Geschrieben am 15. November 2018 von für Crimemag, CrimeMag November 2018

Peter Münder über D.B. John „Stern des Nordens“

U1_978-3-8052-0332-6_Simulation.inddHunger, Folter, KZ und Zwangsarbeit: Danke, geliebter Führer!

Der walisische Autor D.B. John hatte 2012 Nordkorea  besucht – die aufwühlenden, irren und deprimierenden  Eindrücke, vor allem auch die wahnwitzigen Propagandalügen während dieses Trips inspirierten ihn zum Thriller „Stern des Nordens“. Ein faszinierender Höllenritt für den Leser, der eintaucht in apokalyptische Szenen und sich gleichzeitig  mit 007-ähnlichen Verfolgungsjagden konfrontiert sieht – Von Peter Münder.

Er wollte mehrmals laut „Lüge“ schreien, berichtet D.B. John im Nachwort seines Thrillers „Stern des Nordens“, weil die permanent auf ihn einprasselnden Propagandalügen während seines zweiwöchigen Nordkorea-Besuchs  einfach unerträglich waren. Aber das unterließ er dann doch, weil er brutale Strafen der Organisatorin für die Guides befürchtete. Der Süden soll den Koreakrieg (1950-1953) angefangen haben? Der Bevölkerung geht es blendend und sie verehrt den geliebten Führer über alles? Das ist natürlich lächerlich, aber für Nordkoreaner zur unantastbaren Wahrheit geworden, die nur Lebensmüde in Frage stellen würden. Für den Ko-Autor der nordkoreanischen Fluchtstory „Schwarze Magie“ von Hyenseo Lee war es auch unerträglich, vor Dutzenden von bombastischen Kim-Il-Sung-Statuen auf die Knie zu fallen, um den erwarteten ritualisierten Kotau abzuliefern. DB John hat übrigens länger in Südkorea gelebt und kennt sich also in diesem Umfeld gut aus.

Auf der ebenso deprimierenden wie menschenverachtenden Ausgangslage eines selbstherrlichen diktatorischen Systems, das  sich mit Brainwashing, Folter und KZ-Terror an der Macht hält, baut D.B. John sein Roman-Szenario auf. Drei Handlungsstränge werden zusammengeführt, die sich aus der Entführung der afro-koreanischen Studentin Soo-min aus einer südkoreanischen Bucht im Jahr 1998 ergeben. Sie ist die Zwillingsschwester von Jenna Williams, der eigentlichen Heldin dieses Thrillers: Jenna war nach dem mysteriösen Verschwinden ihrer Schwester schwer traumatisiert, boxte sich aber trotzdem eisern durch Schule, Studium und andere Härtetest-Hürden.

Der Roman setzt im Jahr 2010 ein und zeigt die in Georgetown an der Uni lehrende Jenna als brillante Analytikerin nordkoreanischer Verhältnisse. Sie ist außerdem eine rabiate, auf Taekwondo spezialisierte Kampfmaschine. Um ihre vermisste Schwester in Nordkorea aufzuspüren, lässt sie sich vom CIA anheuern und absolviert  für eine geheime Mission das volle knallharte Ausbildungsprogramm. Wie John dann die Verbindung zum   linientreuen nordkoreanischen Top-Kader Cho Sang-ho und der 60jährigen Marktverkäuferin aus der nordkoreanischen Provinz Frau Moo herstellt, ist sehr elegant eingefädelt  und spannend. John spinnt daraus sein Spy-Thriller-Garn und konstruiert einen  Plot mit Entführung, Verfolgung von Abweichlern und in Ungnade gefallenen Kadern (wegen dubioser Ahnen, die für die Yankees spionierten!) sowie der von Jenna durchgeführten CIA-Rettungs-Aktion. Die düsteren Szenarios von Arbeitslagern, Folterpraktiken und Experimenten  mit tödlichen Chemikalien  kontrastiert John mit dramatischen Verfolgungsjagden, Taekwondo-Wirbeln und MG-Salven, die sogar James Bond beeindruckt hätten.  

Aber dieses furiose Finale erleben wir erst am Schluß, wenn die Drehzahl schon in den roten Bereich hochgeschnellt  ist und die Jagd auf den  abtrünnig gewordenen hohen Kader Cho sich über die chinesische Grenze ausgeweitet hat. Da hat  Jenna die Suche nach ihrer verschleppten Zwiliingsschwester bereits mit  der Rettungs-Mission für Cho kombiniert. Den ultimativen  Klimax liefert der  dramatische Showdown von Jenna mit dem geliebten Führer in seinem Luxus-Zug „Stern des Nordens“.  Nach der Devise „You only live twice“ muß Jenna  eine Killer-Performance gegen mehrere  Body-Guards überstehen.

