Geschrieben am 1. April 2019 von für Crimemag, CrimeMag April 2019

Markus Pohlmeyer über „Alita: Battle Angel“

Alita: Battle Angel (2019) oder Das Herz in der Maschine

Frei nach Homer, auf ihr Musen, fangen wir irgendwo an! Es war einmal … Um mich von dem üblichen bürokratischen (sinn-, poesie- und lebenszeitvernichtenden) Wahnsinn an einem Donnerstag im Februar zu erholen, dachte ich mir: Mensch, geh doch wieder einmal ins Kino. Denn das Kino sei im Aussterben begriffen, tu was dagegen. (Hunderte von Millionen Dollar schwere Blockbuster, oft Science Fiction, kommen an die Qualität vieler Serien mittlerweile nicht einmal ansatzweise mehr heran.) Und die Erwartungen waren entsprechend hoch, denn: Und dann geht es an der Kasse los. Aufschlag wegen Überlänge; Aufschlag wegen 3D. Und Sie haben keine 3D-Brille? Aufschlag. Und Loge? Hastenocheneuro? Und erst am Wochenende! Meine Bank wird langsam nervös.

„Und“ – so eine Studentin – „wenn du noch Popcorn willst, musst du einen Kredit aufnehmen.“ Okay, es war ein Donnerstag, keine Loge, kein 3D-Film, meine Bank wieder ruhig, und Popcorn mag ich nicht, dafür dann in der Reihe hinter mir Chips im Stereo-Knirschen. (Oh wie bewundere ich Beethovens berauschende Streichquartette.) Die Trailer waren fürchterlich, ästhetische Gruselshow, sollte irgendwie geil rüberkommen. Werbung für Computergames: vorzugsweise Gewaltorgien in postapokalyptischen Settings oder die Anpreisung der gefühlt zehnmillionsten Heldenverfilmung, in der eine Stimme düster verkünden muss, die Welt stehe am Abgrund. Warum so viele Waffen, warum so viele Heldinnen und Helden? Natürlich, um erst einmal richtig Geld zu machen, selbstverständlich, weil die Welt am Abgrund steht, offenkundig, schauen wir nur in die Nachrichten. Oder? (Bestimmte Politikerkasten scheinen eher die Vollstrecker als die Verhinderer der Apokalypse zu sein: Neonationalismus, Neodiktaturen, Neofundamentalismus, Neoliberalismus … ganze Gesellschaften zerstörend, inklusive der globalen ökologischen Katastrophe. Darum vielleicht die vielen Helden und Heldinnen als Heilbringer in Comic, Buch, Serie und Kino. Das Muster der Messias-Erwartung funktioniert immer noch.)

Was sah ich nun im Hauptfilm? „Alita“ – ja, eine Heldin, ja, wieder eine Messias-Figur: ein Cyborg-Mädchen (R. Salazar) nämlich, das von Dr. Ido (C. Waltz) – ein postapokalyptischer Dr. Frankenstein der netten Sorte – auf einem Schrottplatz des 26. Jahrhunderts gefunden und repariert wurde. Dieses Mädchen, eine Maschine, Jahrhunderte alt, hat die Seele eines Teenagers, und mit großen Augen entdeckt sie neugierig die ihr unbekannte Welt. Ido behandelt sie wie eine menschliche Tochter, seine eigene hat er verloren – mit all den Macken eines übersorgenden Übervaters. Sie, mit tiefer Stimme, ironisch-flunkernd: Dann sei sie 300 Jahre alt. Ido bestätigt wohlwollend ironisch überväterlich.

Und es stellt sich die Frage, ob Menschen Cyborgs und Cyborgs Menschen lieben können. Was ist echt? Alitas Freund Hugo gesteht ihr in einer hyper-romantischen Szene (das meine ich erst, also für Sciencefictionflimbeziehungsgedönsinteraktionsrelationen), sie sei das menschlichste Wesen. Und in einer weiteren starken Szene, die deshalb nicht in Kitsch abrutscht (oder sogar als solcher markiert ist? Ambig, ambig … Ach!), da durch Ironie aufgefangen: bietet sie ihm ihr künstliches Herz an, um es zu verkaufen, damit er sich den Weg in die Himmelsstadt leisten kann. Das sei schon krass gewesen, wie sie dann bemerkt. Wow. Uff. Und wie Alita die Kopfgeldjägerspelunke mit all den technisch optimierten Machoversagern aufmischt, ist einfach grandios. Je unbesiegbarer sie sich aber in ihren Kampftechniken entwickelt (dazu muss sie in ihre Vergangenheit zurückgehen, zu dem Krieg zwischen Erde und Mars), desto emotional verletzlicher wird sie, da sie zweimal ihren Freund verlieren muss. Sie rettet beim ersten Mal dem Ermordeten das Leben; beim endgültigen Abschied wird sie seine Seele gerettet haben.

