Geschrieben am 1. Februar 2021 von für Crimemag, CrimeMag Februar 2021

Schatzsuche: Crime-Neuerscheinungen

Eine Vielzahl Krimi-Neuheiten

 … erscheinen jeden Monat, dazu Graphic Novels (vulgo: Comics) und DVDs und BluRays. Unmöglich, das alles zu überblicken und zu rezensieren. CrimeMag siebt und schürft deshalb für Sie und weist hier regelmäßig mit Hilfe von: Kaliber.38 und der befreundeten Buchhandlungen Chatwins (Berlin), Wendeltreppe (Frankfurt) und Buchladen in der Osterstraße (Hamburg) auf interessante Neuerscheinungen hin. Empfehlungen für DVDs, BluRays und Comics geben Katrin Doerksen und Thomas Groh

Bitte denken Sie daran, dass gerade in diesen Zeiten Ihre lokale Buchhandlung(en) besonderer Unterstützung und Solidarität bedürfen. Lieber dort bestellen als bei amazon.

Claudia Denker von der Krimiabteilung im Chatwins in 
Berlin-Schöneberg

Wirklich kein Buch für die U-Bahn, sondern für hochkonzentrierte Leser – ich war schon vorgewarnt, man »dürfe kein Wort überlesen.« Als ich dann aber bemerkte, dass die Zählung der Kapitel, ääääh … unkonventionell ist, entschloss ich mich, das ganze noch einmal von vorne zu beginnen, mit viel Ruhe und mit Bleistift: Stephen Greenalls »Winter Traffic« (Suhrkamp) ist nämlich ziemlich gut. (Alf Mayer hat ihn getroffen und ihn interviewt, siehe hier nebenan in dieser Ausgabe – die Red.)

Merle Kröger kommt mit »Die Experten« am 15. Februar, ebenfalls Suhrkamp. Ich konnte schon mal in die Fahnen schauen und freue mich deshalb schon sehr auf die 688 Seiten Geschichte der sechziger Jahre, die dann in gebundener Form demnächst vom Paketboten an der Tür abgegeben werden (hoffentlich).

Auch ein ziemlich dicker Brocken: Simon Urban: »Wie alles begann und wer dabei umkam«(Kiepenheuer & Witsch) scheint witzig zu sein und sehr wahrscheinlich ein gutes Geschenk für Juristen.

Üble Gerichtsverhandlungen zu Frauenmorden (Unionsverlag) spielen eine große Rolle in dem sehr starken neuen Buch von Patrícia Melo: »Gestapelte Frauen« – wahre Fälle hinter einer packenden Romanhandlung.

Der neue Titel von Ottessa Moshfegh:»Der Tod in ihren Händen« scheint auch sehr interessant – dieses Mal bei Hanser erschienen. (Siehe in unseren „Bloody Chops“ besprochen – d. Red.)

Abteilung »Kein Krimi«: Der legendäre Jahresrückblick der Brauseboys im »Kookaburra« konnte dieses Mal leider nur im Computer stattfinden. Glücklicherweise gibt es das wunderschöne Buch dazu mit den »besten Texten zu einem Jahr, zu dem man besser auf Distanz geht.«: Brauseboys: »Auf Nimmerwiedersehen 2020«, Satyr Verlag.

Bereits im November erschienen, ich hab’s erst jetzt entdeckt und bin langhingeschlagen vor Glück: Franz Dobler, »Ich will doch immer nur kriegen was ich haben will«, Gedichte 1991-2020, Starfruit Publications. (Textauszüge hier bei uns in dieser Ausgabe – die Red.)

