Geschrieben am 1. Oktober 2020 von für Crimemag, CrimeMag Oktober 2020

Mit Sebastian Knauer am Lago Maggiore

„Tutto bene, my love“

Die beiden deutschen Journalisten Andreas und Stephan Lebert legen ihren ersten Lago Maggiore-Krimi vor. Der Ex-Polizist Lukas Albano Geier besorgte für die deutschen Geheimdienste neue Identitäten von V-Leuten. Jetzt könnte es ihm in malerischer Italien-Kulisse an den Kragen gehen.Von Sebastian Knauer

Der Krimi beginnt mit einem mittelalterlichen Turm am Lago Maggiore. Und er endet mit dem Tipp auf eine Hörprobe des hauseigenen Songs „Tutto Bene„. Den kann man runterladen auf Spotify oder Youtube und die Akteure des Videos wie Mona Lisa, Galilei, Christoper Columbus, Leonardo da Vinci,  Papa Francesco oder Guiseppe Verdi oder Sergio Leone sprachlich als Songwriter animiert, kennen lernen. Alles weltberühmte Influencer. Man sieht, bei diesen Krimiautoren handelt es sich um erfahrene Medienprofis. 

Nach Angaben der Autoren und Brüder  Andreas und Stephan Lebert (Autorenname:  Andrea Di Stefano) wird im Nachwort das Geheimnis dieser rasanten Geschichte  aus der Schattenwelt der deutschen Geheimdienste und dem hellen Licht eines lebensfrohen Italiens offengelegt.

 Alle frei erfunden, natürlich, aber nach Angaben der Autoren existieren einzelne Personen des dicht gestrickten Plots rund um den von den Deutschen Touristen so begehrten Alpensee, wie die Hotelbesitzern Lara Luz im Hotel von Colmegna, der Barist und Alpha-Romeo-Reparierer Biagio Cassino aus Maccagno oder die Gesangs-Therapeutin Cornelia Moore, eigentlich München aber jetzt literarisch an den See versetzt: „Die meisten Orte, Gebäude, Restaurants, Fährschiffe, Straßennamen“, gestehen die Autoren, „existieren wirklich. Die Handlung dagegen ist frei erfunden.“

Und die hat es in sich.

Eine Sonderabteilung der deutschen Dienste in Berlin, Tarnname „Innenrevision“, schafft neue, wasserdichte Biografien für V-Leuten, die in terroristische oder rechtsradikalen Netzwerken platziert werden. Ex-Polizist Lukas Albano Geier hatte sich beruflich in der Hierarchie der Schlapphüte ziemlich weit nach oben gearbeitet. Und jetzt sucht er in seinem dritten Lebensabschnitt einfach nur noch Ruhe in seinem wehrhaften Domizil, jenem massiv gemauerten Turm über den Dächern der Seegemeine Maccagno am östlichen Ufer. 

Doch die Vergangenheit holt den Ex-Polizisten, der sich so schwer tut das Ex-Sein zu akzeptieren, ein. Ein Mord am See an einer ehemaligen V-Frau aus dem Frankfurter Banken-Vorstände und Terrormilieu. Sie stirbt in einem frisch renovierten Hotel zusammen nach dem verschwiegenen Sex mit einem lesbisch veranlagten Zimmermädchen. Auf ihrem Arm ist mit Kugelschreiber die Handynummer von jenem Ex-Polizisten aus dem Turm notiert. Er kann damit rechnen als nächster ins Fadenkreuz von Rachengel der RAF zu geraten, die wenig später seinen Ex-Chef in Berlin durch Kopfschüsse aus einem fahrenden Auto auf der Strasse eliminieren sollten. Aus dem Ex-Polizist, dem Ex-Ehemann und dem mit italienischem Grappa oder schweizerisches Kirschwasser nach erotischen Candle-Light Dinner auch mal  Auf-Ex Trinker, wird wieder der vorsichtige, clevere Fahnder. Denn auf Verrat steht insbesondere bei der besonders verschwiegenen und an einen Ehrenkodex gebundenen Roten Armee Fraktion (RAF) nur eine Strafe: Hinrichtung.

Spätestens hier merkt der Leser dass der Lago Maggiore-Krimi nichts mit der inflationären Kultur der „Reise-Krimis“ und den hübschen PR-Kulissen attraktiver Reiseziele zu tun hat. 

