
Eine Vielzahl Krimi-Neuheiten
… geht für einen Moment als Baustelle online, wird aber noch am Tag der Arbeit fertiggestellt.
… erscheinen jeden Monat, dazu Graphic Novels (vulgo: Comics) und DVDs und BluRays. Unmöglich, das alles zu überblicken und zu rezensieren. CrimeMag siebt und schürft deshalb für Sie und weist hier regelmäßig mit Hilfe von: Kaliber.38 und der befreundeten Buchhandlungen Chatwins (Berlin), Hammett (Berlin), Glatteis (München), Wendeltreppe (Frankfurt) und Buchladen in der Osterstraße (Hamburg) auf interessante Neuerscheinungen hin. Empfehlungen für DVDs, BluRays und Comics geben Katrin Doerksen und Thomas Groh. – Hammett und Glatteis pausieren dieses Mal.
Hier unsere letzten Schatzsuchen aus März und Februar und April 2020.
Diesmal ist – dem Virus und aktuellen Belastungen geschuldet – unsere Auswahl klein & fein. Bitte denken Sie daran, dass gerade in diesen Zeiten Ihre lokale Buchhandlung(en) besonderer Unterstützung und Solidarität bedürfen. Lieber dort bestellen als bei amazon. Lesen Sie dazu auch Gerhard Beckmanns Wutschrei in dieser CrimeMag-Ausgabe.
Hier finden Sie einen bundesweiten interaktiven Buchhandlungsfinder, zusammengestellt vom Carlsen Verlag.

Claudia Denker von der Krimiabteilung im Chatwins in Berlin-Schöneberg
In Berlin durften die Buchhandlungen zwar im März überraschend doch geöffnet bleiben, allerdings habe ich nach Absprache mit meinen herzallerliebsten Arbeitgebern erst einmal nicht arbeiten müssen.
Danke an Susanne Sultan (Buchhandlung am Spreebogen), Peter Neumann (Chatwins) und Thomas Stodieck (Stodiecks Buchhandlung) dafür, dass Sie als Inhaber so verantwortungsvoll waren und sich um ihre Läden erst einmal ausschließlich alleine gekümmert haben. Die drei hatten Verständnis dafür, dass ich nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln durch Berlin fahren wollte, und ich war darüber sehr erleichtert. Richtig gefreut hat es mich dann auch, dass die Umsätze in Moabit, Schöneberg und Charlottenburg nicht zurückgegangen, teilweise sogar noch gestiegen sind. Stammkunden haben sich richtig ins Zeug gelegt, Gutscheine gekauft, aber auch wie verrückt bestellt, fast wie im Vorweihnachtsgeschäft. Für die gekürzten Öffnungszeiten in allen drei Läden haben sie großes Verständnis und die meisten halten sich an die Abstandsregeln oder an die Maßnahmen, die in den jeweiligen Buchhandlungen getroffen worden sind.
Nach meiner Arbeitspause bin ich seit zwei Wochen wieder am Start, meine Arbeitszeiten und Wege habe ich mir jetzt gut organisiert.
Auffällig ist, dass viele Kunden neben dem Bücherkaufen ein erhöhtes Redebedürfnis haben, dafür ist momentan nicht so viel Zeit wie vor dem Virus, da warten ja noch ein paar vor der Tür …
Viele Verlage haben ja ihre Neuerscheinungen verschoben, es ist ja alles nicht so ganz »normal« momentan. Also, eine kleine Schatzsuche:

