
Der Thrill der Sammler auf der Jagd nach rasanten Raritäten
Ein grandioses zweibändiges Werk führt durch eine hundertjährige Automobilgeschichte. In „Ultimate Collector Cars“ erzählen betörende Bilder röhrender Renn-Boliden, kurvenreich-verspielter Art-Deco-Sportwagen und ultramoderner Hi-Tech-Speedster die Geschichten faszinierender Raritäten. Die beiden Design-und Kunstexperten Charlotte und Peter Fiell (die an die 60 Bücher veröffentlicht haben) liefern aber nicht nur Hintergrund-Geschichten zu einhundert Sport- und Rennwagen vom 40 PS-Mercedes Simplex (1903) bis zum 1036 PS starken McLaren-Karbonfaser Super-Renner (2020) mit fünf Cockpit-Bildschirmen. In Interviews mit Kuratoren, Sammlern, Veranstaltern, Juroren und Auktionatoren versuchen sie auch, die Jäger-Mentalität von Sammlern zu eruieren, die Attraktivität von Schönheits-Wettbewerben wie Pebble Beach zu erklären und die seit Jahren kontrovers diskutierte Frage „Restauration oder Neuaufbau?“ zu klären. Und da in den Interviews mit hochkarätigen Experten auch die mit Walter Gropius verbundene Bauhaus-Thematik einer „ganzheitlichen Ästhetik“ von Kunst und Technik angeschnitten wird, lassen die beiden zusammen 906 Seiten dicken Prachtbände kaum eine Fragen zur Automobilhistorie mehr offen. – Ein Fahr- und Lesebericht von Peter Münder.

Von „Driveable Art“ sprechen begeisterte Sammler, wenn sie über ihre Lieblingsmodelle schwärmen: Einen Monet oder einen van Gogh könne man ja nur anstarren und bewundern, während man mit einem Ferrari 250 GTO von 1962 (12-Zylinder, 297 PS, 3 Liter Hubraum, Vmax 250 km/h) oder einem 4,5 Liter Bentley-Blower von 1929 (4 Zylinder, 240 PS, Vmax 193 km/h) ein einzigartiges Fahrerlebnis, den ästhetischen Hochgenuss einer perfekten Technik und exzellenter künstlerischer Handwerksarbeit bewundern könne, betonen diese Experten, die selbst Besitzer und Sammler von Classic Cars sind und Kunden beraten, wenn diese neue Objekte ankaufen wollen oder Informationen zur Pflege und Wartung ihrer Automobile benötigen.

Im Classic-Car-Kontext über Kunstwerke zu sprechen liegt nahe, weil die Auktionen für Interessenten seltener Oldtimer mit ähnlich extremen Preisentwicklungen aufwarten wie bei hochklassigen Kunstauktionen. Und der so oft erwähnte Ferrari 250 GTO ist ja immer noch das teuerste Auto der Welt: Er wurde 2018 für 70 Millionen Dollar versteigert. Ähnlich wie bei Kunstliebhabern gibt es Investoren, die auf maximale Renditesteigerungen erpicht sind und statt Aktien eben seltene, begehrte Classic Cars erwerben. In den Interviews werden diese unterschiedlichen Aspekte angesprochen: Kann ein auf maximale Renditesteigerung erpichter Classic-Car-Käufer überhaupt ein echter Sammler sein?

Der Schotte John Collins, einer der bekanntesten Sammler, Händler und Classic-Car-Experten, der im Laufe der Jahre die stolze Zahl von 1750 klassische Ferraris, davon 250 GTOs, verkauft und inzwischen die Umsatzmarke von einer Milliarde Dollar geknackt hat, erklärt im Interview, immer als „Collector“ und nicht wie ein „Dealer“ gehandelt zu haben. Mit 15 Jahren beendete Collins seine Schul-Karriere, wurde Fotograf und Reporter in London und gründete seine Firma Talarest für Oldtimer-Enthusiasten, die sich ähnlich wie Aktionäre an seinen Raritäten beteiligen und schon mit eintausend Pfund einkaufen können. 2016 wurde er mit dem „Queen’s Award for Enterprise“ ausgezeichnet. Er habe immer nur Classic Cars gekauft, die ihm gefielen und nicht wegen einer möglichen Rendite-Maximierung, erklärt er.