Zwar hilft auch bei den Lebert-Brüdern eine nüchtern gezeichnete Lagekarte im vorderen Buchdeckel mit den für manchen sentimental aufgeladenen Ferienorten Ascona oder Ronco an dem 400 Millionen Jahre alten Alpensee an der Südseite zwischen den Provinzen Lombordai, Pietmont und der Schweiz. Dahin fährt auch der Ex-Polizist mit seinem Gspusi  gerne in die Tratorria Borghese in Locarno zum Raclette Essen, geschmolzener Käse auf kleinen Pell-Kartoffeln. Zuvor ein Aperitivo an der schicken Promenade von Ascona, wo die Leute „anders lachen als in Maccagno, die Gläser klirren heller , die Absätze der Frauenschuhe höher sind“. Die geprüften Restaurant.-Hotel,-Café,-und Ausflugstips bekommt man so quasi nebenbei während die Ermittlungen auf Hochtouren laufen. Die Autoren sind geübte Beobachter italienischer Lebensart – seien es habituell sehr laute Zusammenrottungen von großen Runden Italiener im Restaurant, oder seien es die italienischen Radioprogramme angeblicher Musiksendungen, in denen „die Moderatoren viel zu viel reden“. Seien es kontroverse Diskussionen wie man am besten Wildschweinen vor der eigenen Haustür unfallfrei begegnet. Oder sei es der Lebensweise Tischler mit der Werkstatt für der Haustür, der „Holzmelancholiker“ genannt , der hartes Kastanienholz ausschließlich mit Nut und Feder verleimt, („Ambrogio verachtet Schrauben“), und zum Freund des deutschen Ex-Polizisten wird. 

Das Ding zwischen Mann und Frau hat der Handwerker auch durchschaut: „Der größte Unterschied,“ sagt Ambrogio, liege im Umgang mit Problemen. Der Mann will ein Problem sofort loswerden. wenn es auftaucht. Er gibt es entweder einem anderen, oder er verdrängt es – oder er löst es. Die Frau will bei einem aufgetauchten Problem vor allem eines: sofort darüber zu reden, und zwar ausführlich, auch mit vielen Menschen. Wenn das Problem besprochen ist, ist sie zufrieden.“

„Die Geburt der Venus“ von Sandro Boticelli, italienischer Maler 1445 bis 1510

Und weiter liefert der Tischler eine Gebrauchsanweisung, wie man mit Beziehungen erfolgreich schreinert: „Wir verlieben uns nie wirklich in andere Menschen. Männer verlieben sich in die Möglichkeit der Eroberung. Frauen verlieben sich in das Begehren des Mannes.“ Auf die berichtigte Frage des Hauptdarstellers, woher Ambrogio seine Weisheiten nehme, sagt er: „Ich lese viel.“ Aha.

Der Tischler Ambrogio schließt Freundschaft mit dem Deutschen aus dem Turm. Angesichts der sich überstürzenden Ereignisse aus seiner Vergangenheit, die auch zu Enttäuschungen über alte Weggefährte führen, fragt sich Geier: „Wieviele Freunde habe ich eigentlich? Wirkliche Freunde? Kann es sein dass Ambragio derzeit mein bester Freund ist? Mann, was ist denn mit mir?“

Der Ex-Polizist wird auch geplagt von depressiv existenziellen Fragen zu seinen Ex-Frauen die ihn auf Schlag und Fall verlassen hatten, seiner vorgeblichen Gefühlsarmut und ob seine Eltern, die als Alt-Achtundsechziger so gerne Urlaub am Lago Maggiore in Monteviasco machmal,  vom Vater manchmal auch Montefiasko genannt, wenn wiedermal nichts italienisch klappte. Bei einer später ausgerechnet von ihrem vom Sohn geschenkten Fernost-Reise waren sie spurlos in dem großen Tsunami vor Indonesien verschollen. Leben sie doch noch, wie ein Brief aus Laos nahelegt? Ein Fall für den Experten in Sachen Doppelleben. Hinweise gibt es schließlich auf einen E-Bike Shop in Vietnam von einem alten ein Kumpel im Auswärtigen Amt und eine Grabstätte unter dem Namen der Familie. Tote Spur.

Offenbar geht es dem erfolgreichen Ex-Journalisten und Autoren in diversen Führungspositionen ebenso wie seiner Hauptfigur,dem Ex-Polizisten: er zieht sich zurück in seinen Turm und kann doch nicht ganz loslassen. Das weitere Mittun auf den sozialen Medien kommt ihm inzwischen irgendwie schaal vor, da „mir nur das eigene Altern“ vorgeführt  wird und die Erkenntnis vermittelt  „wie schlank ich doch mal war“.

Das Balsam für seine Seele ist die Musik, die er auch mit einer Band erfolgreich ausübt. „Bassisten sind die lustigsten Musiker“, sagt Geier,“ sie hören tiefere Frequenzen als andere. Sie hören alles was, was drunterliegt, nicht nur unter den Tönen, sondern auch unter dem ganzen Leben : Brumm bruuuum…brum bruuum…brum brumm.“

Größenwahnsinnig erfindet der literarische Schöpfer des musizierende Ex-Polizist sogar eine Verpflichtung seiner Band zu einem Demokratischen Parteikonvent im US-Wahlkampf im Madison Square Garde in New York zusammen mit den  Hollywood-Superstars. „Tutto bene“ – die Flugtickets liegen bereit.