Die Menschen da unten aber, technisch optimiert, auf einem gigantischen Schrottplatz in einer zerstörten Ökologie hausend, arbeiten für die da oben, oben in Zalem[1], der Himmelsstädte letzten – Traum so vieler Sehnsüchte. Wer wacht über alles? Ein totalitärer Diktator, der eben durch die technischen Aufrüstungen der Menschen Kontrolle über sie erlangt: er sieht alles durch sie und er kann somit ihre Persönlichkeit überschreiben, um mit denen da unten zu kommunizieren – eine gottgleiche Figur, die sich aus der Ferne, nah und entzogen zugleich, offenbaren kann, namens Nova (lat. für die neuen Dinge?). Alita besitzt wie eine Heilige einen Attributsnamen: Battleangel – ein weiblicher Erzengel Michael, der in die Schlacht gegen das Böse, gegen Nova zieht? In der Manga-Vorlage von Yukito Kishiro wird Alita gleich zu Beginn als „ROSTIGER ENGEL“ eingeführt: auf einer Doppelseite erscheint sie wie ein destruiertes Mischwesen aus Mensch, Maschine und Engel (Ihre Flügel sind an mechanischen Halterung befestigt: das Maschinelle gleitet hinüber in die Transzendenz, die Transzendenz inkarniert sich in einer Mensch-Maschine?).[2] Alitas Geist bleibt, austauschbar ihr Maschinenkörper: von doll body zu Berserker body.[3] Bejubelt von den Massen, als Siegerin in einer Art Gladiatoren-Spiel für Cyborgs (Motorball), unverwundbar in ihrer Rüstung, wirkt sie in ihrer Trauer und Wut unendlich verlassen und einsam, wenn sie in der Schlussszene mit ihrem Schwert auf den fliegenden Drachen Zalem zielt.

Der Charme des Films liegt im fast kammerspielartigen Interagieren zwischen Alita und Ido: ein zerbrechlicher Teenager und zugleich eine unbesiegbare Kampfmaschine; selbst von einem feindlichen Cyborg auf einen Torso reduziert, kämpft sie weiter. Wahnsinn! Ein uraltes Wesen, das von einem Kind über ein Mädchen zu einer Frau wird: der Topos einer puella senex – Mädchen und Greisin – in Variation zum puer senex (Junge und Greis).[4] Und tragisch: selbst geradezu unsterblich anmutend, kann sie den Tod ihres Freundes nicht verhindern. Und auf der anderen Seite der Arzt Ido, der Cyborgs und Menschen hilft, aufopfernd, gratis, und sich Geld mit seiner Geheimidentität als Kopfgeldjäger verdient (mit raketengetriebenem Hammer … das lasse ich unkommentiert.). Ein Vater, der eine Tochter verloren, eine neue gefunden hat. Der als Mensch Alita körperlich unterlegen ist, sie aber immer wieder repariert und optimiert. Der als Vater treusorgend Alita beschützen möchte – und von ihr gerettet werden muss. Alita: immer wieder destruiert, immer wieder neu komponiert. Allein ihr narratives Selbst (auf der materiellen Basis eines Gehirns) garantiert ihr Kontinuität. Sie muss ihre Vergangenheit rekonstruieren. Sie muss dabei sich dabei selbst entdecken, neu fingieren – vielleicht auch ihre Mission, ihre Funktion relativieren? Aber: in dieser Schrottwelt, unter totaler medialer Kontrolle, ist sie die Andere, das Andere, welches frei sich nicht dem Status quo beugen muss. Hier ist das Andere nicht das Unheimliche; unheimlich sind die Menschen-Cyborgs, die sich mit dieser cyborg- und menschenfeindlichen Unterwelt und Hölle, die im Film beeindruckend detailreich ausgearbeitet wurde, arrangiert haben – einer Umwelt, die zu massentauglichen Cyborggames und zu einer beliebig plünderbaren Ressource degradiert wurde. Als ob wir schon längst in dieser Zukunft leben würden …

Es war also ein richtig gutes Kino-Erlebnis, liebe Leserinnen und Leser. „She has such great heart, which she never had before. So it shows how human nature can be. […] She has an organic brain. She’s not a machine, she’s actually a person.“[5] Der zerstörte Mensch, die zerstörte Maschine stehen in Alita wieder auf. Was sucht ihr die Lebende unter den Toten? Sie geht euch voraus …[6] 

Markus Pohlmeyer lehrt an der Europa-Universität Flensburg.


[1]Salem ([…] LXX Ζαλήμ) […] Die volksetymolog. Deutung leitet den Namen v. hebr. … [šālōm], Frieden, ab […].“ P.-G. Müller, in: Lexikon für Theologie und Kirche, 8. Bd., hg. v. W. Kasper u.a., 3. Aufl., Freiburg im Breisgau 2006, 1482.

[2] Siehe dazu Yukito Kishiro: BATTLE ANGEL ALITA. Perfect Edition 1, übers. v. J. Iwamoto – J. Seebeck, Hamburg 2017 4-5.

[3] Siehe dazu A. Bernstein: ALITA BATTLE ANGEL. THE ART AND MAKING OF THE MOVIE, TITAN BOOKS, London 2018, 20 ff.

[4] Siehe dazu ausführlich E. R. Curtius: Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, 11. Aufl., Tübingen – Basel 1993, 108-115.

[5] R. Rodriguez – nicht ohne gigantische Bewunderung für James Cameron, in: A. Bernstein: ALITA BATTLE ANGEL. THE ART AND MAKING OF THE MOVIE, TITAN BOOKS, London 2018, 226

[6] Variation zu Mk 16, 5-8.

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