Geschrieben am 15. Februar 2018 von für Crimemag, CrimeMag Februar 2018

Regionalkrimi, exemplarisch

allgäu tile Kluftinger ua 91271a6GoyL-tileDas Allgäu als literarischer Raum

Von Joachim Feldmann

Am Anfang steht das 87. Polizeirevier. (Das stimmt natürlich nicht wirklich, aber irgendwo muss man ja beginnen.) Ed McBains Romane um eine Gruppe von Polizisten in der fiktiven amerikanischen Großstadt Isola werden von Maj Sjöwall und Per Wahlöö in den frühen sechziger Jahren ins Schwedische übersetzt. Das Autorenpaar beschließt, eine ähnliche Serie in Schweden anzusiedeln, allerdings beschränkt auf zehn Bände und politisch erheblich prononcierter. Die zwischen 1965 und 1975 erschienenen Kriminalromane um den Ermittler Martin Beck und seine Kollegen werden in Deutschland ab 1968 (in gekürzten Fassungen) als rororo-Thriller veröffentlicht. Die Mischung aus radikaler Systemkritik und spannender Unterhaltung verkauft sich glänzend.

feldmann sozio _SX320_BO1,204,203,200_Ende der sechziger Jahre entsteht auch das deutsche Pendant zum skandinavischen Vorbild, der „Soziokrimi“. (Genauer lässt sich das alles in Jürg Brönnigmanns Untersuchung „Der Soziokrimi: ein neues Genre oder ein soziologisches Experiment“, Wuppertal 2004, nachlesen.) Von Verbrechen und deren Aufklärung zum Zweck der Gesellschaftskritik zu erzählen, ist in dieser politisch bewegten Zeit ein Erfolgsrezept. Auflagen von 50.000 und mehr sind keine Seltenheit.

Mitte der achtziger Jahre, und nun kommen wir zum eigentlichen Zweck dieses – zugegeben ein wenig kruden – Exkurses in die literarische Evolution, entwickelt sich aus dem Soziokrimi ein neues Genre, dessen Erfolgsgeschichte mehr als drei Jahrzehnte später noch nicht an ihr Ende gelangt ist: der Regionalkrimi.

Feldmann Allgäu 001-1_Toedlicher_KluengelDas erste Exemplar der Gattung wird, „Tödlicher Küngel“ von Christoph Gottwald, wird, glaubt man den Zeitzeugen, bereits 1984 im Kölner Emons Verlag publiziert, doch die Großstadt scheint sich nur bedingt als Schauplatz für bestsellerverdächtige Verbrechensschilderungen zu eignen. Dem deutschen Krimipublikum ist der Mord in der Provinz am liebsten – ob in der Eifel, in Ostfriesland oder seit neuestem in der Bretagne. Und an die Spitze der Verkaufscharts befördert es mit schöner Regelmäßigkeit (zumindest bis 2014) die Allgäu-Krimis der Autorenduos Klüpfel und Kobr. Da wundert es nicht, dass sich die erste große kulturwissenschaftliche Untersuchung zur erzählenden Konstruktion von Raum in populärer Literatur den Fällen des in der realen Gemeinde Altusried ansässigen fiktiven Kommissars Kluftinger widmet.

Katharina Löffler analysiert akribisch, wie sich die Region Allgäu als literarischer Raum manifestiert, von den Speisen über das Brauchtum bis zur Sprache. Wenn Kluftinger flucht, und das geschieht nicht selten, tut er das im Allgäuer Dialekt und signalisiert, so die Autorin, „Bodenständigkeit“. Sehr viel weiter darf der Bezug auf regionale Sprachvarietäten allerdings nicht gehen, denn sonst wären die Verkaufszahlen außerhalb der Region wohl gefährdet. Andererseits darf es auch nicht passieren, dass das „Setting“ „austauschbar“ wird, wie es einem der vielen auf der Allgäu-Erfolgswelle mitschwimmenden Krimiprodukte bescheinigt wird.

Weihnachtslesung mit Volker Klüpfel und Michael Kobr

Weihnachtslesung mit Volker Klüpfel und Michael Kobr

Dass erfolgreiche Populärliteratur wiederum auch einen Einfluss auf den realen Raum hat, zeigt Katharina Löffler sehr anschaulich im zweiten Teil ihrer Arbeit. Unter dem Stichwort „Mediale Transformation“ berichtet sie vom Bemühen des regionalen Touristik-Marketings, die Beliebtheit der Kluftinger-Krimis wirtschaftlich zu nutzen. In mehr als einem halben Dutzend Allgäu-Gemeinden gibt es inzwischen „Krimi-Führungen“ zu den realen Vorbildern der fiktiven Tatorte und Löffler hat sie tapfer allesamt auf Design und Effekte hin getestet. Kommerziell bedeutend, so ihre Bilanz, ist der Krimi-Tourismus als gefällige „Optimierung des ursprünglich belletristischen Narrativs“ allerdings nicht. Und das darf man vielleicht als positives Zeichen lesen.

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Vom literarischen Wert der regionalen Krimimode ist natürlich, dem Ansatz der Untersuchung entsprechend, nur am Rande die Rede. Doch das schmälert ihren Verdienst nicht. Wer wissen will, wie das literarische Erfolgsmodell Regionalkrimi funktioniert, stößt hier auf reichlich Anregung und Material. Und vielleicht findet sich irgendwann jemand, der sich des Genres unter literaturhistorischem Aspekt annimmt. Lohnend wäre es allemal.

Katharina Löffler: Allgäu reloaded. Wie Regionalkrimis Räume neu erfinden. Transcript Verlag, Bielefeld 2017. 379 Seiten, 44,99 Seiten. Verlagsinformationen.

Anm. d. Red.: Es wird der Tag kommen, an dem Alf Mayer, eigentlich Hoferbe aus dem Allgäu, über jene Literaturverbrechen schreiben wird, die sein Freund Georg Seeßlen schon 1984 in einer dreiteiligen Artikelserie für „medium“ einmal betitelte als: „Die Prostituierung Bayerns durch den Fremdenverkehr.“ 

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