Torsten Meinicke, Buchladen in der Osterstraße, Hamburg

Trotz Lockdown brummt unser Buchladen gerade mit Bestellungen und Abholungen, wir haben echt alle Hände voll zu tun. Das dekorierte Schaufenster zum Deutschen Krimi Preis führte zum stapelweisen Abverkauf von Beck, Annas, Göhre, Mina, Disher und Kim. Es wird gelesen.
 Hier meine Lektüren, die ich trotz allem Stress in der Ausnahmesituation noch geschafft habe:

1. Dough Johnstone, Der Bruch (Ü: Jürgen Bürger), Polar 2021, 308 S., 20,00 Euro: Eine dysfunktionale Familie (vorsichtig ausgedrückt), unüberwindbare Klassenschranken in Schottland. Edinburgh hat auch weniger edle Viertel. Ganz starkes und spannendes Sozialdrama.

2. Ted Lewis, Schwere Körperverletzung (Ü: Angelika Müller), Pulp Master 2021, 334 S., 14,80 Euro: Welch eine schöne Überraschung im Prolit-Paket! Endlich Neues aus dem Hause Pulp Master! George Fowler gegen den Rest der Welt. Sehr schade, dass der Autor sich schon mit 40 Jahren zu Tode gesoffen hat. (Das Vorwort von Derek Raymond hier bei uns in dieser Ausgabe, und in den „Bloody Chops“ eine Besprechung von Joachim Feldmann – d. Red.)

3. Chris Lloyd, Die Toten vom Gare d’Austerlitz (Ü: Andreas Heckmann), Suhrkamp 2021, 473 S., 15,95 Euro: Erscheint erst im April. Paris unter deutscher Besatzung, gut recherchiert, Inspecteur Éduard Giral zwischen allen Fronten. Spannend, auch wenn der deutsche Titel sich ein wenig sehr ans Regiokrimi-Publikum ranschleimt.

4. Ryan Gattis, Das System (Ü: Ingo Herzke und Michael Kellner), Rowohlt 2021, 542 S., 22,00 Euro: Los Angeles 1993. Die Gangmitglieder Wizard und Dreamer fahren ein. Bericht eines Knastlebens aus der Innensperspektive. Eine harte und fremde Welt, das begefügte Glossar ist deshalb durchaus hilfreich.

5. Bernd Ohm, Sechs Tage im Herbst, Grafit 2021, 270 S., 13,00 Euro: Erscheint auch erst demnächst. Henning Kollwey, längst verbürgerlicht,  wird von seiner militanten Vergangenheit eingeholt. Nach 30 Jahren sterben plötzlich diverse RAF-Unterstützer und auch Kollwey entkommt nur knapp einem Anschlag. 

6. Anna-Dorothea Ludewig (Hrsg.), Im Anfang war der Mord. Juden und Judentum im Detektivroman, Bebra 2012, 180 S., 29,95 Euro: Ein Nachschlagewerk, entstanden aus einem Seminar an der Universität Potsdam über die Präsentation und Repräsentation des Jüdischen im Detekivroman. Entstanden ist so ein Autoren- und Figurenlexikon von Glauser (antisemitische Stereotype!) bis Tidyman, von Kinky Friedman bis Susan Silverman.

Das war es von mir. Achtet auf eure Liebsten, seid solidarisch, bleibt negativ! Irgendwann sehen wir uns wieder. Live und in Farbe!

Jutta Wilkesmann, Wendeltreppe, Frankfurt:

Hier die Liste der Empfehlungen:

Jan Seghers: Der Solist (Rowohlt)   

Alfred Bodenheimer: Der böse Trieb (Kampa)

Lenz Koppelstätter: Das dunkle Dorf  (Kiepenheuer & Witsch)

Candice Fox: Dark  (Suhrkamp)

Tara Moss: Die Jägerin  (Aufbau)

Jan Christian Schmidt von Kaliber.38:

Schon seit der Vorankündigung auf meinem Lesezettel steht „Das Verschwinden der Erde“ der amerikanischen Autorin Julia Phillips (dtv, dt. von Roberto de Hollanda und Pociao). Schon der feine Titel weckt die Neugierde – aber mehr noch der entlegene Schauplatz: Der Roman spielt in der grauen Stadt Petropawlowsk in der Region Kamtschatka, am südöstlichsten Rand Russlands – eine Gegend, die die Autorin von einem einjährigen Stipendium während ihres Studiums kennt. In ihrem vielstimmig angelegtem literarischen Thriller erzählt Phillips (Jahrgang 1988) von unterschiedlichen Frauen, die allesamt lose verbunden sind durch das Verschwinden zweier Mädchen. In den dreizehn Geschichten untersucht Julia Phillips, wie Gewalt die Lebensumstände der Frauen und das Zusammenleben der Russen mit der indigenen Bevölkerung der Region prägen. Eine besondere literarische Rolle in „Das Verschwinden der Erde“ spielt die spektakuläre Landschaft – die Weiten der Tundra, die tiefen Wälder und die schneebedeckten Vulkane. Nun denn, wir sehen hoffnungsfroh einem „wunderreichen Debüt“ entgegen, in dem die „Kraft der Geschichte (…) uns von Seite zu Seite [trägt], und ihre [Phillips‘] Sätze schwingen und klingen“, wie Klaus Brinkbäumer in der „Zeit“ schreibt. (Eine Besprechung von Alf Mayer in den „Bloody Chops“ in dieser Ausgabe – d. Red.)

Schonungslose Unterschichtsprosa aus Edinburgh: „Der Bruch“ heisst der neue Krimi von Doug Johnstone, der – schon das sorgt für Beachtung – von Jürgen Bürger übersetzt wurde. Johnstone erzählt vom siebzehnjährige Tyler, der mit alkohol- und drogensüchtiger Mutter in einer heruntergekommenen Hochhaussiedlung lebt. Tyler wird von seinem psychopathischen Stiefbruder Barry gezwungen, die Häuser reicher Leute in Edinburgh auszurauben. Tyler ist zwar von schmächtiger Statur – er kann durch die schmalsten Öffnungen in die Objekte der Raubzüge eindringen -, aber er ist das Kraftzentrum seiner Familie und sorgt mit Hingabe für die kleine Schwester Bean, wenn die Mutter mal wieder auf Stoff ist. Bei einem Bruch kommt es zur Katastrophe: Der gewalttätige Barry sticht auf die Hausbesitzerin ein. Am folgenden Tag stellt sich heraus, dass es sich bei dem Opfer um die Frau eines berüchtigten Gangsters handelt. Tyler muss sich entscheiden zwischen Loyalität und Verrat. Ein kleiner Lichtblick schimmert durch die Seiten, als Tyler auf Flick trifft, ein Mädchen aus gutem Hause, aber von den ständig abwesenden, an der Karriere feilenden Eltern nicht minder vernachlässigt als Tyler. 
Doug Johnstone ist einer der wichtigsten schottischen Krimiautoren. In englischer Sprache hat er seit 2006 ein Dutzend Romane publiziert, von denen vor ein paar Jahren bei uns drei Titel im btb-Verlag erschienen waren. Erfreulich, wenn jetzt weitere seiner Romane im Polar Verlag zugänglich gemacht werden. „Doug Johnstones Edinburgh“, so Marcus Müntefering bei SPIEGEL online, „ist so finster, dass es selbst John Rebus, der hart gesottene Polizist aus Ian Rankins Krimi-Bestsellern, mit der Angst zu tun bekommen würde.“. Düstere Prosa, nicht schön das, aber literarisch kraftvoll. (Eine Besprechung von Joachim Feldmann in den „Bloody Chops“ in dieser Ausgabe – d. Red.)

Ah – nach langen Monaten Sendepause (die letzte Buchveröffentlichung war, wenn wirs richtig sehen, September 2019) gleich zwei neue Bücher im Berliner Pulpmaster Verlag: Ted Lewis „Schwere Körperverletzung“ ist ein abgezockter Gangsterroman aus der Londoner Unterwelt, im Original bereits 1980 erschienen, als deutsche Erstausgabe 1990 bei Black Lizard. Ted Lewis, 1982 gestorben, ist einer der Begründer des britischen Noir. „Schwere Körperverletzung“ wurde von Angelika Müller neu übersetzt und erscheint mit einem Vorwort von Derek Raymond. Der Roman ist ein Klassiker des britischen Noir – und, wie alle guten Bücher, eine literische Zumutung: Der Ich-Erzähler ist ein Killer, der in der Eingangsszene einen Verräter zu Tode foltert. Düstere Prosa, nicht schön das, aber literarisch kraftvoll. 

