Geschrieben am 1. November 2020 von für Crimemag, CrimeMag November 2020

Nanni Balestrini „Der Verleger“

Textauszug aus dem Vorwort von Theo Bruns und aus der zweiten und dritten Szene

Es ist das formal und inhaltlich vielleicht radikalste Werk des großen italienischen Schriftstellers Nanni Balestrini, der im vergangenen Jahr gestorben ist. Der Roman ist eine der gelungensten literarischen Verarbeitungsformen der dramatischen 1970er-Jahre – nicht nur – in Italien. Zugleich stellt er die Würdigung einer der herausragendsten Verlegerpersönlichkeiten der europäischen Nachkriegsgeschichte dar.

Nanni Balestrini: Der Verleger. Aus dem Italienischen von Christel Fröhlich und Andreas Löhrer. Aossziation A, Berlin und Hamburg 2020. Neuausgabe. 152 Seiten, gebunden, 18 Euro.

An einem Morgen im Frühling des Jahres 1972 wird in der Nähe von Mailand unter einem Strommast die Leiche eines Mannes gefunden, der bei einer fehlgeschlagenen Sabotageaktion ums Leben kam. Schnell stellt sich heraus: Bei dem Toten handelt es sich um Giangiacomo Feltrinelli, die berühmteste und schillerndste Verlegerpersönlichkeit Europas, Spross einer reichen Familie, militanter Linker und Parteigänger Che Guevaras.

Fast 20 Jahre später treffen sich ein junger Regisseur, eine Journalistin, ein Buchhändler und ein Universitätsprofessor, die damals Weggefährten des Verlegers waren, um einen Film über sein Leben zu drehen und der Bedeutung nachzugehen, die sein Tod für ihre eigene Biografie und die Entwicklung der neuen Linken beinhaltete.

Das Filmprojekt wird nicht zum Abschluss kommen, doch klar wird, dass der Tod des Verlegers einen entscheidenden Wendepunkt der italienischen Linken markierte und den Übergang zu den Kämpfen einer jungen Generation bedeutete, die sich auf die Suche nach radikal neuen, kollektiven Lebens-, Arbeits- und Aktionsformen machte und damit in einen schroffen Gegensatz zum herrschenden Gesellschaftssystem trat.

Der Roman montiert in virtuoser Weise zeitgenössische Presseberichte, den Obduktionsbericht der Leiche, die heftigen Diskussionen, die der Tod Feltrinellis in der Linken auslöste, und verknüpft sie mit Zitaten einer leidenschaftlichen Liebesgeschichte aus Malcom Lowrys »Unter dem Vulkan«. So gelingt es dem literarisch kunstvollsten Roman Balestrinis, die dramatischen 1970er-Jahre Italiens in emblematischer Weise zum Ausdruck zu bringen und der verfemten und verzerrten Figur des Verlegers ihre Würde zurückzugeben.

Giangiacomo Feltrinelli © Wiki-Commons

Theo Bruns: Verleger der Revolte
Ein Vorwort (Auszug)

»Die Methoden seiner Prosa sind so experimentell wie die sozialen Bewegungen, von denen sie handelt«, schrieb Peter O. Chotjewitz über das Schaffen des italienischen Schriftstellers Nanni Balestrini. Dies gilt auch und in besonderem Maße für den Roman »Der Verleger«, sein in Form und Inhalt vielleicht radikalstes und virtuosestes Werk. 

Auch wenn der Name in dem Roman nicht ein einziges Mal genannt wird, so ist doch klar, um wen es sich bei dem Verleger handelt. Es geht um Giangiacomo Feltrinelli, die vielleicht einflussreichste und schillerndste Verlegerpersönlichkeit der europäischen Nachkriegsgeschichte. Am 19. Juni 1926 in Mailand geboren, nahm er als junger Mann am Befreiungskampf gegen die deutsche Besatzung und das Mussolini-Regime in den Reihen der US Army teil. In diesem Kontext machte er die Bekanntschaft von Partisanen, deren Tradition für ihn zeitlebens die zentrale Achse seines politischen Denkens und Handelns bilden sollte. Im März 1945 trat er der Kommunistischen Partei Italiens (PCI) bei, die er nach dem sowjetischen Einmarsch in Ungarn 1956 wieder verließ. 