Aktuell zieht er mich rein in seine Geschichte: Peter Grandl: »Turmschatten« (Das Neue Berlin). Ich habe mir das Rezensionsexemplar kommen lassen, dann lag es ein paar Tage auf meinem Schreibtisch – bis es plötzlich weg war. Mein Mitbewohner auch. Ich kenne außer ihm noch eine Person, die es verschlungen hat, und wie ich jetzt feststelle, aus gutem Grund.
Hammer!
Historisches: Alex Beer: »Das schwarze Band« (Limes), 1921 spielt in Wien und Axel Simon: »Eisenblut« (Kindler) – ha! 1888 in Kreuzberg! Das werde ich mir anschauen.
Ich freue mich auch auf Joseph Incardona: »One-Way-Ticket ins Paradies« (Lenos) und vielleicht noch mal ansehen: Benjamin Quaderer: Für immer die Alpen (Luchterhand)
Ich möchte noch auf ein Buch hinweisen, das mir sehr am Herzen liegt, das ist zwar kein Krimi, hat aber mit Sterben zu tun.
Christian Y. Schmidt, ehemaliger Titanic-Redakteur und auf einmal Corona-Experte (auf Facebook nachzulesen, aber hallo!) hat ein ganz wunderbares Buch für Kinder und Erwachsene geschrieben. »Der kleine Herr Tod« (Rowohlt) hat mir meine anfängliche Corona-Zuhause-Zeit sehr versüßt. Melancholisch und rührend, klug und lustig, traumhaft illustriert von Ulrike Haseloff. Schade, dass die Buchveröffentlichung/Vernissage nicht so stattfinden konnte, wie geplant. Aber so:
Ab und zu schnappe ich mir doch mal ein richtiges Jugendbuch, und wenn mich so ein Leseexemplar anlacht, wo hinten draufsteht: »Ein Sommer unter Reichsbürgern«, dann werde ich neugierig. Martin Schäuble: »Sein Reich« (Fischer) ist ein gutes, aktuelles und empfehlenswertes Buch (ab 12).

Und zum Schluss: An meinem ersten Arbeitstag in Moabit fand ich ein Ausmalheftchen vor, das ist von 2018 (Books on Demand), und heißt »Tödliche Viren – Ausmalen und Entspannen«, Autor oder Autorin: Clara Chlamydia.
Also, entspannt Euch, malt und bleibt gesund!

Jan Christian Schmidt von Kaliber.38:
Sabberlott – da wollte ich gerade das Horn an die gespannten Lippen führen und mit einer feierlichen Fanfare einen neuen James Ellroy-Roman annoncieren, da sehe ich, dass der Erscheinungstermin flugs auf September verschoben wurde. Corona ist blöd!

Ersatz verspricht – zumindest dem Titel nach – ein Roman einer mir noch unbekannten Autorin: „American Dirt“, so der attraktive Titel des Buches, geschrieben von der jungen amerikanischen Autorin Jeanine Cummins. „Eine Mutter und ihr Kind auf einer atemlosen Flucht durch ein Land, das von Gewalt und Korruption regiert wird“, heisst es da. Eben war Lydia noch ehrbare Buchhändlerin, jetzt befindet sie sich Machete bewaffnet in einem Hochgeschwindigkeitszug. Den Grund erfahren wir auch: „Lydias gesamte Verwandtschaft wird von einem Drogenkartell ermordet. Nur Lydia und ihr kleiner Sohn Luca überleben das Blutbad und fliehen in Richtung Norden. Sie kämpfen um ihr Leben.“ Hammer! Klingt nach barrierefreier Unterhaltung – also doch ziemlich weit entfernt vom eingangs genannten James Ellroy. Und ist nicht unumstritten…

Dann vielleicht lieber Bewährtes: Vom großen James Lee Burke ist der Dave-Robicheaux-Krimi „Die Schuld der Väter“ in Neuausgabe bei Pendragon erschienen (dt. von Georg Schmidt). Mit alttestamentarischer Wucht erzählt Burke die Geschichte vom Mord an einer 16-jährigen Schülerin, der die Menschen in New Iberia aufschreckt. Spuren am Tatort weisen auf einen schwarzen Cajun-Musiker, doch Robicheauxs Ermittlungen führen tiefer in die Vergangenheit zur Großmutter des tatverdächtigen Musikers und einem ehemaligen Plantagenaufseher. Nach einem weiteren Mord wird’s richtig eng – diesmal ist das Opfer die Tochter eines berüchtigten Gangsters aus New Orleans, der nicht auf Robicheauxs Ermittlungsergebnisse warten, sondern die Dinge in die eigene Hand nehmen will. Der Texaner James Lee Burke ist mittlerweile seit mehr als einem halben Jahrhundert literarische aktiv, „Die Schuld der Väter“ ist der zwölfte Teil seines tiefgründigen, mit großer Prosakunst (und Furor) verfassten Südstaaten-Epos um Dave Robicheaux. Übrigens: Es gibt zwei richtig tolle Burke-Verfilmungen: „Mississippi Delta – Im Sumpf der Rache“ mit Alec Baldwin als Robicheaux und »Mord in Louisiana« von Bertrand Tavernier mit Tommy Lee Jones in der Rolle des alkoholkranken Cops / Detektivs. Wenn Sie etwas abendliche Abwechslung in der Glotze brauchen, hilft der gut sortierte Videoladen gerne weiter.

