich keine Musik mehr.
11 Schreiben Sie lieber tagsüber oder nachts? Zu Hause am Schreibtisch oder wo immer Sie gerade sind?
Ich brauche Struktur, ich bin ein Strukturjunkie, gebt mir Struktur!! Nur dann funktioniere ich. Also arbeite ich so von 9.30 bis 13.00 und so von 15.30 bis 18.30 Uhr. Unterwegs von mir aus auch in Cafés oder Zügen, da lasse ich mich quasi gehen. Nachts schreibe ich nicht mehr, das war einmal, viele Jahre lang. Ich habe damit aufgehört, weil ich morgens so oft unausgeschlafen war und um 9.30 Uhr nicht arbeiten, sondern schlafen wollte. Nein, nachts schlafe ich, das erscheint mir auch in finanzieller Hinsicht sinnvoller. Man braucht zum Schlafen kein Licht.
12 Was machen Sie, wenn Sie mal nichts Vernünftiges zu Papier bringen?
Dann bringe ich Unvernünftiges zu Papier. Oder verzweifle gleich. Stelle alles in Frage. Scheißidee. Scheißbuch. Scheißautor. Und wie beschissen der Kaffee heute schmeckt. Sie sehen, das bringt nicht viel. Deshalb vermeide ich Phasen lieber, in denen ich nichts Vernünftiges zu Papier bringe.
13 Was passiert nach dem Tod? Und was sollte nach dem Tod passieren?
Ich würde eigentlich ehrlich gesagt lieber nicht sterben.
14 Verbrechen und Bestrafung: Was halten Sie vom Prinzip Auge-um-Auge/von der Todesstrafe?
Wir sollten uns nicht mit Mördern gemein machen – die Todesstrafe hat in einer Demokratie nichts zu suchen.
15 Ihr Kommentar zu dem Bert-Brecht-Zitat „Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank“…
Bei beidem schrillen die Alarmglocken.
16 Was soll auf Ihrem Grabstein stehen?
Er wollte eigentlich ehrlich gesagt lieber nicht sterben.
Zum Buch: Oliver Bottini. Der Tod in den stillen Winkeln des Lebens. DuMont, Köln 2017. 414 Seiten, 22 Euro.
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