Dann: Südstaaten-Prosa von Tom Franklin, der mit seinem Roman „Crooked Letter, Crooked Letter“ von 2010 den Edgar und den Dagger gewann, die beiden wichtigsten Auszeichnungen in der englischsprachigen Kriminalliteratur. Franklins schriftstellerische Karriere begann 1999 mit einer Story-Anthologie, die der Pulpmaster Verlag jetzt unter dem Titel „Wilderer“ veröffentlicht (dt. von Nikolaus Stingl). Der mit „Jagdzeit“ betitelten Einleitung entnehmen wir, dass Franklin im Süden der USA literarisch ähnlich tief verwurzelt ist, wie Joe R. Lansdale im Osten Texas‘ oder James Lee Burke im Iberia County in Louisiana: „Vor vier Jahren, mit dreißig, bin ich aus dem Süden weggegangen, zu einem weiterführenden Studium in Fayetteville, Arkansas, wo mir unter den dorthin verpflanzten Yankees und Weststaatlern klar wurde, welches Glück ich hatte, hier in diesen Wäldern aufgewachsen zu sein, unter Wilderern und Geschichtenerzählern. Ich weiß natürlich, daß Arkansas für die meisten Leute zum Süden zählt, aber ist nicht mein Süden. Mein Süden – der mir bis heute im Blut liegt und meine Vorstellungswelt bestimmt, der Süden, in dem diese Geschichten spielen – ist das südliche Alabama, üppig, grün und voller Tod, die waldreichen Countys zwischen dem Alabama und dem Tombigbee River.“. Das macht doch wirklich Lust auf mehr – wir freuen uns auf eine Expedition in die Mythen, Geisteswelt und Natur einer Region, die man viel zu schnell mit dem Label „hinterwäldlerisch“ abtut!

„Babylon Berlin“ und die Folgen: „1946 – In den Ruinen von Babylon“ heisst ein Roman von Carlo Feber, der gleich mit seinem Titel klar macht, dass er im Fahrwasser des großen Erfolgs der Romane von Volker Kutscher und der Fernseh-Serie dümpelt. Der Roman ist Auftakt einer neuen Reihe um die beiden Kommissarsanwärter Curt Lanke und Hajo Steinert, die im zerbombten Berlin in der Zeit nach dem Zusammenbruch des Naziregimes ermitteln. Erschienen ist das Buch bei Piper Digital, gewissermaßen der Rumpelkammer des Münchner Verlagshauses. Schade, nicht mal eine Leseprobe ist online, und 19 Steine für ein Taschenbuch ist viel Geld, wenn man nicht mal reinschnuppern kann. Damit ist zur Qualität des Textes wirklich gar nix gesagt, aber wenn sich das Marketing nicht mal Mühe gibt, dann steigert das nicht gerade die Vorfreude auf den Text.

