Geschrieben am 16. Dezember 2018 von für Crimemag, CrimeMag Dezember 2018

Robert Rescue: Klaus Pelzer und die Horrorpuppe des Grauens

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Ein neuer Fall für den Geisterjäger

Klaus Pelzer ist ein Geisterjäger. Keiner der Sorte wie John Sinclair, der den Teufel und seine höllischen Dämonen in Diskotheken, Spukhäusern oder in verfluchten Klosterruinen jagt. Klaus Pelzer ist vorzugsweise im Internet unterwegs, in den Augen mancher die Hölle von heute. Hin und wieder jagt er auch alte Götter in Kleingartenkolonien oder exorziert ans Internet angeschlossene Mädchenpuppen, die von einem Hacker übernommen wurden. Und manches Mal entpuppt sich ein scheinbar paranormales Phänomen als Kriminalfall …

Gehört die Pelle einer Discounter-Fleischwurst in den Hausmüll oder zum Plastik? Den ganzen Tag schon ging Klaus Pelzer diese Frage durch den Kopf, und er hatte es sich zum Ziel gesetzt, sie zu beantworten, ohne jemanden zu fragen oder zu googeln. Ein, wie ihm dämmerte, beinahe hoffnungsloses Unterfangen. Konnte man sie womöglich essen? Er hatte es nie ausprobiert, aber er wusste, dass er als Kind seine Mutter dazu befragt hatte. Sie hatte ihn ausgeschimpft und schließlich für zwei Tage ohne Essen in den Keller gesperrt. Warum nur?, fragte sich Pelzer nicht zum ersten Mal. War sie eine frühe Veganerin gewesen, vermutlich fundamentalistisch eingestellt? Jetzt, im Alter von knapp 52 Jahren, dürstete es ihn nach einer Fleischwurst, aber anstatt sich diesem Verlangen einfach hinzugeben, wollte er zunächst die Frage mit der Pelle klären.

Er wurde an der Schulter angestoßen. Verwundert sah er auf und blickte in das erboste Gesicht einer Frau. „Hören Sie mir überhaupt zu? Seit fünf Minuten rede ich auf sie ein und schildere ihnen verzweifelt mein Problem und sie stehen erst da wie ein Autist und fangen plötzlich an, etwas von einer Wurstpelle und einem dunklen Keller zu murmeln. Ich muss wohl annehmen, dass ich mich in ihnen getäuscht habe. Von wegen Klaus Pelzer – ihr Spezialist für paranormale Fälle. Sie sind wohl einfach nur ein Scharlatan!“

„Mein liebe Frau“, begann Klaus Pelzer, der sich gerade nicht erinnern konnte, wer die Person überhaupt war. „Ich brüte noch über meinen letzten Fall, der zweifellos zu einem meiner kompliziertesten gehört. Leider kann ich darüber nichts näheres berichten, da mir die Wahrung der Privatsphäre meiner Kunden sehr am Herzen liegt. Aber lassen sie mich eines verraten – eine Wurstpelle und ein böser Geist spielen in diesem Fall eine nicht unbedeutende Rolle, werte Frau Seelow.“

„Fiedler“, sagte die Frau. „Und wenn Sie sich nicht langsam mal auf ihren aktuellen Fall konzentrieren, dann schmeiße ich Sie raus und schreibe so viele negative Google Bewertungen über Sie, dass niemand Sie mehr engagieren wird.“

puppe1Klaus Pelzer nickte engagiert. Er hatte die Botschaft verstanden. Frau Fiedler ging voraus und betrat ein Kinderzimmer ohne Kind. Auf dem Bett saß eine Puppe. „Du Scheiß Göre wirst nie einen gutbezahlten Job finden, wenn du dich nicht in der Schule anstrengst“, rief die Puppe. „Mit Fünfen auf dem Zeugnis reicht es gerade zur Klofrau oder zur Saftschubse bei einer Airline.“

„Dieses Ding dort“, sie zeigte mit der zitternden Hand auf die Puppe, „macht mir und meiner Tochter das Leben zur Hölle. Ständig sagt es so furchtbare Sachen, anstatt einfach nur eine Puppe zu sein. Ich bin überzeugt, dass dieses Ding dort vom Teufel besessen ist und sie sollen das Problem lösen.“

„Halt die Fresse, du Drecksau“, rief die Puppe jetzt, „sonst holt dich der Butzemann und frisst dich bei lebendigem Leib auf.“

Klaus Pelzer rieb sich nachdenklich das Kinn. Die erste „Drohung“ der Puppe empfand er gar nicht so. Wenn er genau darüber nachdachte, war der Kern der Aussage, wie er das eher nennen wollte, doch ein verständlicher Wunsch von Eltern, dass aus ihren Kindern was wird. Gut, die Formulierungen der Puppe wirkten drastisch, aber vielleicht war das ein moderner Ansatz der Pädagogik, den Mutter Fiedler nicht mitbekommen hatte. Natürlich war es auch denkbar, dass diese Puppe für die Verwendung in Familien gedacht war, in denen dieser Tonfall üblich war. Die zweite „Aufforderung“ der Puppe, da gab Klaus Pelzer Frau Fiedler recht, ging aber gar nicht. Für Klaus Pelzer gab es drei Ansätze zur Lösung des Problems. Entweder hatte der Hersteller doch geschlampt oder die Puppe war vom Teufel himself oder einem niederen Dämon besessen oder aber sie wurde fremdgesteuert.