Einer der wenigen, der auf Augenhöhe mit dem großen James Lee Burke schreibt, und, wie Burke, immer wieder das Thema Schuld und Vergebung literarisch bearbeitet, ist Dennis Lehane. Von Lehane gibt’s leider auch keinen neuen Roman zu vermelden, aber immerhin eine Neuübesetzung: „Gone Baby Gone“ (Diogenes Verlag, dt. von Peter Torberg), der bereits im Jahre 2000 unter dem Titel „Kein Kinderspiel“ bei Ullstein erschienen war. Der Roman erzählt von einem der finstersten Fällen des Bostoner Privatdetektiv-Duos Angela Gennaro und Patrick Kenzie: Ein vierjähriges Mädchen wurde entführt, ihre alleinerziehende und drogenabhängige Mutter hatte das Kind unbeaufsichtigt gelassen. Als bei einer versuchten Lösegeldübergabe mehrere Menschen getötet werden, wird den Ermittlern klar, dass hinter der Entführung noch viel mehr steckt, als ursprünglich vermutet. Kenzie und Gennaro geraten in einen finsteren Abgrund – und beruflich und persönlich an ihre Grenzen. Schließlich müssen sie sich entscheiden zwischen Recht und Gerechigkeit – eine Entscheidung, die sie, soviel darf man verraten, innerlich wie äußerlich zerreißen wird. Auch hier: Wenn Sie sich derzeit nicht so aufs Lesen konzentrieren können, „Gone Baby Gone“ wurde 2007 von Ben Affleck mit beachtlichem Staraufgebot und seinem Bruder Casey verfilmt. Es gibt aber deutlich grandiosere Lehane-Verfilmungen: Gaaaanz großes, von schauspielerischer Kunst getragenes Kino etwa ist die Clint-Eastwood-Version des Lehane-Romans „Die Spur der Wölfe“ mit Sean Penn, Tim Robbins und Kevin Bacon. Oder auch: Tolles Ausstattungs-Kino ist Martin Scorseses Adaption des düsteren Lehane-Romans „Shutter Island“ mit Leonardo DiCaprio und Emily Mortimer. Oder auch „The Drop„… herrje – ich gerate ins Schwärmen und vergesse mich…

Doch noch was Neues: Vor einem Jahr war Ivy Pochodas Deutschland-Debüt „Wonder Valley“ erschienen, ein episodenhaft erzählter Los-Angeles-Roman. Spiegel Online befand damals, Ivy Pochoda sei „DIE Stimme ihrer Region“ und meinte, Pochodas Buch sei für das LA-Viertel Skid Row so bedeutend wie „Daniel Woodrell für die Ozarks“. Mit „Visitation Street“ (Ars vivendi) ist dieser Tage ein neuer Ivy-Pochoda-Roman in die Buchhandlungen gekommen, der in den USA bereits 2013 und damit einige Jahre vor „Wonder Valley“ erschienen war – übrigens bei Ecco, einem Imprint des HarperCollins Verlags, wo Pochodas Buch (und hier schließt sich der Kreis) von Dennis Lehane betreut wurde. „Visitation Street“ spielt nicht in Los Angeles, sondern in New York, genauer in der blue-collar neighborhood Red Hook in Brooklyn. Pochoda erzählt von einem tragischen Ereignis: In einer heißen Sommernacht paddeln zwei Mädchen im Teenageralter aufs Meer hinaus, und nur eine der beiden kehrt, halb bewusstlos, wieder an Land zurück. Pochoda nimmt das Ereignis nicht als Anlass, um eine klassische Krimistory oder gar einen rasanten Thriller zu entfallen, sondern analysiert die Bindungen in der Community und wie sich diese nach Todesfall verändern. Der Verlag verspricht: „In einer kristallklaren Sprache erzählt Ivy Pochoda von der menschlichen Zerbrechlichkeit und Widerstandskraft, von Hoffnungsschimmern in der Trostlosigkeit…“. Das kann man doch gut gebrauchen in diesen Tagen!