„Babylon Berlin“ und die Folgen: „Schatten der Mörder – Shadowplay“ heisst eine achtteilige Thriller-Serie von Måns Mårlind, die Sie in der ZDF-Mediathek finden können. Der augenscheinlich kostspielig produzierte und mit internationalen Schauspielern besetzte Krimi spielt in der Trümmerlandschaft Berlins im Sommer 1946. Hauptfigur ist der New Yorker Polizist Max McLaughlin, dessen Mutter Deutsche war. McLaughlin wird nach Berlin versetzt, um bei der Errichtung einer Zivilpolizei nach amerikanischem Vorbild zu helfen. In Berlin trifft er auf Elsie Garten, Leiterin eines kleinen Polizei-Reviers in Berlin Schöneberg, und Chefin einer Einsatztruppe, die im Wesentlichen aus Frauen und Waisenkindern besteht, denen Stuhl- und Tischbeine als Schlagstöcke dienen. Zwei ermordete GIs führen die ungleichen Cops Max und Elsie zum Berliner Arzt und enigmatischen Unterweltkönig Gladow, genannt „der Engelmacher“. Ein weiterer Leichenfund bringt Max auf die Spur seines verloren geglaubten, labilen Bruders Moritz, der nach der Teilnahme an der Befreiung des Konzentrationslagers in Auschwitz völlig aus der Bahn geraten war. Seither stochert Moritz im Berliner Untergrund und macht Jagd auf Nazi-Granden, die er nach dem Bilde der Max & Moritz-Geschichten aufs Grässlichste meuchelt. 
„Schatten der Mörder – Shadowplay“ ist ein spannend-hartes Krimi-Drama aus der brutalen Nachkriegszeit, dass teils mit schönen Details aufwartet (etwa der Hinweis an den neu in der Stadt eingetroffenen Polizisten Max, dass ihm ein Stadtplan nichts nütze, weil in der Trümmerlandschaft nicht mal Straßen zu identifizieren sind), teils unglaublich geschludert wurde (von welchem Punkt in Berlin aus befindet sich denn Reinickendorf „ganz weit im Westen?“). Ein echter Hingucker schon der Vorspann, in dem Textausschnitte aus „Max & Moritz“ mit dem Berliner Stadtplan verschmilzen, und sich eine verlaufende Blutspur zu den berühmten Busch-Figuren formt. Unterlegt ist der Vorspann mit der Musik von Nathaniel Mechaly, der auf geniale Weise den Song „Shadowplay“ der Postpunk Band Joy Division uminterpretiert (gesungen von Lily Oakes). In Film/der TV-Serie selbst taucht „Shadowplay“ wieder auf als „Schattenspiel“ – eine verschollene Partitur von Johann Sebastian Bach, die in der Berliner Trümmerlandschaft von einem einsamen Cello-Spieler zur Welturaufführung gebracht wird. Vieles wirklich gut also – bis runter zu den immer vorzüglich sitzenden Frisuren merkt man hochprofessionellen Einsatz. Es gibt überraschende Wendungen in der Handlung, und die Figuren sind mehrschichtig angelegt. Allein – es berührt nicht wirklich! Man sieht gut agierenden Schauspielern bei ihrer Arbeit in aufwändigen Kulissen zu, aber der Funke springt nicht rüber. Die Produktion ist mit Blick auf einen internationalen Markt viel zu glatt poliert, weniger wäre deutlich mehr gewesen. Bei der zweiten Staffel sind wir aber vermutlich wieder dabei…

Keine Lust auf nix? Sie wollen einfach nur in der Ecke sitzen, Drogen nehmen und an die Decke starren? Da habe ich was für Sie – nicht die Drogen, aber eine Anregung für den akustischen Hintergrund: Hören Sie doch mal rein in die famosen Chansons der wunderbaren rumänischen Sängerin Maria Tănase, die schon 1963 verstorben war, und erst gegen Ende des letzten Jahrhunderts diesseits des eisernen Vorhangs entdeckt wurde. Tolle, raumfüllende, melancholisch-lebenssüchtige Musik! Genau das Richtige, um in der Ecke zu sitzen und, nu, an die Decke zu starren…

Comic/Heimkino – von Katrin Doerksen und Thomas Groh:

Cells At Work! An die Arbeit Blutplättchen 1 von Akane Shimizu
Cross-Cult, Softcover, Schwarzweiß, bestellbar

Jetzt startet auch das jüngste Spin-Off der Cells-at-Work-Mangareihe in Deutschland, das mithilfe charmanter Plotlines die Vorgänge im menschlichen Körper erklärt. Diesmal im Mittelpunkt: Die Blutplättchen, dargestellt als eine Gruppe niedlicher Vorschulkinder. Man denke an Es war einmal… das Leben, nur eben in japanisch und vollends abgedreht.