DB John hat in einem Interview (im Anhang des Romans wiedergegeben) erklärt, dass er seinen Lesern neben der Darstellung nordkoreanischer Brutalo-Exzesse auch  möglichst  viel „Fun“ bereiten möchte. Der Fan klassischer Spionage-Romane meint damit Plots im Stil von John le Carré oder William Boyd („Restless“), auch „Blowing my Cover – My Life as a CIA Spy“ zählt er zu seinen Top Five Spy Thrillern. Er präsentiert aber in seinem dramatischen Finale Pyrotechnik, Budenzauber und mörderische Kampfsport-Variationen, die er  zum maximalen Effekt verdichtet. Kein Wunder, dass  der auf harte spektakuläre Actionszenen kaprizierte Lee Child den „Stern des Nordens“ euphorisch lobte.      

Mit Komik zur Katharsis

Den Aufstieg und tragischen Fall des hohen Muster-Kaders Cho, der es bis in den engsten Kreis um den „geliebten Führer“ geschafft hat und sogar einen Staatsbesuch in New York (mit Falschgeld und Drogen im Diplomatengepäck) absolvieren darf, beschreibt John als emotionale Achterbahnfahrt: Das elitäre Gehabe des Funktionärs ist zwar ganz auf Status-Symbole, Powerplay und Bespitzelung aller Kollegen fixiert, aber er hat ein auflockerndes Erweckungserlebnis bei seinem New York-Besuch, das ihn in regimekritische Grübelei driften lässt. Der lässige Habitus der New Yorker, ihr unverkrampfter Umgang mit den an ihren Anstecknadeln  leicht erkennbaren koreanischen Ultras führen bei Cho besonders nach der Begegnung mit der attraktiven  Jenna zu einem Tsunami gemischter Gefühle. In diesen Culture-Clash Szenen läuft  John zu großer Form auf und erzielt mit komischen Effekten eine flotte  Katharsis.

Zum Beispiel so: Da Cho vom geliebten Führer und dessen weisen Einsichten  lernte, den teuflisch-kapitalistischen Yankee-Unholden niemals Trinkgeld in den Rachen zu stopfen, will er einem New Yorker Hoteldiener stattdessen ein Taschenbuch mit den großartigsten Episoden aus dem Leben von Kim Il-Sung überreichen. Und im Restaurant kann er den Verzehr eines köstlichen Hamburgers vor den linientreuen Kadern damit rechtfertigen, dass der geliebte Führer selbst ja das „Doppelbrötchen mit Fleisch“ erfunden hatte: „Die Yankees sind zu allem fähig. Ziemlich sicher haben sie die Idee von uns gestohlen.“ Peinlich ist dann  allerdings, dass Kellner und Sicherheitsleute die koreanische Truppe nach Bezahlung der Rechnung auf der Straße anhalten, weil die brandneuen  Dollarnoten der Koreaner in Pjöngyang gedruckt wurden. Könnte aus einem Monty-Python-Sketch stammen …

Aktuelle Bezüge zu den Erpressungsmanövern und Drohgebärden des nordkoreanischen Raketen-Fans Kim Jong Un („Little Rocket Man“) hat John geschickt  kombiniert mit Jennas visionärem Polit-Szenario, das sogar den US-Präsidenten fasziniert: Nämlich auf zukünftige  Kooperation statt auf Konfrontation mit Nordkorea  zu setzen. Das würde die Diktatur so extrem destabilisieren, dass der geliebte Führer davongejagt würde …

Irritierend ist allerdings, dass etliche Schwarz-Weiss-Kontraste von John so simpel gestrickt sind: Hunger, Zwangsarbeit und Terror in Nordkorea, Milch und Honig in den USA und ein Präsident, der sich sogar die Mühe macht, die Meisterspionin Jenna selbst anzurufen, um ihr zu ihrem Entwurf eines New Deal mit Nordkorea zu gratulieren – was  Jenna so begeistert und perplex zur Kenntnis nimmt wie ein US-Teenager, der von Grandpa zum Truthahn-Essen eingeladen wird. 

Aber dennoch: Johns überraschender Mix aus  tragischen Episoden,  Kolportage, Komik und daraus resultierender Katharsis liefert ja auch  eine furchtbare, aber eindrucksvolle realistische Bestandsaufnahme aus einem apokalyptisch anmutenden Straflager. Er will Sozialkritik, Spy Thriller und Infotainment miteinander verschmelzen, was das Genre zwar gelegentlich überfordert. Aber sein Thriller liefert dennoch elektrisierende und streckenweise amüsante Episoden, die uns eintauchen lassen in einen abschreckenden Gulag. Solch ein riskantes, insgesamt dann doch gelungenes Experiment würde wohl kaum ein anderer Autor wagen. 

PS: Der ausführliche Anhang mit historischen Daten, Kartenmaterial und Interview ist einfach fabelhaft und vorbildlich

Peter Münder

D.B. John: Stern des Nordens (Star of the North, 2017). Aus dem Englischen von Karen Witthuhn und Sabine Längsfeld. Wunderlich Verlag, Hamburg 2018. 558 Seiten, 24 Euro.

Peter Münders Texte bei CrimeMag und CulturMag.

Tags : , , , ,