Geschrieben am 3. Februar 2019 von für Crimemag, CrimeMag Februar 2019

Netflix-Serie „Murder Mountain“

Das Samaragd-Dreieck

Günther Grosser über eine Netflix-Serie aus Humboldt Country

Humboldt County ist ein Landkreis in Nordkalifornien, viermal so groß wie das Saarland, allerdings mit gerade einmal einem Zehntel der Einwohner, ein hügeliges Waldgebiet, fünf Autostunden von San Francisco, das wegen seiner billigen Bodenpreise und seiner Abgeschiedenheit seit den 1970er Jahren große Anziehungskraft auf die Counterculture der Bay Area ausübte. Hippiekommunen zogen von dort nach Norden und unternahmen den Versuch, alternative Lebensformen auf soliden Grund und Boden zu stellen, und viele hatten tatsächlich eine sehr lange Lebensdauer. Zum Ausstieg gehörten auch Drogen wie LSD und Marihuana, und schnell sprach sich herum, dass man Cannabis, Gras, Pot, Dope dort oben sehr gut anbauen, ja dass man damit ohne weiteres seinen Lebensunterhalt – und mehr – verdienen kann. In den Jahrzehnten vor der Legalisierung von Marihuana in Kalifornien am 1. Januar 2018 kamen 60% des amerikanischen Cannabis aus Humboldt-County.

Wo viel Schwarzgeld gemacht wird, sind Gewalt und Kriminalität nicht weit, und Humboldt County erlangte traurige Berühmtheit dafür, der amerikanische Landkreis mit den meisten Verschwundenen und Vermissten zu sein.

Eine sechsteilige Netflix-Serie von Joshua Zeman über die Suche nach dem 29jährigen Garret Rodriguez trägt den Titel „Murder Mountain“ nach einem Landstrich, in dem es vor einigen Jahren zu einer Reihe von Morden im Marihuana-Milieu kam, unter anderem an Rodriguez, der nach Humboldt County kam, um schnell viel Geld zu verdienen und dabei an die falschen Leute geriet. Über zahlreiche Interviews mit Beteiligten, Anwohnern, Behörden und Familienmitgliedern fächert Zeman die Mordserie ganz im Stil einer True Crime-Reportage auf und unterlegt sie mit der weitaus faszinierenderen Sozialstudie über die Cannabis-Bauern in Humboldt County, jene Aussteiger, die sich am 1. Januar 2018 urplötzlich mit der paradoxen Situation konfrontiert sahen, dass die Legalisierung von Marihuana – und damit ihrer Geschäfte – sie ruinieren würde.

Aber auch der größte True Crime-Anhänger wird ermüden, wenn man ihm die gleichen nachgestellten Bilder eines Mordes zum zwanzigsten Mal serviert, um ein weiteres, längst überflüssig gewordenes Interview zu illustrieren, und nach vier Stunden immer noch nicht sehr viel weiter gekommen ist. Und so büßt die Serie nach und nach ihren Biss ein, verliert sich mit den immer gleichen Hubschrauberflügen über ewige Wälder und spektakuläre Flusstäler und Pickup-Fahrten vorbei an Cannabisfeldern, untermalt mit suggestiv wummernder Musik im rein Spekulativen.

Die Serie lohnt sich jedoch in den Teilen, wo sie das Porträt der frühen Aussteiger und ihrer Nachfolger zeichnet, die sich über Jahrzehnte eine Parallelwelt draußen in den Wäldern schufen, sie mit Marihuana finanzierten und sich dabei nicht als Kriminelle sondern als Outlaws verstanden, weil sie zwar gegen Gesetze verstießen, außer dem Staat jedoch niemand zu Schaden kam. Weder Nixons und Reagans „War on Drugs“ mit seinen überfallartigen Attacken der Polizeibehörden und dem Niederbrennen zahlreicher Plantagen in den 80er Jahren noch die kriminellen Methoden späterer Banden konnten sie vertreiben. Die Legalisierung von Cannabis allerdings bringt nun die großen Corporations auf den Plan, die den Milliardenmarkt wittern und riesige Flächen bepflanzen. Das werden die wenigsten Aussteiger überstehen.

Günther Grosser

Infos bei Netflix. Bei Wikipedia.

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