Nach dem Krieg gründete Feltrinelli eine Bibliothek sowie ein weltweit beachtetes Institut zum Studium der internationalen Arbeiterbewegung und des Sozialismus. 1954 eröffnete er den Feltrinelli-Verlag in Mailand, dem später eine Kette von Buchläden, die sich in Zentren der Bewegung verwandelten, angegliedert wurde. Binnen kurzem hatte der Verlag riesigen Erfolg. »Doktor Schiwago« von Boris Pasternak und »Der Leopard« von Giuseppe di Lampedusa wurden zu Weltbestsellern. Das weltoffene Projekt war international ausgerichtet, ein Leuchtturm freien Denkens, um den sich zahlreiche junge Schriftsteller und Intellektuelle scharten. Balestrini, der seit 1962 im Verlag arbeitete, erinnert sich rückblickend an die »prickelnde Atmosphäre von intellektueller Vitalität, von Freundschaft und Komplizenschaft«. Auch Inge Feltrinelli, eine deutsche Fotografin und dritte Ehefrau des Verlegers, hebt den Enthusiasmus, das Himmelstürmende der Anfangsjahre hervor. »Jeder von uns glaubte, der Verlag sei das Zentrum der Welt.« 

Die kubanische Revolution war für Feltrinelli ein elektrisierendes Ereignis, das in seinem Denken mit der Erfahrung der Resistenza verschmolz. Mehrfach reiste er nach Kuba, wo er Fidel Castro und Che Guevara traf. Als der französische Philosoph und Revolutionstheoretiker Régis Debray in Bolivien als angeblicher Mitkämpfer Ches verhaftet wurde, reiste Feltrinelli nach La Paz, um sich für seine Freilassung einzusetzen. Er hatte zuvor dessen Buch »Revolution in der Revolution«, die klassische Formulierung der Fokustheorie, die die kubanische Erfahrung auf den Begriff brachte, in italienischer Übersetzung herausgebracht. In der Folge wurde Feltrinelli selbst verhaftet, zwei Tage lang verhört und schließlich des Landes verwiesen. Nach dem Tod Guevaras übersetzte und publizierte er dessen »Bolivianisches Tagebuch«, das sofort in zehntausendfacher Auflage Verbreitung fand. Auf dem Buchcover war das ikonische Foto abgebildet, das der kubanische Fotograf Alberto Korda von dem Guerillero gemacht hatte. 

Feltrinelli, der gut Deutsch sprach, war der Studentenbewegung in der BRD eng verbunden und mit Rudi Dutschke befreundet. Er eröffnete den Internationalen Vietnamkongress im Februar 1968 in Berlin und ging wie Dutschke der strategischen Frage nach, ob und wie eine Übertragung der Guerillamethoden aus der Dritten Welt in die Metropolen möglich sei. Nach dem Attentat auf Dutschke lud ihn Feltrinelli nach Mailand ein, um ihm einen geschützten Raum für seine Rekonvaleszenz zu gewähren. 