Zum Ferrari-Fan wurde er schon als Teenager, als er die TV-Serie „The Persuaders!“ mit Tony Curtis und Roger Moore sah (bei uns bekannt als „Die 2“) und unbedingt auch so einen sagenhaften Ferrari-Dino fahren wollte wie das bekannte Duo. Der Thrill des Sammlers auf der Jagd packt ihn immer noch: Collins plädiert dafür, beim Kauf eines verlockenden Exoten dem Bauchgefühl zu vertrauen. Und den nächsten Trend sagt er auch voraus: Seiner Ansicht nach entwickeln immer mehr Sammler jetzt Interesse an „Youngtimern“ – also 30 bis 40 Jahre alten Automobilen.
Nostalgie, Ästhetik und Technik
Wie kann man überhaupt die Mentalität von Sammlern bzw. ihren Thrill bei der Jagd nach dem „Ultimate Classic Car“ charakterisieren? Peter Fiell hat dazu den amerikanischen Neurologen und begeisterten Sammler Frederick Simeone befragt. Der wurde schon früh vom Vater auf seine Oldtimer-Affinität gelenkt, als Daddy ihm einen seltenen Alfa 6C 2500 schenkte. Simeone stellt seine Sammlung von 75 Classic Cars seit 2008 in seinem Simeone Foundation Automotive Museum in Philadelphia aus und ist immer noch bestens vertraut mit dem Thrill des Raritäten-Jägers: Man müsse ja kein Neurologe sein, um zu erkennen, dass bei der Jagd nach dem Objekt der Begierde Glücks-Hormone mobilisiert würden, die ein auf Renditemaximierung versessener Investor nie empfinden könnte, konstatiert er. Er gehört zur Fraktion begeisterter Rennsportler und ist überzeugt, dass die Competition-DNA von Rennwagen wesentlicher Bestandteil westlicher Kultur sei. Und die Sammel-Leidenschaft sei von den drei Komponenten Nostalgie, Ästhetik und Technik beeinflusst: Die Automobile und die internalisierten ästhetischen Impressionen unserer Kindheit würden unsere Sammel-Interessen beeinflussen. Das trifft bei ihm selbst auch zu: Das Lieblings-Exponat seiner Sammlung ist immer noch ein Alfa Romeo – aber nicht mehr ein Typ 6C wie der von Daddy, sondern der Mille Miglia-Sieger 8C 2900B MM Spider.

Hundert Classic Cars auf neunhundert Seiten
Charlotte und Peter Fiell stellen insgesamt einhundert seltene Sammler-Modelle mit ihrer dazugehörigen ausführlichen „Biographie“ vor. Dabei berücksichtigen sie sowohl Exoten wie den legendären Indianapolis-Marmon Wasp von 1910 (6-Zylinder, 110 PS, V-max 121 km/h, erster Rennwagen mit Rückspiegel) oder den Mille Miglia-BMW-328„ Bügelfalte“ von 1937 (6-Zylinder, 130 PS, V-max 200 km/h, nur 1 Exemplar gebaut). Von den begehrtesten Sammler-Marken wie Ferrari, Bugatti, Mercedes, Porsche, Aston Martin, Lamborghini etc. werden jeweils mehrere Modelle beschrieben: von Ferrari fünfzehn Typen, von Bugatti sechs, von Mercedes zehn, von Porsche acht. Die chronologisch von den Jahren 1900-2020 sortierten Beiträge (Mercedes Simplex bis zum McLaren Speedtail) sind nach Dekaden angeordnet.