Höllental von Marie Wilke
ZDF-Mediathek, 6 Folgen

Höllental ist True Crime ohne den Boulevard-Trash. In ihrer Dokuserie rollt Filmemacherin Marie Wilke (Aggregat) den bis heute ungelösten Fall der neunjährigen Peggy Knobloch auf, die 2001 aus dem oberfränkischen Lichtenberg spurlos verschwand. Wilke ist eine nüchterne Beobachterin: Ruhig schweift ihre Kamera über die undurchdringlichen Nadelwälder, die dicken Ermittlungsakten. Nach und nach ergibt sich so das Bild eines völlig chaotischen Prozesses, geprägt von menschlichen Fehlentscheidungen, gesellschaftlicher Kälte und dem Druck von Seiten der Politik.

Sentient – Kinder der K.I. von Jeff Lemire
Panini, Hardcover, farbig, 172 Seiten, bestellbar

„Herr der Fliegen“ im All mit schön räudiger Horroratmosphäre: Nach einer Klimakatastrophe ist die Erde unbewohnbar und Raumschiffe auf dem Weg zu einer weit entfernten Kolonie. An Bord der U.S.S. Montgomery bringt jedoch eine Separatistin die Crew um und wird anschließend selbst getötet. Übrig bleiben eine Handvoll Kinder und die K.I. Valarie. Bisher ist der Band ein Standalone, liest sie aber wie der Auftakt zu etwas viel Größerem.

Blueberry Collectors Edition von Charlier/Giraud
Ehapa, Hardcover, farbig, mehrere Bände, je ca. 190 Seiten

Mit dem Westerncomic-Klassiker „Blueberry“ wurde aus Jean Giraud der Comicmeister Moebius. Sind Moebius‘ Comics allerdings hart psychedelische SF-Phantastereien, ist „Blueberry“ noch ganz dem realistischen Register verpflichtet. Verdienstvoll ist die derzeit erscheinende, mehrbändige Collector‘s Edition, die zumindest den Giraud-Zyklus des später von anderen Zeichnern fortgesetzten Comics bündelt. Eierschalenfarbenes Papier und die Originalkolorierungen der 60er und 70er bilden die Comics wertig und nostalgisch zugleich ab. Hinzu kommt ein hervorragender redaktioneller Teil, der die Genese des Comics und seine Publikationsgeschichte fast schon philologisch aufbereitet. Sammler kommen nicht umhin, sich die ganze Reihe ins Regal zu stellen – wem es allein um den Lesegenuss geht, ist mit der aktuellen vierten und fünften Ausgabe gut beraten: Sind die Comics der ersten Bände noch etwas knabenhaft im Erzählstil, entwickelt sich „Blueberry“ in diesen Geschichten zu einem wunderbar epischen und erwachsenen Erzählcomic, in dem die Kunst im Handwerk, nicht in der Grandezza liegt. Der Italowestern hat in diesen Geschichten ebenfalls nicht wenig Spuren hinterlassen.

Utopia von Sohrab Shahid Saless
Filmjuwelen, 1983, 187 Minuten, DVD für ca. 14 Euro

BRD-Klassiker von 1983, jahrelang nur in weitergereichten VHS-Aufnahmen zu sehen gewesen, jetzt endlich wertig digitalisiert: „Utopia“ des Exiliraners Sohrab Shahid Saless, der mit seinen deutschen Filmen dem Land den Spiegel vorhielt. Minutiös schildert Saless die Machtverhältnisse in einem Westberliner Bordell. Manfred Zapatka gibt den sensationell finsteren Zuhälter, der aber Wert auf seine Fassade als Geschäftsmann legt. Ein Film über Ausbeutung und Kapitalismus, über Entfremdung und Gewalt. Drei klaustrophobische Stunden, die man nicht vergisst – ein Meisterwerk des Films aus und über Deutschland.

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