In Italien kam es im Heißen Herbst 1969 zu einem Ausbruch von Arbeiterkämpfen neuen Typs, zu spontanen, von räteähnlichen Komitees organisierten Massenstreiks, die sich der Kontrolle der Kommunistischen Partei und der Gewerkschaften entzogen. Gleichzeitig wurde das Land von einer Serie von Attentaten der extremen Rechten erschüttert, die ihren blutigen Höhepunkt in dem Bombenanschlag in der Nationalen Landwirtschaftsbank an der Piazza Fontana in Mailand am 12. Dezember 1969 fand. Obwohl – wie sich herausstellen sollte – Anhänger der faschistischen Organisation Ordine Nuovo für den Anschlag verantwortlich waren, wurde die Tat zunächst der Linken angelastet und die Anarchisten Pietro Valpreda und Giuseppe Pinelli wurden beschuldigt. Feltrinelli, der schon lange einen Staatsstreich von rechts befürchtet hatte und im Attentat der Piazza Fontana eine Parallele zum Reichstagsbrand sah, reagierte, indem er in die Illegalität ging. Anfang 1970 verkündete er in einem Brief an die Presse »das Ende der demokratischen Illusionen« und gründete eine klandestine Organisation, die GAP (Gruppo d’Azione Partigiana), die in seinen Augen den Befreiungskrieg der Resistenza zu Ende führen sollte. Nach verschiedenen kleineren Aktionen ereignete sich am 14. März 1972 der tragische Vorfall von Segrate. Bei einer Sabotageaktion gegen einen Hochspannungsmast in der Nähe von Mailand kam es vermutlich zu einer vorzeitigen Explosion der Sprengladung. Unter dem Mast wurde die Leiche eines Mannes gefunden. Schnell stellte sich heraus, dass es sich bei dem Toten um den berühmten Verleger handelte. 

Sofort nach seinem Tod verbreiteten sich Gerüchte, dass Feltrinelli Opfer eines Geheimdienstkomplotts und ermordet worden sei, während die militante Linke darauf bestand, dass er kein Opfer, sondern ein Revolutionär sei, der kämpfend gefallen sei. Der Roman gibt in seiner Vielstimmigkeit der komplexen und kontroversen Figur des Verlegers ihre Würde zurück, indem er ihn in seinen Motiven und Handlungen ernst nimmt und sich gegen eine Entstellung wendet, die darauf abzielt, eine unbequeme Person unkenntlich zu machen. Der Verleger erscheint so als die Summe der Widersprüche seiner Zeit und als »ein leidenschaftlicher, aufrechter, zerrissener Zeuge, offen gegenüber der Welt, die sich verändert«. 

Dennoch ist das Buch kein biografischer Roman. Der komplexe Text stellt vielmehr das Porträt einer Epoche dar, eingefangen im Moment des Todes des Verlegers, der einen unwiederbringlichen Bruch, einen Einschnitt in der Geschichte der radikalen italienischen Linken bedeutete. Danach war nichts mehr wie zuvor. Der Tod des Verlegers stellte alles in Frage und forderte Entscheidungen heraus. Er markierte den Übergang von einer Phase des Kampfes zu einer anderen, in deren Verlauf sich die Auseinandersetzungen zugleich radikalisierten und dezentralisierten. Der neue Zyklus beinhaltete das Ende der alten, an die Kommunistische Partei und die Gewerkschaften gebundenen Arbeiterbewegung und beruhte auf dem Aufbruch einer neuen rebellischen Generation, die sich frontal gegen das Regime der Arbeit selbst kehrte und die Kämpfe auf das gesamte gesellschaftliche Terrain ausweitete. Die Revolution wurde alltägliche Praxis, verband sich mit einer neuen Art zu denken und zu lieben. Getragen von einer stürmischen Jugend, die in ihren unmittelbaren Lebensverhältnissen, in ihren Verkehrsformen und Geschlechterverhältnissen so etwas wie eine anthropologische, nicht mehr rückgängig zu machende Veränderung durchmachte, die so tief reichte, dass für sie eine Rückkehr in die etablierten Verhältnisse unmöglich war. Diese existenzielle kulturelle Revolution wird einen kurzen, aber nachhaltigen Kampfzyklus prägen, der mit der Entführung Aldo Moros durch die Roten Brigaden, in denen das alte, monolithische Revolutionsmodell fortlebte, der fortschreitenden Militarisierung und der staatlichen Repression sein Ende finden wird. 