Torsten Meinicke, Buchladen in der Osterstraße, Hamburg
Knapp fünf Wochen war unser Buchladen nun geschlossen, Neuerscheinungen wurden ausgepackt und ausgelegt und kein Schwein konnte sie sehen. Was tun? (Lenin). Wöchentlicher Newsletter mit Lesetipps, das virtuelle Beratungsgespräch sozusagen. Das hat gut funktioniert. Netzflick war offensichtlich bald leergestreamt, die Menschen hockten zu Hause und brauchten Futter. Ja! LESEFUTTER! So schickten sie Bestellungen und wir schickten Päckchen in die Welt oder lieferten selbst aus. Nichts mit Kurzarbeit und Soforthilfen, ganz im Gegenteil: Sehr ordentliche Umsätze, viel Aufwand und viel Solidarität unserer Kundinnen und Kunden, die – kleiner Wortwitz – einfach mit Abstand die Besten sind.
Noch vor knapp zwei Jahren wurden in Hamburg während des G20-Gipfels Demos niedergeknüppelt, weil es Verstoße gegen das Vermummungsverbot gab. Ich hätte niemals geglaubt, dass es mal ein staatliches Vermummungsgebot geben könnte. Maskenpfllicht im Buchladen seit dem 27. April 2020. Nun also Beratungsgespräch in Sturmhaube, die autonome Vergangenheit lebt wieder auf. Sie möchten Thriller-Tipps? Fragen sie unseren Experten mit der Hannibal-Lector-Maske. Die Zeiten bleiben angespannt und spannend, soviel ist sicher.
Ein wenig Zeit zum Lesen blieb natürlich trotzdem und die wurde von mir genutzt für:
– James Lee Burke, Die Schuld der Väter (Ü: Georg Schmidt), Pendragon 2020, 466 S., 20 Euro: Wenn ich Burkes Reihen um Hackberry Holland (Heyne Hardcore) und Dave Robicheaux (Pendragon) zusammenzähle, komme ich aktuell auf exakt einen Regalmeter. Ich bin mir auch nach der Lektüre von „Die Schuld der Väter“ sicher, dass davon kein einziger Zentimeter verschenkt ist!
– Sara Paretsky, Altlasten (Ü: Laudan & Szelinski), Argument 2020, 540 S., 24 Euro: Paretsky verhandelt mit geradezu beiläufiger Eleganz große Themen und bündelt alles zu einem großartigen Plot. Nach „Kritische Masse“ das nächste Meisterstück der Lady of Crime.
– Matthias Wittekindt, Die Brüder Fournier, Edition Nautilus 2020, 269 S., 18 Euro: Ein fiktiver Vorort von Brüssel, zwei ungleiche Brüder auf dem Weg ins Erwachsenenleben, Spannung ohne Morde, ein typischer Wittekindt.

