
An der Seite des Mannes
Ein Buch, das von der Realität ein gutes Stück eingeholt wurde, ist Alafair Burkes „The Wife“. Vor dem Skandal um Brett Kavanaugh geschrieben, erzählt sie von dem renommierten Wirtschaftsprofessor Jason Powell, dem vorgeworfen wird, eine Studentin sexuell belästigt zu haben. Dieser Vorwurf bringt sein Leben ins Wanken, seine Ehefrau Angela aber hält zu ihm. Sie ist „The Wife“, sie ist eine dieser Ehefrauen, die nicht glauben wollen, was man über ihren Ehemann sagt. Sie will nicht sehen, dass ihr schönes, bequemes Leben auf einer Lüge aufbauen könnte.
Diese Figuren kennt man, aber meist bleiben sie in den Geschichten am Rand, sie werden auch in der Narration auf die Figur an der Seite des Mannes reduziert. Bei Alafair Burke steht Angela indes im Mittelpunkt. Sie war eine junge alleinerziehende Mutter, als sie Jason Powell bei einer Dinnerparty in den Hamptons kennengelernt hat – sie hat dort gekellnert, er war zu Gast. Sie kann es kaum glauben, dass sich dieser gutaussehende, charmante, wohlhabende und erfolgreiche Mann in sie verliebt, dass er keine Probleme mit ihrem Sohn hat, sondern ihn vielmehr noch als sein eigenes Kind ansieht. Also heiraten sie, sie sind eine Familie, Angela ist Ehefrau und Mutter. Erst als die Vorwürfe gegen Jason aufkommen, beginnt diese perfekte Fassade zu bröckeln: „Der erste Ärger man mit einem Mädchen namens Rachel. Sorry, kein Mädchen. Einer Frau namens Rachel.“
Das Buch beginnt – genregemäß – mit Angela als Ich-Erzählerin, aber sehr bald wird diese Perspektive zum einen durch Transkripte von Aussagen und Mails unterbrochen, zum anderen durch die personale Erzählung der Ermittlungen von Detective Corrine Duncan. Diese Zusammenstellung der Perspektiven ist raffiniert: Schnell erahnt man, dass Angela alles andere als eine zuverlässige Erzählerin ist, aber im ersten Moment ist sie die betrogene Ehefrau, deshalb wäre es einfach, auf ihrer Seite zu stehen. Doch die Aussagen der Opfer, die Polizeiberichte und E-Mails zwischen Jason und seiner Anwältin Olivia Randall liefern zwei Versionen Vorkommnisse. Vor allem gibt es Corrine Duncan, die von Anfang an irritiert ist über Angelas Verhalten. Sie ist es, die Informationen sammelt, die die Puzzleteile zusammensetzt, die Handlung voran treibt und nach und nach das ganze Bild aufdeckt. Sie zweifelt nicht an der Glaubwürdigkeit der Opfer, sie weiß, was richtig und falsch ist – und sie braucht keine Familie, keinen Partner, um zu wissen, wer sie ist. Damit fungiert sie als Gegenpart zu Angela, deren Selbstverständnis so sehr von ihrer Funktion als Ehefrau und vor allem Mutter abhängt.
Im Zusammenspiel entsteht dadurch ein faszinierendes Psychogramm einer Frau, das ansatzweise verstehen lässt, was manche Frauen dazu treibt, anderen Frauen nicht zu glauben. Das ist die große Stärke dieses Buchs, das altbekannte Zutaten – das perfekte Paar erinnert an „Gone Girl“, bei Angelas Vergangenheit werden Erinnerungen an „Room“ wach, die Vorwürfe lassen an „The Good Wife“ denken – sehr überzeugend neu vermengt. Deshalb ist es schade, dass Alafair Burke am Ende von „The Wife“ die Verwicklungen und Taten etwas zu weit dreht und einfach immer noch eine Wendung, einen Twist aus dem Hut zaubern will. Das Böse braucht keine großen Gewalttaten, um böse zu sein oder zu schockieren. Madeleine Albright sagte einmal, „There is a special place in hell for women who don’t help other women“. Und in diesem Buch bekommt dieser Satz eine erschreckend perfide Note. Denn in einer patriarchalen Gesellschaft ist Hilfe ein weiter Begriff.
Sonja Hartl
- Alafair Burke: The Wife. Übersetzt von Kathrin Bielfeldt. Aufbau Taschenbuch, Berlin 2019. 400 Seiten, 12,99 Euro.