Der Roman ist kunstvoll konstruiert und in zwölf Szenen gegliedert. Die ungeraden Kapitel geben im Zeitraum zwischen dem Auffinden der Leiche und der Beerdigung des Verlegers den Obduktionsbericht der Leiche, den jeweiligen Stand der polizeilichen Ermittlungen, die Reaktionen der Presse, Erklärungen der Politiker, Nachrichten über das Geschehen in aller Welt wieder. In den geraden Kapiteln treffen sich vier ehemalige Weggefährten des Verlegers, die 17 Jahre nach seinem Tod versuchen, einen Film über sein Leben zu drehen und die Schlüsselbedeutung, die dieses Ereignis für sie selbst und die Entwicklung der italienischen Linken beinhaltete, zu ergründen. Eingestreut sind Szenen aus dem Roman »Unter dem Vulkan« von Malcolm Lowry, der die Geschichte einer verzweifelten Liebe und des tragischen Todes eines britischen Konsuls in Mexiko erzählt, der dem Alkohol verfallen ist. Lowrys Roman spielt zur Zeit des Spanischen Bürgerkriegs, kurz vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, eine Allegorie der nahenden Katastrophe. Das Filmprojekt über den Tod des Verlegers in Balestrinis Roman wird schließlich scheitern, doch aus den Erinnerungsfragmenten und zahllosen Zitaten entsteht eine Collage, die ein faszinierendes Bild jener Zeit ergibt. In dieser kunstvoll zusammengefügten Polyphonie offenbart sich die Meisterschaft Balestrinis, der sich jeder Wertung enthält und den Lesenden die Freiheit lässt und die Anstrengung zumutet, sich ihr eigenes Bild zu machen. 

Auch wenn er selbst in dem Roman – wie in seinem gesamten Werk – unsichtbar bleibt, Nanni Balestrini weiß genau, wovon er redet. Er war neben Toni Negri, Oreste Scalzone und Franco Piperno Gründungsmitglied von Potere Operaio (Arbeitermacht), einer außerparlamentarischen Gruppierung, die aus den Erfahrungen der neuen, unabhängigen Arbeiterkämpfe des Heißen Herbstes 1969 entstand. Später galt seine tiefe Sympathie der Bewegung der Autonomia, die in alle gesellschaftlichen Bereiche diffundierte und die Lebensverhältnisse revolutionierte. Im Kontext des großen staatlichen Schlags gegen die autonome Bewegung am 7. April 1979, in dessen Folge Hunderte von Militanten verhaftet wurden, floh Balestrini auf Skiern über die Alpen nach Frankreich, nachdem er morgens in der Zeitung gelesen hatte, dass nach ihm gefahndet wurde. In der Folge lebte er mehrere Jahre im französischen Exil, bis der Haftbefehl gegen ihn 1984 aufgehoben wird. Im Mai 2019 ist Nanni Balestrini mit 83 Jahren in Rom gestorben. Er ist und bleibt der große, unübertroffene Romancier der italienischen Revolte. 

Hier ein Textauszug aus der zweiten und dritten Szene des Buches (gekürzt)

Zweite Szene

das Gesicht mit den zurückgekämmten Haaren der großen Brille den schmalen Lippen das Gesicht auf den Zeitungsfotos an jenem Morgen das Bild auf der Titelseite der Zeitungen ein graues Passfoto ein Automatenbild er mit den zurückgekämmten Haaren der großen Brille und den schmalen Lippen ich wusste es sofort ich stand da und mir blieb die Luft weg aber das ist ja tatsächlich er wirklich er ist es und da beginnt die Geschichte ich las den Artikel tragisches Ende eines Saboteurs und ich erinnere mich noch gut wie ich damals gleich gedacht habe das ist doch nicht möglich da nimmt die ganze Geschichte ihren Anfang all das was dann geschehen ist was sie uns allen bedeutet hat und so weiter

alles beginnt mit diesen Zeitungen mit dem Bild auf den Titelseiten der Zeitungen nehmen wir an da ist er er geht aus dem Haus recht früh wie jeden Morgen um am Kiosk vor dem Haus Zeitungen zu kaufen sein Blick fällt auf das Bild unter der fetten Schlagzeile auf der Titelseite der Zeitung ihm bleibt die Luft weg einen Moment lang steht er völlig konsterniert da alle Muskeln seines Körpers verkrampfen sich er spürt ein Ohrensausen oder was weiß ich dort vor dem Kiosk mitten im Straßenlärm die Geräusche der Stadt dann schüttelt er sich kauft alle Zeitungen die es am Kiosk gibt er kauft drei vier fünf sechs Zeitungen und geht nach Hause betrachtet die Titelseiten der anderen Zeitungen die fast immer die gleiche Schlagzeile haben und darunter fast immer das Bild das gleiche Foto

