Hunger, Folter, KZ und Zwangsarbeit: Danke, geliebter Führer!
Der walisische Autor D.B. John hatte 2012 Nordkorea besucht – die aufwühlenden, irren und deprimierenden Eindrücke, vor allem auch die wahnwitzigen Propagandalügen während dieses Trips inspirierten ihn zum Thriller „Stern des Nordens“. Ein faszinierender Höllenritt für den Leser, der eintaucht in apokalyptische Szenen und sich gleichzeitig mit 007-ähnlichen Verfolgungsjagden konfrontiert sieht – Von Peter Münder.
Er wollte mehrmals laut „Lüge“ schreien, berichtet D.B. John im Nachwort seines Thrillers „Stern des Nordens“, weil die permanent auf ihn einprasselnden Propagandalügen während seines zweiwöchigen Nordkorea-Besuchs einfach unerträglich waren. Aber das unterließ er dann doch, weil er brutale Strafen der Organisatorin für die Guides befürchtete. Der Süden soll den Koreakrieg (1950-1953) angefangen haben? Der Bevölkerung geht es blendend und sie verehrt den geliebten Führer über alles? Das ist natürlich lächerlich, aber für Nordkoreaner zur unantastbaren Wahrheit geworden, die nur Lebensmüde in Frage stellen würden. Für den Ko-Autor der nordkoreanischen Fluchtstory „Schwarze Magie“ von Hyenseo Lee war es auch unerträglich, vor Dutzenden von bombastischen Kim-Il-Sung-Statuen auf die Knie zu fallen, um den erwarteten ritualisierten Kotau abzuliefern. DB John hat übrigens länger in Südkorea gelebt und kennt sich also in diesem Umfeld gut aus.
Auf der ebenso deprimierenden wie menschenverachtenden Ausgangslage eines selbstherrlichen diktatorischen Systems, das sich mit Brainwashing, Folter und KZ-Terror an der Macht hält, baut D.B. John sein Roman-Szenario auf. Drei Handlungsstränge werden zusammengeführt, die sich aus der Entführung der afro-koreanischen Studentin Soo-min aus einer südkoreanischen Bucht im Jahr 1998 ergeben. Sie ist die Zwillingsschwester von Jenna Williams, der eigentlichen Heldin dieses Thrillers: Jenna war nach dem mysteriösen Verschwinden ihrer Schwester schwer traumatisiert, boxte sich aber trotzdem eisern durch Schule, Studium und andere Härtetest-Hürden.
Der Roman setzt im Jahr 2010 ein und zeigt die in Georgetown an der Uni lehrende Jenna als brillante Analytikerin nordkoreanischer Verhältnisse. Sie ist außerdem eine rabiate, auf Taekwondo spezialisierte Kampfmaschine. Um ihre vermisste Schwester in Nordkorea aufzuspüren, lässt sie sich vom CIA anheuern und absolviert für eine geheime Mission das volle knallharte Ausbildungsprogramm. Wie John dann die Verbindung zum linientreuen nordkoreanischen Top-Kader Cho Sang-ho und der 60jährigen Marktverkäuferin aus der nordkoreanischen Provinz Frau Moo herstellt, ist sehr elegant eingefädelt und spannend. John spinnt daraus sein Spy-Thriller-Garn und konstruiert einen Plot mit Entführung, Verfolgung von Abweichlern und in Ungnade gefallenen Kadern (wegen dubioser Ahnen, die für die Yankees spionierten!) sowie der von Jenna durchgeführten CIA-Rettungs-Aktion. Die düsteren Szenarios von Arbeitslagern, Folterpraktiken und Experimenten mit tödlichen Chemikalien kontrastiert John mit dramatischen Verfolgungsjagden, Taekwondo-Wirbeln und MG-Salven, die sogar James Bond beeindruckt hätten.
Aber dieses furiose Finale erleben wir erst am Schluß, wenn die Drehzahl schon in den roten Bereich hochgeschnellt ist und die Jagd auf den abtrünnig gewordenen hohen Kader Cho sich über die chinesische Grenze ausgeweitet hat. Da hat Jenna die Suche nach ihrer verschleppten Zwiliingsschwester bereits mit der Rettungs-Mission für Cho kombiniert. Den ultimativen Klimax liefert der dramatische Showdown von Jenna mit dem geliebten Führer in seinem Luxus-Zug „Stern des Nordens“. Nach der Devise „You only live twice“ muß Jenna eine Killer-Performance gegen mehrere Body-Guards überstehen.