Die italienische Kommissarin Christina Conte mit einem schicken Büro in der Provinzhauptstadt Varese ermittelt derweil eigenständig und weiblich selbstbewusst im Fall der Toten am See. Natürlich gibt es eine saftige Affäre mit dem deutschen Kollegen und den traurigen Liebeskummer, als es ebenfalls unvermittelt zu Ende geht. Turm-Bewohner Geier steuert seine Erkenntnisse über V-Männer und Frauen bei, zu denen auch das Opfer vor vielen Jahren gehörte. Der Leser erfährt gut recherchierte Details aus der Arbeit der Geheimdienst und wie man Identitäten schafft. Dumm nur, dass der oberste Verfassungsschutz-Mann -literarisch als auch nicht-fiktional- wohl erkannt hat,  dass das fragwürdige Einschleusen von V-Leuten mehr Ärger schafft als zu Fahndungserfolgen führt. 

Der inzwischen pensionierte Polizei-Boss, aus der „Innenrevision“, Spitzname „Papst“, erklärt bei einem Besuch am Lago Maggiore bei einem natürlich guten italienischen Café, wie auf höchster Ebene selbst behördliche Mörder aus den eigenen Reihen geschützt werden.

Bundesrepublikanische Wirklichkeit? 

Ja, nach allen Recherchen von investigativen Journalisten gilt der Satz des Prager Reporters Egon Erwin Kirsch: „Nichts ist verblüffender als die einfache Wahrheit, nichts ist exotischer als unsere Umwelt, nichts ist fantasievoller  als die Sachlichkeit“  Dafür steht der Mitautor Stephan Lebert, der inzwischen in der DIE ZEIT die „harten Themen“ wie Sicherheit, Mafia, Wirtschaftskriminalität immer wieder im „Investigativ-Ressort“ verantwortet. Im Berufsleben solcher Journalisten kommt meist irgendwann die Erkenntnis: die ganze Berichterstattung ist wichtig aber das Böse ist wie eine Hydra, die abgeschlagenen bösen Köpfe wachsen schneller nach als als Journalisten recherchieren und schreiben können. Da lockt natürlich ein stilles Refugium wie der Lago Maggiore.

Andreas Lebert, heute Chefredakteur von „ZEIT WISSEN“, im richtigen Leben nicht nur ein passionierter Songwriter (siehe Tutto Bene) sondern auch Mitgründer des SZ-Magazin der Süddeutschen Zeitung, auch mal stellvertretender Chefredakteur der Illustrierte stern und dann über viele Jahre Chefredakteur der Frauenzeitschrift „Brigitte“. Nach dem xten-Titel  „Die beste Frühjahrsdiät“ muss die Sehnsucht gewachsen sein, nochmals etwas anderes im Leben zu machen. Da trifft es sich gut, dass der alte Leonardo am See dem Sinnsucher mal sagte: „Wenn die Sehnsucht in deinem Leben so stark ist, dass du es nicht mehr aushält`s, dann musst du hierherkommen. Hier ist die Heimat der Sehnsucht.“

Bei den erfundenen Identitäten kennen sich die Autoren auch durch ihre eigenen diversen  Bücher aus, bei denen sie mal als Max Landorff, Anna Friedrich oder eben Andrea Di Stephan auftreten. Diese Namensverwirrungen, noch gesteigert durch die Besteller von Sohn Benjamin Lebert aus der schreiberisch offenbar mit guten Genen gesegneten Familie, sollten ihnen mal die Verlage ausreden oder die Autoren den Verlagen.Die Klarnamen sind doch bekannt.

Lebert ist zudem doch ein ganz passender Namen für weitere Geschichten über das Sterben.

Und die Songzeilen dazu:
„Tutto bene, my love, don`t worry.
Tutto bene, my love, I`am alright.
My love I will see you tomorrow.
Or I am forever out of sight.“

Und noch ein Tipp für Krimileser, die nicht den Täter vorab verraten haben wollen: Achten Sie auf den italienischen Comedy- und Theaterautor Dario Fo. Er stammte auch vom Lago Maggiore, aus der Ortschaft Sangiano.

Sebastian Knauer, 70, langjähriger stern-und SPIEGEL Politikredakteur mit Schwerpunkt Umweltschutz hat mehrere Krimis in der Grauzone zwischen Politik und Wirtschaft veröffentlicht. Wesentlich angenehmeren Themen wie die auch manchmal kriminelle Macht der Musik und die Rätsel großer Komponisten wie Johann Sebastian Bach („Tödliche Kantaten„) und Wolfgang Amadeus  Mozart („Mörderisches Mozartkind„) hat er ebenfalls beim Verlag Ellert&Richter, Hamburg, vorgelegt. Ein weiterer Musik-Krimi zu  dem vermögenden  Georg Friedrich Händel und der Immobilen-Branche ist in Vorbereitung.

Seine Texte bei uns hier.

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