wieder zu Hause weckt er sie sie schläft noch er weckt sie um ihr die Zeitungen zu zeigen er ist sehr aufgeregt sie versteht nicht gleich weil sie noch halb am Schlafen ist aber dann begreift sie schlagartig und sagt das ist nicht möglich ihr steigen die Tränen in die Augen er ist sehr aufgeregt glaubt sie trösten zu müssen er nimmt ihre Hand legt die Zeitungen aufs Bett blickt ihr in die Augen voller Tränen und so bleiben sie einen Moment lang bewegungslos und still aber man darf die Szene nicht zu traurig machen weil es keine sentimentale Geschichte ist es ist eine harte und gewalttätige Geschichte oder besser es ist die Geschichte einer großen Spannung hart und gewalttätig auch mit viel Gefühl aber nie sentimental

er hat sie geweckt um ihr Bescheid zu sagen um ihr die Zeitungen zu zeigen um mit ihr zu reden und sie schlief noch in dem dunklen Zimmer er hat das Licht der Nachttischlampe angeknipst hat die Zeitungen aufs Bett geworfen sie ist aufgewacht vielleicht war sie auch schon wach er hat ihr eine der Zeitungen die mit dem großen Bild auf der Titelseite vor die Augen gehalten einen Augenblick lang versteht sie nicht traut ihren Augen nicht dann sagt sie etwas oder sagt auch nichts und die ganze Spannung in ihm das Ohrensausen entlädt sich durch ihre Gegenwart dehnt sich aus und füllt das Halbdunkel des Zimmers es erfasst sie umschließt sie erstickt sie sie sind beinahe unfähig zu reden oder sich zu bewegen

dort also beginnt die ganze Geschichte wie wir sehen werden entschließen sie sich für eine Weile den Ort zu wechseln sie entschließen sich in die Wohnung eines Freundes zu gehen wo sie sich für kurze Zeit aufhalten werden während die Geschichte weitergeht dort in dieser Wohnung wird über die Ereignisse gesprochen werden und andere Dinge werden passieren bis zur letzten Szene der Begräbnisszene wo sich alle einfinden werden zusammen mit sehr vielen anderen denn dort geht diese Geschichte zu Ende und dort beginnt eine neue Geschichte die nicht mehr die alte sein wird das Begräbnis wird für alle anders sein aber doch für alle das Ende einer Geschichte und der Beginn einer neuen Geschichte und von da an wird es für alle eine unterschiedliche Geschichte sein

die Zeitungen sind über das Bett verstreut und eine Zeit lang nehmen sie die Zeitungen lesen sie und reichen sie weiter aber sie lesen immer nur den Artikel unter der fetten Schlagzeile auf der Titelseite unter dem sich fast immer das Foto findet das Gesicht des Mannes mit der Brille und den schmalen Lippen manchmal ist das Foto auch nicht auf der ersten Seite sondern im Innenteil der Zeitung wo der Artikel von der Titelseite fortgesetzt wird sie lesen nur diesen einen Artikel reichen ihn weiter mit kurzen Kommentaren da sich alle Artikel gleichen sie lesen nur diese Artikel sie sehen und lesen keinen der anderen Artikel in den Zeitungen die sie sich immer noch über das Bett zuschieben im schwachen Licht der Nachttischlampe auf den Decken die ihre Körper bedecken nicht einen Augenblick halten sie sich bei den anderen Meldungen auf wie

der Großteil der Einwohner Anconas ist in die Wohnungen zurückgekehrt nachdem sie die Nacht auf der Straße oder in Notunterkünften außerhalb der Stadt verbracht haben die Bevölkerung verbrachte eine weitere Nacht in Angst in Ancona lebt man bereits mit einem inneren Seismographen der auch die schwächsten Erdstöße wahrnimmt die Einwohner Anconas leiden darunter dass sich die Erdstöße Nacht für Nacht wiederholen was die physische und psychische Belastung der die Bevölkerung jetzt seit Ende Januar ausgesetzt ist als sich die ersten Anzeichen des Erdbebens zeigten noch verstärkt