DB John hat in einem Interview (im Anhang des Romans wiedergegeben) erklärt, dass er seinen Lesern neben der Darstellung nordkoreanischer Brutalo-Exzesse auch möglichst viel „Fun“ bereiten möchte. Der Fan klassischer Spionage-Romane meint damit Plots im Stil von John le Carré oder William Boyd („Restless“), auch „Blowing my Cover – My Life as a CIA Spy“ zählt er zu seinen Top Five Spy Thrillern. Er präsentiert aber in seinem dramatischen Finale Pyrotechnik, Budenzauber und mörderische Kampfsport-Variationen, die er zum maximalen Effekt verdichtet. Kein Wunder, dass der auf harte spektakuläre Actionszenen kaprizierte Lee Child den „Stern des Nordens“ euphorisch lobte.
Mit Komik zur Katharsis
Den Aufstieg und tragischen Fall des hohen Muster-Kaders Cho, der es bis in den engsten Kreis um den „geliebten Führer“ geschafft hat und sogar einen Staatsbesuch in New York (mit Falschgeld und Drogen im Diplomatengepäck) absolvieren darf, beschreibt John als emotionale Achterbahnfahrt: Das elitäre Gehabe des Funktionärs ist zwar ganz auf Status-Symbole, Powerplay und Bespitzelung aller Kollegen fixiert, aber er hat ein auflockerndes Erweckungserlebnis bei seinem New York-Besuch, das ihn in regimekritische Grübelei driften lässt. Der lässige Habitus der New Yorker, ihr unverkrampfter Umgang mit den an ihren Anstecknadeln leicht erkennbaren koreanischen Ultras führen bei Cho besonders nach der Begegnung mit der attraktiven Jenna zu einem Tsunami gemischter Gefühle. In diesen Culture-Clash Szenen läuft John zu großer Form auf und erzielt mit komischen Effekten eine flotte Katharsis.
Zum Beispiel so: Da Cho vom geliebten Führer und dessen weisen Einsichten lernte, den teuflisch-kapitalistischen Yankee-Unholden niemals Trinkgeld in den Rachen zu stopfen, will er einem New Yorker Hoteldiener stattdessen ein Taschenbuch mit den großartigsten Episoden aus dem Leben von Kim Il-Sung überreichen. Und im Restaurant kann er den Verzehr eines köstlichen Hamburgers vor den linientreuen Kadern damit rechtfertigen, dass der geliebte Führer selbst ja das „Doppelbrötchen mit Fleisch“ erfunden hatte: „Die Yankees sind zu allem fähig. Ziemlich sicher haben sie die Idee von uns gestohlen.“ Peinlich ist dann allerdings, dass Kellner und Sicherheitsleute die koreanische Truppe nach Bezahlung der Rechnung auf der Straße anhalten, weil die brandneuen Dollarnoten der Koreaner in Pjöngyang gedruckt wurden. Könnte aus einem Monty-Python-Sketch stammen …
Aktuelle Bezüge zu den Erpressungsmanövern und Drohgebärden des nordkoreanischen Raketen-Fans Kim Jong Un („Little Rocket Man“) hat John geschickt kombiniert mit Jennas visionärem Polit-Szenario, das sogar den US-Präsidenten fasziniert: Nämlich auf zukünftige Kooperation statt auf Konfrontation mit Nordkorea zu setzen. Das würde die Diktatur so extrem destabilisieren, dass der geliebte Führer davongejagt würde …
Irritierend ist allerdings, dass etliche Schwarz-Weiss-Kontraste von John so simpel gestrickt sind: Hunger, Zwangsarbeit und Terror in Nordkorea, Milch und Honig in den USA und ein Präsident, der sich sogar die Mühe macht, die Meisterspionin Jenna selbst anzurufen, um ihr zu ihrem Entwurf eines New Deal mit Nordkorea zu gratulieren – was Jenna so begeistert und perplex zur Kenntnis nimmt wie ein US-Teenager, der von Grandpa zum Truthahn-Essen eingeladen wird.
Aber dennoch: Johns überraschender Mix aus tragischen Episoden, Kolportage, Komik und daraus resultierender Katharsis liefert ja auch eine furchtbare, aber eindrucksvolle realistische Bestandsaufnahme aus einem apokalyptisch anmutenden Straflager. Er will Sozialkritik, Spy Thriller und Infotainment miteinander verschmelzen, was das Genre zwar gelegentlich überfordert. Aber sein Thriller liefert dennoch elektrisierende und streckenweise amüsante Episoden, die uns eintauchen lassen in einen abschreckenden Gulag. Solch ein riskantes, insgesamt dann doch gelungenes Experiment würde wohl kaum ein anderer Autor wagen.
PS: Der ausführliche Anhang mit historischen Daten, Kartenmaterial und Interview ist einfach fabelhaft und vorbildlich
Peter Münder
D.B. John: Stern des Nordens (Star of the North, 2017). Aus dem Englischen von Karen Witthuhn und Sabine Längsfeld. Wunderlich Verlag, Hamburg 2018. 558 Seiten, 24 Euro.
Peter Münders Texte bei CrimeMag und CulturMag.