Zum Beispiel der 250 GTO: Seine Entstehungsgeschichte inklusive des Konflikts zwischen den Konstrukteuren Bizzarini und Bertone wird auf mehreren Seiten mit fabelhaften Photos vorgestellt, die Rennerfolge (Targa Florio 1964, GT Weltmeister 1962, 1963, 1964, Ancona Bergrennen) werden gewürdigt und es wird schnell nachvollziehbar, dass der bei Rennen eingesetzte (das O im GTO steht für Omologia = Renn-Homologierung) Gran Tourismo eben auch als Alltags-Auto für die Fahrt zum Bäcker einsetzbar ist – obwohl es dort sicher zur Rudelbildung von Schaulustigen kommt, die das fahrende GTO-Kunstwerk bestaunen wollen. Hier werden also nicht nur technische Details wiedergegeben, sondern auch besondere Ereignisse und Geschichten der Marken beschrieben, die ein spezifisches Modell besonders interessant und attraktiv für Sammler machen.
Ideale Inkarnation von „Speed with Silence“ durch die Rolls-Royce-Kühlerfigur
Das Prinzip „Total Immersion“ wird hier mit einmaligen Fotos und erhellenden Hintergrund-Infos auf die Spitze getrieben, um das Lustprinzip für Ästheten und Technik-Afficionados bis zum Limit auszukosten. Dementsprechend mitreißend ist der Sog, in den man als Petrolhead gezogen wird: Auf sechs, acht oder auch zehn Seiten wird jedes Collector-Modell vorgestellt, wobei schon die opulente Illustration zum extravaganten Kunstwerk gerät: Wo findet man sonst schon bis in subtilste Schraubenwindungen hinein dermaßen großformatig präsentierte Armaturenbretter, Kühlerhauben oder Einblicke in die gigantischen Kraftwerke der Boliden (Mercedes SSK-Kompressor von 1929!! Alfa Romeo G1 Spider Corsa von 1921!!) oder die silberne Rolls-Royce-Ikone „Emily“ so dynamisch-beflügelnd vorgeführt? Und endlich auch einmal eine Erklärung dafür, was diese „Spirit of Ecstasy“-Figur für Rolls-Royce verkörpern sollte? Der 50 PS- starke „Silver Ghost“ London-Edinburgh-Tourer von 1912 (7,2 Liter Hubraum, V-max 163 km/h) demonstrierte mit der vom Bildhauer Charles Sykes ein Jahr zuvor angefertigten Kühlerfigur, was den beiden Perfektionisten Rolls und Royce vorschwebte, als sie Sykes beauftragten, dieses beflügelte Symbol weiblicher Grazie und Dynamik anzufertigen: „Speed with silence, absence of vibration, the mysterious harnessing of great energy and a beautiful living organism of superb grace.“ Großartig, wie wir hier auch beiläufig erfahren, wie das Modell hieß, das Bildhauer Sykes damals abbildete: Es war die Schauspielerin Eleanor Velasco Thornton.
Auf seiner 800-Meilen-Tour von London nach Edinburgh und zurück hatte der Silver Ghost es 1912 tatsächlich geschafft, eine Symbiose eigentlich unvereinbarer Eigenschaften zu verwirklichen: Im höchsten Gang knüppelte Testfahrer Ernest Hives den „Silver Ghost“ mit enormem Tempo pannenfrei über miserable Pisten, hatte dabei einen minimalen Spritverbrauch und konnte nebenher noch auf der Rennstrecke von Brooklands einen Schnitt von 125 km/h erzielen.
Wesentlich exotischer und verspielter ist der hier ebenfalls beschriebene Rolls-Royce Phantom 1 Jockheere Coupe von 1925 (6-Zylinder, 8-Liter Hubraum, 108 PS, V-max 140 km/h). Es ist die Spezialanfertigung eines belgischen Wagenbauers im schönsten Art Deco-Stil: Die runden Türen sind mit fächerartigen Streben versehen, das steil abfallende Heck ziert eine Art Haifischflosse, die Polster sind weinrot – vor der Pariser Moulin-Rouge-Kulisse wäre dieses spektakuläre Vehikel wohl im natürlichen Habitat. Maßgeschneidert war die Karosserie ursprünglich für einen indischen Maharadscha, dann verrottete die Nobel-Karosse jahrelang auf einem Schrottplatz in New Jersey, um dann noch eine Metamorphose als Jahrmarkts-Attraktion in den USA zu erleben – im Goldpuder-Look von Schaulustigen für einen Dollar zu besichtigen.

In ihren Interviews wollten Charlotte und Peter Fiell von den befragten Sammlern und Classic-Car-Experten wissen, welchen Klassiker sie am meisten verehren oder noch gern erwerben würden. Ich würde einen Delahaye Typ 135 Competition von 1939 wählen, der ähnliche Alltags-Qualitäten hat wie ein Ferrari GTO: Der 6-Zylinder mit 140 PS war einer der schnellsten seiner Zeit, gewann in Le Mans, und wurde von englischen Piloten wie Rob Walker 1939 auf eigener Achse von London aus nach Le Mans und wieder zurück nach England gefahren. Sein robuster, fast unverwüstlicher Motor war aus einem Lkw-Motor entwickelt worden: Eine optimale, rustikal-rasante Mischung. Kein Wunder, dass die französische Marke Delahaye hier auch so einfühlsam gewürdigt wird.
Diese beiden Bände sind extrem beeindruckend: Die ästhetisch-technische Symbiose dieser fahrbaren Kunstwerke wird mit herausragenden Fotos perfekt vermittelt, während die Begleit-Texte und Interviews möglichst weit über den Tellerrand blicken, um den jeweiligen Stand der Technik zu erfassen, aktuelle Entwicklungen anzusprechen und praktisch-kommerzielle Aspekte zu berücksichtigen. Die liebevolle Gestaltung der Bände ist ebenso beeindruckend wie das umfassende Literatur- und Namens-Register. Noch nie habe ich eine so perfekt und mitreißend inszenierte „Total Immersion“ genossen wie hier beim Eintauchen in die faszinierende Welt seltener Collector Cars.
Charlotte & Peter Fiell: Ultimate Collector Cars. 2 Bände im Schuber. Verlag Benedikt Taschen, Köln 2021. Format 28,1 x 36 cm, Gewicht 11,10 kg. 904 Seiten, 200 Euro. – Verlagsinformationen hier.




