Niemandsland
– Einer unter vielen schönen Aspekten der Berlinale ist, dass man Filme anschauen kann, die man später vielleicht nicht mehr so einfach findet. Zum Beispiel den eminent politischen Dokumentarfilm „Terra de Ninguém“ der jungen Regisseurin Salomé Lamas. Doris Wieser war für „Moving Targets“ im Kino.
Auch Portugal ist ein Land, das an seiner jüngeren Vergangenheit noch zu knabbern hat und dieses Knabbern und Verdauen macht zunehmend Geräusche. Der Kolonialkrieg, den Portugal seit Anfang der 1960er Jahre in Angola, Mosambik und Guinea-Bissau auszutragen hatte, ist immer noch eine offene Wunde. Der Estado Novo hatte seine afrikanischen Territorien in Überseeprovinzen umbenannt und die Vokabel „Kolonie“ im Laufe der 1960er Jahre aus dem öffentlichen Diskurs getilgt, um den zunehmenden internationalen Druck zumindest rhetorisch abzufangen. Denn die meisten anderen afrikanischen Länder waren bereits seit 1960 unabhängig, wohingegen Portugal ein unzeitgemäßes und unmenschliches Festhalten an seinen Kolonien vorgeworfen wurde.
Zu jener Zeit inszenierte sich Portugal gern als multiethnisches und multikulturelles Überseeimperium, in dem ein harmonisches Miteinander über soziale Stellung und Hautfarbe hinweg herrschte. Dass das nur Augenwischerei war, weiß heute zwar jeder, aber wirklich zugegeben und verarbeitet hat Portugal die Realität wohl noch nicht. Die Grausamkeiten und der glühende Rassismus an allen Fronten (auch der Tribalismus zwischen den afrikanischen Ethnien) sowie die Enttäuschung über die portugiesische Regierung wurden in der erzählenden Literatur im Prinzip schon aufgearbeitet (z. B. von Pepetela oder António Lobo Antunes), im kulturellen Gedächtnis der Portugiesen scheinen sie jedoch noch nicht völlig angekommen zu sein. Man wählt lieber das Verschweigen, die Verharmlosung und eine peinlich berührende Nostalgie, wie sie auch der Protagonist von „Terra de Ninguém“ an den Tag legt: Angola war wunderschön, sagt er, Portugal weiß gar nicht, was es verloren hat.

Der Profi erzählt …
Der Dokumentarfilm von Salomé Lamas (*1987), der gerade auf der Berlinale präsentiert wird, geht einen gewagten Schritt in die richtige Richtung. Die junge Filmemacherin zeigt einen Mann, der in einem dunklen Raum auf einem Stuhl sitzt und Zeugnis von seinen Taten ablegt, die er als Elitesoldat und Söldner in Mosambik und Angola, nach der Nelkenrevolution als Sicherheitsmann von hohen Politikern und schließlich als Auftragsmörder der CIA und der GAL durchgeführt hat. Links fällt durch ein Fenster Licht in den Raum und suggeriert, dass Paulo Figueiredos Taten in Beziehung zur Außenwelt stehen, das heißt eben keine Fiktion sind. Der Stuhl gleicht dem eines Angeklagten vor Gericht, der seine Aussage macht.
Und wie er sie macht! Paulo nimmt sich diese Bühne als Forum für seine Geschichte und stellt sie so dar, wie er es möchte. Er schlüpft dabei in die Rolle desjenigen, der noch nie eine schlaflose Nacht ob seiner Taten verbracht hat und sich dafür auch nicht moralisch rechtfertigen oder gar entschuldigen muss. Seine Haftstrafe hat er ja bereits abgesessen. Paulo will einfach nur erzählen und wir, das Publikum, sind seine Richter, hin- und hergerissen von der Frage, ob es sich um ein authentisches Zeugnis handelt oder die schamlose Selbstinszenierung eines schamlosen Täters.