– Young-ha Kim, Aufzeichnungen eines Serienmörders ((Ü: Inwon Park), Cass 2020, 152 S., 20 Euro: Ein dünnes Buch aus Südkorea, dessen Einstieg auf die KrimiBestenliste ich nur bedingt nachvollziehen kann.
– Benjamin Whitmer, Flucht (Ü: Alf Mayer), Polar 2020, 407 S., 22 Euro: Viel Schnee, viele Tote, viel Spannung und ein mit Hintergrundinformationen prall gefülltes Nachwort.
Und noch etwas für unsere Kleinkriminellen:
– Oliver Uschmann/Sylvia Witt, Meer geht nicht, Beltz & Gelberg 2020, 142 S., 11,95 Euro: Vier Freunde auf dem Weg an die Nordsee lassen sich auch von Gangstern nicht aufhalten. Ein Roadmovie über Freundschaft und Beharrlichkeit für Menschen ab 11 Jahre.
– Uwe Timm, Der Schatz auf Pagensand, dtv 2020, 174 S., 12,95 Euro: Soeben in einer sehr schön gestalteten Neuausgabe erschienen. Garniert mit viel Seemannsgarn und Elbwasser erzählt Uwe Timm von Benno, Georg, Jan und Jutta, die sich mit einem Segelboot auf die Suche nach legendären Schatz Störtebekers machen.
Das war es von mir. Und nun Maske auf und ab in den Buchladen!

Jutta Wilkesmann, Wendeltreppe, Frankfurt:
Kim Young-ha : Aufzeichnungen eines Serienmörders (Cass)
Martha Grimes: Inspektor Jury und die Tote am Strand (Goldmann)

Ngaio Marsh: Das Todesspiel (Lübbe)
Dori Mellina: Dorf ist Mord (Harper Collins)
Michael Robotham: Die andere Frau (Goldmann)
Emilia Bernhad: Tote trinken keinen Rose (Atlantik)
Carsten Sebastian Henn: Der Gin des Lebens (DuMont)
Und auf diesem Wege allen unseren Kunden, die uns in so vielerlei Hinsicht unterstützt haben, ein herzliches DANKESCHÖN!!!!
Und an alle, die es angeht, viele Grüße und bleiben wir alle gesund!
Die Wendeltreppe

Comic/Heimkino Mai 2020
– von Katrin Doerksen und Thomas Groh:
George Takei/Harmony Becker: „They Called Us Enemy“
Crosscult, 208 Seiten, 25 Euro, ab 13. Mai

In der Rolle des Sulu ist der Schauspieler George Takei mit seinen Kollegen vom „Raumschiff Enterprise“ in Galaxien vorgedrungen, die nie ein Mensch zuvor gesehen hat. Als diese postnationale multikulturelle SF-Utopie in den späten 60ern durch die US-Haushalte flimmerte, lag ein dazu querliegendes erschütterndes Kapitel der US-Geschichte gerade mal 20 Jahre zurück: Die Zwangsinternierung weiter Teile der japano-amerikanischen Bevölkerung in Folge des Angriffs auf Pearl Harbor. Auch der junge Takei wurde seinerzeit mit seiner Familie aus seinem Umfeld gerissen und eingesperrt – sein eindrücklicher Comic-Memoir „They Called us Enemy“ erzählt nun diese bedrückende Episode aus der Geschichte des US-Rassismus. Lesenswert in diesem Zusammenhang ist auch diese Reportage auf SpOn.

Alexandra Sankova: „Soviet Space Graphics: Cosmic Visions from the USSR„
Phaidon, 240 Seiten, Hardcover, 29,95 Euro, bereits erschienen
Der „Space Race“ regte hüben wie drüben des Eisernen Vorhangs die Fantasien an, schuf ganz eigene utopische Bildwelten – von naiv-verträumt bis agitatorisch aufpeitschend. In der Popkultur des Westens erlebte dies massiven Niederschlag. Zumindest für West-Sozialisierte sind die diesbezüglichen Bildwelten der UdSSR hingegen weitgehend Terra Incognita: Per sozialistischem Realismus ins All, lautet die Devise des materialreichen Bandes „Soviet Space Graphics“, der dieses Kapitel der Raumfahrtgeschichte nun auch den geneigten Lesern aus den früheren NATO-Gebieten zugänglich macht.
Shigeru Mizuki: „Kindheit und Jugend“
Reprodukt, 480 Seiten, 29 Euro, bestellbar
Der Auftakt der dreiteiligen Comic-Memoiren von Mangameister Shigeru Mizuki gewährt Einblicke in eine von heute undenkbaren Freiheiten geprägte Kindheit. Nur wenige Jahre später muss er in einer Zeit zahlreicher Zwänge darum kämpfen, sich seine Freiheit wieder herausnehmen zu können: Als undisziplinierter Schüler, als Slacker in einer Arbeitswelt, die strengste Disziplin verlangt, als Soldat, der im Zweiten Weltkrieg nach Papua Neuguinea geschickt wird. Aufs Unterhaltsamste verquickt Mizuki seine persönliche Geschichte mit einem hellsichtigen Gesellschaftsporträt.

