Taktloser Flegel
„Sebastian Bergman ‒ Spuren des Todes I“ heißt eine Profiler-Serie aus Schweden, in der Rolf Lassgård eine Art Westentaschen-Fitz („Cracker“ ‒ wir erinnern uns wehmütig) gibt. Anna Veronica Wutschel ist nicht sehr begeistert.
Das Glück liegt im Schoße der Frauen, oder auch nur der vermeintlich schnelle Trost. So auf alle Fälle hält es Sebastian Bergman, ein ebenso brillanter Profiler wie taktloser Flegel. „Ich? In einer Gruppe?“, fragt Bergman konsterniert, als ihm seine Therapeutin einen Gesprächskreis vorschlägt. Doch lässt er sich wider Erwarten auf das Experiment ein, sitzt schlecht gelaunt zwischen den anderen Patienten, umgibt sich mit dem Charme des teilnahmslos Desinteressierten und findet am späteren Abend doch noch Ablenkung in den Armen einer depressiven Gesprächsrundenteilnehmerin. Auf ähnlich aggressiv chauvinistische Weise bewirbt er auch unwillig sein Buch, schäkert unangenehm aufdringlich mit einigen Damen des Fachpublikums, um dann zur großen Erleichterung aller wieder von der Bildfläche zu verschwinden. Denn auch wenn Bergman schon immer als schwierig galt, ist er erst seit dem plötzlichen, traumatischen Verlust seiner Frau und seiner Tochter, die 2004 bei dem Tsunami in Thailand starben, zum bitterbösen Zyniker geworden, der keinen Sinn mehr im Leben sieht und sich um keinerlei Konventionen schert.
Doch das irdische Elend holt die Lebenden immer wieder ein, und so muss Bergman, erneut mit Verlust konfrontiert, nach dem Tod der Mutter in seinen Heimatort zurückkehren, um ihren Nachlass aufzulösen. Dort mischt er sich bald in eine Mordermittlung ein, die ihm unter anderem die Möglichkeit bieten wird, die feine Fassade der ehrwürdigen von ihm verhassten Eliteschule, die einst von seinem Vater gegründet wurde, einzureißen. Ein kleiner, ein erbärmlicher Triumph über die Vergangenheit ist das.
Verdammt viel von verdammt viel
So birgt der Auftakt der Serie von vornherein verdammt viel Konfliktstoff, verdammt viel Tragik, verdammt viel Trauma für eine einzige Person. Aber, so denken die Macher der Serie, es soll schließlich ein Krimidrama sein, was wir geschrieben haben, da muss es ja dramatisch zugehen. Und man merkt sofort, die Serie „Sebastian Bergman ‒ Spuren des Todes“ sucht nicht unbedingt die feinen, leisen Untertöne, die Angst, Verzweiflung, Trauer, Selbstvorwürfe oder Hass einfangen. Nein, selbst bei dem Ermittlungsfall setzen die Autoren in „Der Mann, der kein Mörder war“ ausschließlich auf möglichst viel von allem. Verworrene Verwirrung steht im Vordergrund, wenn das in die Kleinstadt angereiste Spezialteam den Mord an einem Schüler aufklären muss. Denn eben diesem wurde enorm übel mitgespielt: In der Nacht seines Todes wurde er zunächst verdroschen, dann erschossen, danach mit 30 Messerstichen malträtiert, um dann letztendlich entherzt zu werden. Traurig. Doch ‒ das versteht sich von selbst ‒ Bergman bringt schnell Licht in die düster-tragischen Verhältnisse, die zu diesen irren Taten führten.
Rein zufällig …
Im zweiten Fall „Die Frauen, die er kannte“, der Titel verrät es bereits, muss Bergman um das Leben einer Menge Frauen fürchten, die er mehr oder weniger flüchtig kannte und die nun von einem Mörder auf ganz besondere Weise ins Jenseits befördert werden. Und da Bergman letztens überraschend erfahren hat, dass er auch noch eine uneheliche Tochter hat, die rein zufällig eng mit ihm im Ermittlungsteam zusammenarbeitet und nichts von den verwandtschaftlichen Verhältnissen ahnt, ist Bergman nicht nur noch verwirrter als zuvor, sondern auch nach all den Verlusten der letzten Jahre erneut persönlich verwundbar. Und diese neue Achillesferse nutzt selbstredend umgehend ein fieser Serienmörder aus, den Bergman einst hinter Gitter brachte. Nun mordet zunächst zwar ein anderer, imitiert die Taten von damals bis ins kleinste Detail, doch als der endlich gestellt werden kann, spitzt sich die Lage erst richtig zu.
Rolf Lassgård, den die meisten Zuschauer wohl als Kommissar Wallander in Erinnerung haben werden, spielt den von inneren Konflikten gebeutelten, von äußeren Kräften aufgeriebenen Profiler hervorragend. Spielt mit feinster Mimik und Gestik den klugen Kopf, der sich selbst im Weg steht, und den das Leben innerlich zerrissen hat. Und selbst die anfänglich recht hektische Kamera, die sich immer wieder aufgeregt auf ihren Protagonisten stürzt, deren Leid sie vor allem anderen erzählen will, wird mit der Zeit entspannter, lässt den anderen Figuren mehr Raum, sodass sich die Jagd auf das Böse, die Handlung an sich mehr verdichten kann. Das klingt fast, als würde sich nach einer kleinen ersten Schwächelei die Serie fangen, sich von der eigenen Maßlosigkeit, die dem Kleinen nicht vertrauen mag, zurückziehen, um sich auf die wahren Abgründe zu konzentrieren. Doch dem ist nicht so.
Was sich im Verlauf subtil und spannend hätte entwickeln können, wird via Vorschlaghammer, per Rauchzeichen aus allerhand Abgekupfertem kommuniziert. Die Figur Bergman könnte oder möchte ein Fitz sein, an die damals grandiose Serie „Für alle Fälle Fitz“ anknüpfen. Doch all das, was jene Serie ausmachte, das garstige, doch mitfühlende Gespür für den übergewichtigen, genialen Versager-Helden, der sensible Blick auf das Elend der Opfer, auf die verstörte Realität der Täter, auf den Menschen an sich fehlt hier gänzlich. Eine eigene Idee für die Figuren, die Ermittler oder die Täter, für die Handlung ist nicht zu erkennen. Die Figur des Sebastian Bergmans war ein Experiment, wie man hier nachlesen kann. Aus einer Laune heraus entwickelt, mit Co-Autor zu Papier gebracht, skandinavisch, schwedisch schwermütig, was mitnichten tiefgründig bedeuten muss, erzählen „Die Spuren des Todes“ in jeder Hinsicht bös aufschneiderisch von allem zu viel. Und damit leider auch von allem viel zu wenig.
Anna Veronica Wutschel
Sebastian Bergman ‒ Spuren des Todes I. 2 DVDs. Studio: Edel Motion. Laufzeit: 175 Minuten. Darsteller: Rolf Lassgård, Tomas Laustiola, Gunnel Fred, Moa Silén u. a. Regie: Daniél Espinosa, Michael Hjorth. Drehbuch: Michael Hjorth, Hans Rosenfeldt. Kamera: Erik Molberg Hansen. Erscheinungstermin: Oktober 2013. Produktionsjahr: 2010. Sprache: Deutsch (Dolby Digital 5.1). 16,99 Euro.
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