Unstimmige Ethik
Und so erzählt er: Mit den abgeschnittenen Nasen und Ohren der Schwarzen hätten sie in Angola ihre Fahrzeuge und Gürtel verziert. Er lächelt dabei nicht, aber man meint fast, er würde es gern. Das Töten sei wie Kokain und Heroin, sagt er, es geht dir direkt ins Blut. Seine Mimik, seine Körperhaltung deuten Genuss an. Genuss am Erzählen oder Genuss am Töten? Er habe nie aus Lust getötet, immer nur aus Notwendigkeit, sagt er, und weil es eben seine Arbeit war.
Seine verquere, in sich unstimmige Ethik erläutert er ganz nebenbei, wobei er stets wie jemand wirkt, der völlig im Reinen mit sich und der Welt ist: Terrorismus kann man nur mit Terrorismus bekämpfen und im Krieg muss man töten, das ist eben so. Aber einmal, sagt er, da haben wir ein Dorf in Angola auf eigene Initiative ausgehoben, Granaten in die Hütten geworfen und dabei zugesehen, wie alle Bewohner, auch Frauen und Kinder, in Stücke zerrissen wurden. Tote Kinder haben wir manchmal zur Abschreckung auf Bäume gehängt. Aber so machten die Schwarzen es ja auch mit den Weißen …
Afrika, Lateinamerika und die CIA
In den 1980er Jahren habe die CIA ihn dann beauftragt, in El Salvador Terroristen zu ermorden. Paulo führt damit das mentale Bild, das sich der Zuschauer zu seinen Worten formt, in ein Land, das berühmt-berüchtigt für seine Gewaltexzesse ist. Romane wie „Der Waffengänger“ von Horacio Castellanos Moya (2003) (zur Rezension bei CrimeMag) oder der Dokumentarfilm „La vida loca“ von Christian Póveda (2008) sprechen davon Bände und präsentieren ganz ähnliche Figuren wie Paulo: innerlich kaltblütig, äußerlich ganz nette Kerle. Seine Leichen habe er übrigens säuberlich verscharrt, keine davon wurde gefunden, keine konnte ihm zur Last gelegt werden.
Nach der CIA kamen dann die Jahre bei der GAL, der Todesschwadron, die von der spanischen Regierung zum Kampf gegen die ETA eingesetzt wurde. (Das Öffentlichwerden ihrer Aktivitäten gilt als Hauptursache für die Wahlniederlage von Felipe González 1996.) Und schließlich der Fall. Paulo wurde verhaftet, nachdem er in einem Café ETA-Mitglieder erschossen hatte, vor Gericht gestellt und verurteilt. Und einmal muss er dann doch lachen, der Paulo. Die Leute im Café hätten geschrien, die Lebendigen natürlich, nicht die Toten, denn die können ja nicht mehr schreien, das heißt, genauer genommen können sie es schon, denn wenn aus den Leichen die Gase austreten, klingt das ganz schön komisch, hahaha …

Reue?
Kein Fünkchen Reue, kein schlechtes Gewissen, aber auch keine Schuldzuweisung an die Auftraggeber hält Paulo für nötig – bzw. stellt er sich wie jemand dar, der das nicht für nötig hält. So oder so, indem er aber die Mechanismen aufdeckt, die die Karriere von Typen wie ihm ermöglichen, kritisiert er das System natürlich trotzdem, ohne es zu wollen. Über die 15 Jahre, die er in verschiedenen Hochsicherheitsgefängnissen in winzigsten Zellen verbracht hat, kann er nur lakonisch zusammenfassen: Menschen wie er hören niemals auf, das zu tun, was sie tun, nicht nach 15 und auch nicht nach 30 Jahren.
Ein sehr gelungener Dokumentarfilm, der mit einfachsten Mitteln gemacht wurde und seine ganze Kraft und Gewalt aus der Persönlichkeit des Protagonisten schöpft. Man verlässt den Kinosaal mit der unangenehmen Gewissheit, dass solche bad guys, die man gerne für Romanfiguren halten möchte, Realität sind.
Doris Wieser
Terra de Ninguém (Niemandsland). Portugal 2012. 72 Minuten. (Berlinale Forum). Regie: Salomé Lamas. Produzent: Luís Urbano, O Som e a Fúria. Hier mehr zum Film.
Aktuelles Interview mit Salomé Lamas, geführt von Inés Thomas Almeida auf Berlinda.org.
Filmstills: © O Som e a Fúria 2012.