der jordanische König Hussein hat ein vereintes arabisches Reich unter Einschluss der Gebiete westlich und östlich des Jordans vorgeschlagen der anlässlich eines Empfangs von Würdenträgern des von Israel besetzten Westjordanlands bekannt gegebene Vorschlag wurde von der israelischen Regierung umgehend zurückgewiesen auch bei den anderen arabischen Ländern stieß der Vorschlag auf Ablehnung in offiziellen Verlautbarungen wurde der jordanische Vorstoß scharf kritisiert das Thema stand auch im Mittelpunkt einer Begegnung des ägyptischen Präsidenten Sadat mit dem syrischen Führer Assad und dem libyschen Staatschef Gaddafi auch die palästinensischen Freischärler haben sich gegen den Vorschlag ausgesprochen und neue Vergeltungsaktionen gegen das Königreich Jordanien angekündigt

kaum dass Teile der DC der PCI zublinzeln träumt Berlinguer nach Ansicht von Senator Saragat schon davon den historischen Widerspruch zwischen Autorität und Freiheit oder besser zwischen Diktatur und Demokratie durch die sogenannte versöhnte Republik zu lösen also durch eine Machtübereinkunft zwischen Katholiken und Kommunisten es wundert nicht dass die PCI zwischen den wohlkalkulierten Annäherungsversuchen von Sozialisten und DC im Laufe der Geschichte zu einer merkwürdigen Partei wurde zu einer kommunistischen Giraffe wie Togliatti einmal schrieb einer Giraffe deren Hals immer länger wurde um mit dem Kopf die Schalthebel der Macht zu erreichen wobei sich der Körper immer weiter entfernte tatsächlich war die PCI ihren Zielen noch nie so nah und fern zugleich

für den Historiker ist Italien ein Schlachtfeld auf dem eher Machtbegierden als Ideologien miteinander ringen die Geschichte Italiens ist ein wunderbares Epos und ein blutiges Chaos zugleich das der Historiker eher mit der Rekonstruktion der Fakten als mit der rationalen Erforschung von Bewegungen erhellen kann sicher man stößt auf einige konsequente Kapitel auf starke Strukturen die aber Träger desselben Chaos sind doch sind sie nichts anderes als die Grundpfeiler eines riesigen unvollendeten Bauwerks in dessen Innern Grazien und Furien entfesselt sind der Stil ist schwankend oft untermauert von persönlichen Bemerkungen und faszinierenden Betrachtungen alternativer Möglichkeiten die die Geschichte trotz der Verbote durchscheinen lässt

die Welt des Fußballs steht nicht einen Moment still alles nur Denkbare ist möglich während alles darauf wartet dass die von Artemio Franchi angeordnete Untersuchung in Gang kommt hat sich unter den höchsten Verantwortlichen der Liga und des Verbandes bereits die Überzeugung durchgesetzt dass die Schiedsrichter künftig vom Computer bestimmt werden sollen wir können also die Einführung dieses Systems bereits für die kommende Saison als sicher annehmen es kann sein dass diese Entscheidung die von uns immer befürwortet wurde zu einem Riesengeschrei führt doch ist es nun dem Gewissen der Hauptverantwortlichen überantwortet die Serie der Verdächtigungen und Skandale zu beenden (…)

Nordirland erlebte eine weitere Nacht des Terrors ein junger Polizist wurde ermordet zwei Mitglieder der Ulster Volunteer Force wurden bei einem Hinterhalt in Belfast verletzt eine außergewöhnlich schwere Bombe hat zwei Sprengstoffexperten zerfetzt die sie entschärfen wollten die Bombe mit einer Sprengkraft von mindestens hundert Kilogramm explodierte im protestantischen Teil der Sandy Row der Sprengkörper war auf einem Lastwagen versteckt die gewaltige Explosion hat neben dem Tod der beiden Bombenentschärfer schwere Schäden an etwa fünfzig Wohnungen verursacht auch die Kunstakademie wurde stark beschädigt

er hat sie also geweckt um ihr Bescheid zu sagen um ihr die Zeitungen zu zeigen und mit ihr über die Sache zu diskutieren um herauszufinden was sie machen sollen welche Initiativen zu ergreifen sind mit wem sie sich in Verbindung setzen sollen wen sie sehen sprechen hören sollen bis jetzt ist es ihnen aber nicht gelungen auch nur ein Wort miteinander zu wechseln was geschehen ist ist zu unglaublich zu groß und erschreckend und immer noch bleiben Zweifel ob es wirklich wahr ist ob der auf dem Foto auch wirklich er ist er betrachtet es noch einmal ganz genau die Stirn mit den Geheimratsecken das Kinn ein bisschen angespannt wegen der zusammengepressten Lippen er möchte zweifeln aber es gelingt ihm nicht im ersten Moment hat auch sie so auf das Bild reagiert dann stiegen ihr die Tränen in die Augen er blättert um

das Faszinierende an diesem Text ist dass er von Anfang bis Ende eine Tragödie ist ganz Handlung konkrete Handlung bedrohlich schnell bis zum Absturz wo die Tragödie dann von Blut trieft das Blut ist bis zu einem bestimmten Punkt wichtig es ist gegenwärtig als unvermeidliche Konsequenz der Handlung unter den zahlreichen erklärenden Thesen die aus dem Baumstumpf der Tragödie sprießen ist die Gegenüberstellung von Gut und Böse von Harmonie und Ordnung und den dämonischen Kräften der Subversion eine akzeptable aber doch beschränkte These in gewissem Sinne ist sie banal weil der Antagonismus von Gut und Böse weniger dem Zusammenstoß zweier äußerlicher Ordnungen entspringt sondern bereits in der Figur des Macbeth angelegt ist in dem Bewusstsein das er von seiner Schlechtigkeit hat und damit verbunden die Unvermeidbarkeit des eingeschlagenen Wegs der ihn immer weiter in die Tiefe zieht

Staatspräsident Leone hat sich gestern zum Palazzo dei Marescialli begeben wo er zum ersten Mal dem Obersten Justizrat vorsaß er schloss mit den Worten ich glaube dass ich meine Pflicht vernachlässigen würde wenn ich in einer Zeit in der die gewöhnliche Kriminalität teilweise brutale und alarmierende Formen annimmt und einige von allen missbilligte extrem gewalttätige Demonstrationen ein Klima starker und begründeter Angst schaffen wenn ich in solch einer Zeit nicht darauf aufmerksam machen würde wie notwendig es ist dass einer entschiedenen Reaktion der Polizeiorgane eine ebensolche Entschiedenheit der Untersuchungsrichter und der Strafrichter folgt dies sage ich natürlich mit allergrößtem Respekt vor der Unabhängigkeit der Justiz

der amerikanische Milliardär Howard Hughes den nur wenige Menschen je zu Gesicht bekommen haben hat sein Versteck in Managua Nicaragua verlassen er landete mit seiner Privatmaschine in Los Angeles diese Meldung wurde von einem seiner Mitarbeiter übermittelt der sich jedoch weigerte weitere Fragen der Journalisten nach dem Aufenthaltsort des Milliardärs zu beantworten gewöhnlich gut unterrichtete Kreise bestätigten dass sich Hughes am Montagabend mit dem nicaraguanischen Präsidenten Anastasio Somoza getroffen hat und mit ihm eine mögliche Ausdehnung der Aktivitäten von Hughes Luftfahrtgesellschaft die bislang nur auf Linien innerhalb der USA fliegt auf Nicaragua diskutiert hat

heute Morgen ist im Peking-Hotel dem elegantesten Hotel der chinesischen Hauptstadt ein Feuer ausgebrochen die Flammen haben sich in einem seit einigen Wochen wegen Instandsetzungsarbeiten unbenutzten Flügel des Hotels ausgebreitet es wurde ein Krankenwagen gesehen der wie man später erfuhr zwei Arbeiter mit schweren Rauchvergiftungen ins Krankenhaus gebracht hat das Peking-Hotel befindet sich an einer großen Durchgangsstraße durch das Stadtzentrum Chang An Jie nicht weit vom Tiananmen-Platz es wird hauptsächlich von ausländischen Delegationen Gästen der chinesischen Regierung und Diplomaten besucht nur selten beherbergt es auch Touristen vor einigen Tagen sind hier die amerikanischen Black Panther während ihres Chinabesuchs abgestiegen

sie ist jetzt fertig mit dem Duschen sie kommt aus dem Bad eingehüllt in ein Handtuch vielleicht ein gelbes er ist noch da sitzt auf dem Bett auf dem Boden überall verstreut die Zeitungen sie ist reingekommen und trocknet sich mit dem Handtuch ab und jetzt ist es nötig zu reden sie beginnen zu reden um die Geschehnisse zu kommentieren um über die Sache zu diskutieren zu besprechen was zu tun ist welche Initiativen zu ergreifen sind mit wem sie Kontakt aufnehmen sollen vielleicht gibt es da auch noch Zweifel ob es sich wirklich um ihn handelt aber im Grunde haben sie keine Zweifel mehr sie verhalten sich zumindest so als ob sie keine hätten auch wenn sie die Möglichkeit noch offen lassen dass er es nicht ist doch das ist mehr Hoffnung als Zweifel

plötzlich läutet es an der Tür und beide verstummen ein Reflex der sie verstummen lässt alle Muskeln sind angespannt sie verharren regungslos sie lauschen und überlegen sofort wer das sein könnte möglicherweise eine Hausdurchsuchung vielleicht verhaften sie dich man kann nie wissen und wenn es wahr ist wenn der auf dem Foto wirklich er ist dann ist in diesem Moment alles möglich weil damals auch alles Mögliche passierte es war ihnen schon lange klar in jener Zeit war alles möglich und alles Mögliche passierte sie wussten es und hatten sich darauf vorbereitet aber eine Geschichte wie diese schien nicht möglich zu sein und man konnte sich nicht vorstellen was jetzt noch alles geschehen könnte

als es an der Tür läutete diskutierten sie gerade da war diese Diskussion eine schwierige Diskussion die fast zu einem Streit wurde da sie Entscheidungen treffen mussten und weil da diese starke Anspannung war vor allem aber weil gerade wegen dieser Anspannung und des Entscheidungsdrucks etwas aus ihr herausbrach was sie bisher zwar nicht versteckt hatte denn sie versteckte niemals etwas was sich vielmehr die ganze Zeit in ihr versteckt hatte und bis zu diesem Moment nur latent vorhanden gewesen war es war ein Groll ein Zorn eine Sache die sie jetzt in die Konfrontation mit ihm trieb allem was er sagte vorschlug oder auch nur fragte zu widersprechen weil er es war der sie fragte ihr etwas vorschlug und das in einer solchen Situation in der sie sich plötzlich fragte was sie eigentlich darin verloren hatte

nicht aus Angst denn sie hatte vor nichts Angst ihre Unbekümmertheit war groß auch weil es den anderen damals genauso ging dieser Widerspruch der in ihr keimte dass etwas in ihr vielleicht zum ersten Mal rebellierte sie fühlte sich was ihr erst einige Zeit später bewusst wurde wieder gezwungen Entscheidungen zu treffen die nicht ihre Entscheidungen waren nicht weil sie sich lieber anders entschieden hätte sondern weil diese Entscheidungen auf einem Terrain fielen das nicht das ihre war wo ihr die Spielregeln aufgezwungen wurden alles war nur Gewalt gegen die sie das spürte sie jetzt ganz deutlich in jedem Fall und unerbittlich rebellieren musste die Türklingel läutete wieder sie läutete noch einmal und da sagt er du bleibst hier und ich mache auf

Tags : ,