“Das mit dem Teufel wollte ich zunächst nicht glauben“, sagte Frau Fiedler jetzt. „Also habe ich die Hotline vom Hersteller angerufen. Die behaupten, der Fehler liege nicht bei ihnen. Die Puppe soll nichts anderes sagen als: „Du bist meine liebste Freundin und ich habe dich total lieb.“ Also das, was eine sprechende Puppe einem fünfjährigen Kind sagen soll, damit es sich geborgen fühlt.“

Die Puppe drehte den Kopf zu Frau Fiedler und grinste.

14021446_1217445128305524_6691619656740538300_n„Du bist meine liebste Freundin und ich habe dich total lieb, du dämliche Schnepfe. Am liebsten würde dir einen Strick um den Hals legen und dich am nächsten Baum aufknüpfen.“

„Sehr ungewöhnlich“, sagte Klaus Pelzer. Frau Fiedler sah ihn fassungslos an. „Die Puppe erwähnte vorhin einen Mann“, fuhr Pelzer fort. „Meine Professionalität als Geisterjäger sagt mir, dass dieser Mann uns bei der Lösung des Falles enorm weiterhelfen könnte.“

„Sie meinen den Butzemann?“, fragte Frau Fiedler.

„Ja, Butzemann war der Name. Handelt es sich dabei um einen Nachbarn oder einen Verwandten, der im Verdacht stehen könnte, mit ihnen und ihrer Tochter Schabernack treiben zu wollen?

„Sie kennen den Butzemann nicht?“, fragte Frau Fiedler.

„Nein“, entgegnete Pelzer. „Nie gehört. Deshalb frage ich Sie ja.“

Frau Fiedler überlegte einen Moment, was sie sagen sollte.

„Hatten sie eine Kindheit beziehungsweise kennen das Kinderlied „Es tanzt ein Bi-Ba-Butzemann?“

Pelzer ließ sich einen Moment Zeit mit einer Antwort. „Wenn sie schon so direkt und persönlich fragen, nicht wirklich. Beides nicht.“

„Du stinkender Fettsack“, sagte die Puppe jetzt und musste Pelzer meinen. Er war der einzige im Raum mit Übergewicht.

„Ich bin der Butzemann und ich werde dich in den dunklen Keller schmeißen und dich zwingen, Wurstpelle zu essen. Und zwar die Plastik-Wurstpelle vom Discounter. Und an der wirst du eledig verrecken.“

Frau Fiedler schrie auf. „Ich halte das nicht mehr aus. Machen sie endlich was!“

Pelzer lief in die Küche, packte das erstbeste, was ihm ins Sichtfeld geriet, nämlich eine 30 kg Hantelscheibe, eilte zurück ins Kinderzimmer, stieß das Spielzeug vom Bett und ließ die Hantel mit aller Kraft auf die Puppe fallen.

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Später, auf dem Nachhauseweg, dachte Klaus Pelzer über den Fall nach. Um Frau Fiedler keine weitere Sorge zu bereiten, hatte er als Ursache die Attacke eines Hackers angeben. Eine Menge Spielzeug, und vor allem Puppen, waren heutzutage internetfähig und dabei anfällig für Sicherheitslücken. Es war einfach, sich mit einem Smartphone per Bluetooth mit einer Puppe zu verbinden, den eingebauten Prozessor zu knacken und ein Kind abzuhören oder mit ihm in Kontakt zu treten, um es auszufragen oder zu bedrohen. Für Mutter Fiedler war das zwar ebenfalls eine grässliche Vorstellung, aber leichter zu verkraften als das Wirken eines Dämons, der die Puppe übernommen hatte und den Klaus Pelzer mit der Hantelscheibe gründlich „exorziert“ hatte. Aber die Erklärung mit dem Hacker war für Klaus Pelzer eine Enttäuschung. Ein IT-Experte hätte in diesem Fall eher gepasst als ein Fachmann für paranormale Phänomene, der sich privat für IT-Themen interessierte. Immerhin nahm Frau Fiedler es ihm nicht übel, dass es sich, scheinbar, doch um ein normales oder ein technologisches Problem gehandelt hatte.

Das „scheinbar“ machte Klaus Pelzer nachdenklich. Er hatte Frau Fiedler womöglich angelogen.

Die Sache mit der Wurstpelle, ging es ihm durch den Kopf. Wenn es sich tatsächlich um einen Hacker handelte, dann hatte dieser mitgehört, als er Frau Fiedler von seinem letzten Fall, also von der Wurstpelle, dem dunklen Keller und dem bösen Geist erzählt hatte. So weit, so gut. Aber das Kindheitstrauma mit der Mutter, folglich die Frage, ob man eine Wurstpelle essen konnte, davon hatte er nicht gesprochen. Das hätte der Hacker also nicht wissen können. Das sprach für einen Dämon. Dämonen konnten Gedanken lesen. Warum, das wusste Pelzer nicht, es war halt paranormal.

Er hatte also einen Dämon zur Strecke gebracht. So wie es sein Job von ihm verlangte. Das gab ihm wieder Rückgrat. Er nahm sein Telefon und hörte die Mailbox ab. Drei Anrufe. Zwei von seiner Mutter. Der dritte konnte ein neuer Auftrag sein.

Robert Rescue

Robert Rescue bei CrimeMagZu seiner Webseite mit Terminen, Veröffentlichungen etc. geht es hier, einen einschlägigen Beitrag von ihm finden Sie in der Anthologie „Berlin Noir“ und beim Talk Noir im Neuköllner Froschkönig ist er regelmässig unser Stargast.

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