Jérémy Perrodeau: „Dämmerung“
Edition Moderne, 144 Seiten, 32 Euro, bestellbar
Freunde der frankobelgischen Comictradition werden in diesem Science-Fiction-Abenteuer fündig, in dem ein Forscherteam auf einem Planeten mit einer von Menschen künstlich erschaffenen Biosphäre eingeflogen wird. Die Natur ist außer Rand und Band geraten. Erinnert entfernt an Hayao Miyazakis frühe Mangareihe „Nausicaä aus dem Tal der Winde“.

Yoon Sung-hyun: „Time to Hunt„
ca. 130 Min., auf Netflix
Bleiben wir doch noch für einen Moment in Korea, wenngleich im Süden: Von dort erreicht uns via Netflix ein hochkonzentrierter, spannungsgeladener Actionthriller nach allen Regeln der Kunst: In einem wirtschaftlich und gesellschaftlich in Trümmern liegenden Korea der Zukunft wagen ein paar welpenhafte Jungs den größenwahnsinnigen Angriff auf ein Kasino – und sehen sich prompt als Beute eines gnadenlosen Killers durchs Land gejagt. Kein hektischer Kuddelmuddel wie ihn der US-Blockbuster dieser Tage gerne kredenzt, sondern eisig unterkühlt inszeniertes Spannungskino zum Niederknien – allerwärmstens empfohlen!
Liu Jian: „Have a Nice Day“
ca. 75 Min., via Grandfilm On Demand
Im Mittelpunkt des Animationsfilms „Have A Nice Day“, der 2017 im Wettbewerb der Berlinale vertreten war, steht eine Tasche voll mit einer Million Yuan, der in einer südchinesischen Industriestadt eine ganze Handvoll unterschiedlichster Leute hinter herjagen. Was Regisseur Liu Jian für seinen Film unters Brennglas legt, sind die Abfallprodukte des Kapitalismus im Allgemeinen und der chinesischen Wachstumsobsession im Speziellen. Ursprünglich aus der chinesischen Landschaftsmalerei kommend, gleicht sein Zeichenstil einem Comic in der Nachfolge reduzierter Zeichentraditionen. Einmal beherrscht in einer traumartigen Werbesequenz das charakteristische Punktmuster des Siebdruckverfahrens das Bild. Sonst die ligne claire, schattenlose Farbflächen.
Jörg Buttgereit: „Das Märchen vom unglaublichen Super-Kim aus Pjöngjang„
Hörspiel, ca. 52 Minuten, bis 26.04.2021 online
Das passt ja zur Nachrichtenlage: Gerade als sich die Spekulationen häufen, ob der nordkoreanische Machthaber Kim Jong Un von der Öffentlichkeit unbemerkt wohl aus dem Leben getreten ist, stellt der WDR Jörg Buttgereits 2014 urgesendetes Hörspiel über den „unglaublichen Super-Kim aus Pjöngjang“ wieder online: eine vergnügliche Satire auf den nordkoreanischen Propaganda-Apparat, der sich in den 80ern – Kim Jong-Il war immerhin ausgewiesener Cineast – sogar einen Monsterfilm nach Godzilla-Manier produzieren ließ. Wer es nicht glaubt, höre, was Buttgereit zu erzählen hat. Oder er schaue sich diese YouTube-Doku dazu an: