Geschrieben am 23. März 2013 von für Crimemag, Interview

Sophie Sumburane im Gespräch mit Eric Berg

Eric Walz schreibt historische Romane, als Eric Berg hat jetzt einen typ-gerechten Regionalkrimi („Das Nebelhaus“) geschrieben, der in alle Produkt-Kalküle dieses immer noch boomenden Marktsegments passt. Wie entsteht so ein Produkt, wie ist es gemacht? Sophie Sumburane hat sich mit Eric Walz/Berg getroffen und ein paar Fragen zum Making-of … gestellt …

EricWalz_Berg.Ich habe mich verteilt

S: Warum der Wechsel vom historischen Roman zum Kriminalroman? In der Pressemitteilung steht, Krimis schreiben sei Ihr Lebenstraum – warum haben Sie dann nicht gleich mit Krimis angefangen?

E: Also beides ist mein Lebenstraum. Meine liebsten Fächer in der Schule waren Geschichte und Deutsch, da war ich immer super. In vielen anderen Fächern dagegen ganz schlecht. Wenn ich auf etwas keine Lust habe, lasse ich mich nicht darauf ein. Ich glaube nicht, dass ich damals dumm war, aber wenn es mich nicht interessiert, ist es ganz schlimm mit mir und meiner Konzentration.

Geschichte hat mich immer gefesselt. Von daher war für mich dann später klar – wenn ich mal ein Buch schreibe, dann fange ich mit einem historischen Roman an. Man hat es ja dann auch gemerkt, dass ich dann nach dem dritten normalen historischen Roman einen historischen Krimi geschrieben habe, mit der Glasmalerin. Daraus wurde dann sogar eine Trilogie. Von daher war für mich dieser Schritt erst mal gar nicht so groß.

Das Schreiben meines ersten normalen Krimis ergab sich dann im Gespräch mit meiner Lektorin, die sagte: Die Historienkrimis die gefallen mir so, wollen Sie denn nicht mal einen Krimi schreiben?

Und ich so: Ja, ja ich will. Vorher hatte ich mir so gar nicht Gedanken darüber gemacht, weil ich so in dem Rhythmus des historischen Romans drin war.

Und wie kam dann die Idee für das „Nebelhaus“ zustande?

Die Idee hatte ich schon lange, die hat sich im Laufe der Zeit in meinem Kopf entwickelt und sich jetzt auch schon ein wenig verändert. Ich habe aber beim Schreiben gemerkt, dass das genau mein Ding ist. Ich war so richtig im Flow.

Ich war vor ungefähr zehn Jahren das erste Mal auf Hiddensee. Ich habe diese Insel betreten und hab das sofort in Verbindung gebracht mit einem Verbrechen. Ganz einfach, weil sie nur durch eine Fähre erreichbar ist, kein Autoverkehr. Das ist ja so eine Abgeschlossenheit. Das ist was anderes, als wenn man das auf Rügen macht. Weil, da fährt man einfach über die Brücke. Und irgendwie finde ich das schön, ich meine, ich bin ja nicht der Erste, der das so macht.

Der Sturm am Ende, in der sogenannten Blutnacht, verstärkt diese Abgeschlossenheit ja noch …

Der Sturm ist zugleich ein Synonym für die inneren Befindlichkeiten. Er ist quasi eine äußere Widerspiegelung dessen, dass sich ja immer mehr zusammenbraut dort. Aber er ist natürlich auch für die Handlung insofern von Bedeutung, als es bei Sturm und Regen natürlich viel, viel schwerer fällt um Hilfe zu rufen und sich in Sicherheit zu bringen.

Wie haben Sie die Geschichte entwickelt – lief das ähnlich wie bei Ihren historischen Romanen oder ist die Arbeit an dem Krimi eine ganz andere gewesen?

Im Wesentlichen ist die Arbeit keine andere, wenn man den Kernbereich des Schreibens nimmt. Weil ich mir in beiden Fällen selber ein Exposé erstelle, von drei Seiten ungefähr, und das muss dann ausgefüllt werden. Und das andere passiert eigentlich im Kopf und wird nur über Stichworte und mal eine Notiz hier, mal eine Notiz da erledigt. Einen Plotplan mache ich mir nicht wirklich. Auf dem Papier ist schon ein Gerüst da, so dass es klar ist, wohin die Reise geht, und vor allem sollte man, das ist klar, wissen, wer ist der Täter. Sonst haben am Schluss alle ein Alibi und man steht da, auf der letzten Seite. Also das Konzept war schon da, aber es ist nicht so ausführlich. Und ich möchte auch, dass den Figuren ein bestimmter Raum zur Entfaltung gegeben ist. Das hört sich jetzt komisch an, aber alles ganz nach Schema, das vorher vorgegeben wurde – dann fehlt mir so ein bisschen die Flexibilität.

Das Nebelhaus von Eric BergEs ist ein relativ häufiges Motiv in Kriminalromanen, dass die ermittelnde Person selbst in irgendeiner Form Opfer einer Gewalttat geworden war. Bei Doro Kagel ist es der ermordete Bruder. Warum greifen Sie da auf bewährte Muster zurück?

Das ist richtig, aber welches das jetzt ist, ja … Die Geschichte von Doro Kagel habe ich nicht so gestaltet, weil ich dachte, du brauchst jetzt dieses Element, weil man das ja so gerne und häufig verwendet und was machst du denn da jetzt damit, sondern, das passiert dann in dem Moment, wo ich mich hingesetzt hab, erste Seite Doro: Und dann kommt das in dem Moment. Und das überlege ich es mir erst dann und nicht schon vorher. Also es ist kein Teil des Konzepts, sondern es passiert in dem Moment.

Und warum die Entscheidung für eine ermittelnde Journalistin und gegen den klassischen Ermittlerkrimi?

Ja, eben, weil es mir zu klassisch war. Ich lese häufiger mal Gerichtsreporter, die zu einem spektakulären Kriminalfall zwei Jahre, drei Jahre später ihren Senf zu geben und nochmal alles Revue passieren lassen. Da gibt es ja so ein paar Gesichter, die mir da spontan einfallen. Und das fand ich eigentlich immer sehr interessant, weil die einerseits ein bisschen außen vor sind, also nicht richtig involviert sind, aber sie können gar nicht anders, als einzutauchen und sich mit den Leuten zu unterhalten und eine Nähe zu entwickeln. Da ist eben beides da, sie sind eben keine Polizisten und keine Gerichtsgutachter oder etwas anderes der x-Möglichkeiten, wen man da nehmen kann.

Und das war aber auch wieder nicht so eine Reißbrettgeschichte, dass ich gesagt habe: Jetzt musst du mal was nehmen, was es noch gar nicht gab. Sondern das kam ganz spontan und natürlich, dass ich gesagt hab, ich will eine zweite Gegenwartsebene, ich will jemanden, der in diese Geschichte eintaucht und ich hatte sofort, von einer Gerichtsreporterin her, die es wirklich gibt, den Einfall. Aber die Doro ist ganz anders als die. Vom Alter und allem. Aber es ist auch eine Frau.

Und das war so der erste spontane Einfall im Vergleich dazu. Da habe ich gar nicht lange irgendwie überlegen müssen.

Die beliebte Frage an Autoren: Wie viel Eric Berg steckt im Buch?

Ich habe mich verteilt über die einzelnen Figuren. Nicht nur über die Figur des Autors, die vorkommt. Das könnte man ja denken, das liegt irgendwie nahe.

Natürlich ist da auch was drin, er schreibt. Aber wie gesagt, ich habe mich verteilt, es ist auch in den anderen Figuren etwas von mir drin. Vielleicht am wenigsten noch bei der Leonie, weil die doch ein bisschen durchgeknallt ist.

Recherche

Aber richtig gut durchgeknallte Figuren beschreiben kann man ja nur, wenn man selber weiß, wie es sich anfühlt?

Ja, aber es ist zum Beispiel auch wieder so eine Geschichte, das was die Sache betrifft, mit Leonie und Steffen. Etwas ähnliches hat es in meinem Freundeskreis vor nicht allzu langer Zeit gegeben. Und das habe ich natürlich aufgenommen. Das sind natürlich so Dinge, die bringt man dann da ein, Sachen, die man links und rechts hört. Aber das ist auch wieder etwas gewesen, das stand nicht im Exposé, ursprünglich. Da sah die Idee noch anders aus. Erst während des Schreibens dachte ich mir: Das ist doch eigentlich geil, die spricht ihm die ganze Zeit ganz selbstverständlich Nachrichten auf die Mailbox, da kommt dann natürlich kein Mensch drauf – würde ich auch nicht – dass die beiden kein Paar mehr sind. Da denkt doch jeder, klar sind die irgendwie zusammen.

Das hat mir dann selber auch gleich sehr gut gefallen, dieser Einfall und so hat sich das dann entwickelt.

Sehr schön drumherum geantwortet. Wenn Sie also selber nicht wissen, wie es sich anfühlt, wie stark mussten Sie dann recherchieren, um eine solche psychische Erkrankung, wie Leonie sie hat, glaubhaft zu entwickeln?

Dafür gibt es zum Glück Fachliteratur. Wobei ich sagen muss, dass wenn man einen historischen Roman schreibt, man mehr recherchieren muss. Also ich musste relativ wenig recherchieren. Klar, ein paar Dinge muss man einfach wissen. Wenn man über Borderliner schreibt, muss man schon wissen: Was ist das eigentlich?

Vor allem, weil Doro ein Gespräch mit einer Gutachterin richtig darüber führt. Da muss man sich schon informieren. Aber am Ende muss man dann alles, was man darüber liest, wieder komprimieren, denn ich will ja nun kein Buch über Borderliner schreiben.

Wie haben Sie da für sich selbst die Grenze gezogen, dass der Leser nicht denkt, der will mir jetzt zeigen, was er alles weiß, sondern so, dass alles was gesagt wird, wichtig für die Geschichte ist?

Man muss es zum richtigen Zeitpunkt bringen. Zum Beispiel habe ich mir überlegt, dass ich möchte, dass die Doro auch mal ein bisschen grundsätzlicher redet über ihren Beruf und nicht immer nur in einem inneren Monolog reflektiert. Und da habe ich überlegt, wo ist dafür der richtige Zeitpunkt? Und so fiel mir das Gespräch mit dem Yim ein, wo man ja sowieso nicht so genau weiß, wie er im Fall mit drin hängt. Ich dachte, jetzt sitzen die da und jetzt fangen plötzlich an über Mörder zu reden. Und er will wissen, was sie eigentlich von Mördern hält und so weiter. Und dann dachte ich, das ist eigentlich so ein Moment, wo ich mal ein bisschen grundsätzlicher werden kann und auch ein bisschen was darüber erzählen kann. Auch dafür musste ich natürlich recherchieren, musste mich ein bisschen kundig machen: Wie sehen das eigentlich Gerichtsreporter, wie gehen die denn um, mit Opferangehörigen und Täterangehörigen?

Aber mein Prinzip ist eben auch, und dass habe ich schon früh gelernt, schon beim historischen Roman – Karl Lagerfeld hat mal gesagt, wenn er sich in ein neues Themengebiet einarbeitet, nimmt er sich sämtliche Literatur, die er findet, blättert alles durch, dann schiebt er alles weg, will eine Woche lang nichts mehr davon wissen, und erst dann macht er sich an die Arbeit. Das finde ich wichtig, denn das Detail kann auch zur Krankheit für ein Buch werden.

Auch bei historischen Romanen. Deswegen schaffen es ja so wenige Geschichtsprofessoren Romane zu schreiben, weil sie so viel wissen, dass sie versuchen, alles da rein zu packen.

Ich eigne mir zwar einiges an, aber dann kommt der Punkt, an dem ich sage, ich will mich jetzt auch selber ein bisschen hinein spüren, also dem ganzen meinen eigenen Touch geben.

Ich versuche, mich eben da hinein zu versetzen, in die Situation meiner Figuren, wie würde ich denn mit diesen Menschen umgehen?

Ich finde es auch wichtig, dass man das aus der Fachliteratur nicht nur abschreibt und sich denkt, ok, das schreibe ich jetzt da rein, damit alles sachrichtig ist, sondern bei mir ist auch Zeit dazwischen vergangen, ich habe das Monate gelesen, bevor ich mit diesem Buch dann eigentlich angefangen habe.

Monströs

Kommen wir zur Familie Nan und Kambodscha. Warum greifen Sie für Ihren Fall die grausame Diktatur der Roten Khmer um Pol Pot auf?

In dem Ur-ur-ur-Konzept, das ich mal hatte, hatte die Familie Nan noch breiteren Raum. Die hatten sogar so eine Art Nebenhandlung. Aber ich habe dann auch gemerkt, und auch die Leute, mit denen ich gesprochen habe, haben gesagt, dass es auch dann doch wieder ein bisschen ablenkt. Es ist zwar faszinierend, denen ein bisschen mehr Raum zu geben, aber auf der anderen Seite nimmt es dann sehr viel Tempo raus, weil man auf andere Pfade kommt.

Ich habe die Geschichte gewählt, weil ich wollte ein Geheimnis haben. Jetzt könnte man sagen, so ein Familiengeheimnis, das hat ja eigentlich jeder. Aber diese Leute, die am Ende der Welt lebten, also weit weit weg, können ihr Geheimnis, obwohl sie jetzt auf Hiddensee leben, nicht abschütteln. Frau Nan hat das ein paar Jahre lang gekonnt, aber dann nicht mehr. Das fand ich sehr reizvoll, wie die beiden mit Schuld umgehen. Aber ich wollte bitteschön nicht die alte deutsche Geschichte wieder ausgraben. Das hätte zeitlich auch gar nicht gepasst.

Ich habe jedenfalls die Nans gemocht, insofern, als dass man aus ihnen viel machen konnte. Zumal es ja dann für die Auflösung des Falls schon auch eine Rolle gespielt hat.

Gibt es für Sie denn einen Bezug nach Kambodscha, oder warum haben Sie gerade dieses geschichtliche Verbrechen gewählt?

Es ist eine unglaubliche Epoche gewesen. Ich habe natürlich auch vorher schon darüber gelesen. Die Nans waren immer schon aus dieser Ecke, aber ursprünglich betraf die Schuld etwas, wie soll ich sagen, eine persönliche Geschichte innerhalb der Familie. Ursprünglich waren sie Vietnamesen. Und es sollte etwas mit dem Vietnamkrieg zu tun haben. Dann habe ich mich aber an diese vier furchtbaren Jahre irgendwie erinnert, unter Pol Pot. Beim Vietnamkrieg da konnte man ja irgendwie noch sagen, die haben für ihr freies Land gekämpft, da sind Verbrechen passiert, wie in jedem Krieg, aber dass Herr Nan Teil des Systems war und sie dabei zugesehen hat, bei einem wirklichen Monsterregime, dass er also im Grunde wirklich das Böse ist, das Böse verkörpert, fand ich reizvoll. Zumal es auch nicht isoliert steht, sondern wie gesagt wichtig ist und eins dann irgendwie auch zum andern passt. Diese Monstrosität damals und die Monstrosität jetzt in der Blutnacht ist durchs Schicksal verwoben worden. Ich mag das Schicksal.

Wie geht es weiter? Mehr Krimi? Mehr Doro?

Ich möchte gern in der Region um Hiddensee bleiben. Weil sich die Ostsee für mich sehr anbietet, ich mag das. Es ist auch alles schon soweit fertig, die ersten Gespräche laufen auch und ich bin zuversichtlich, dass es dann im nächsten Jahr dann wieder was geben wird.

Wie gesagt, ich hatte so viel Spaß beim Schreiben und war selber so ein bisschen im Fieber. Ich habe mich immer wirklich richtig auf das nächste Kapitel gefreut, weil ich wusste: jetzt kommt dies und das, jetzt kommt wieder die Doro dran.

Und ich mag auch meine Figuren, denn die meisten – außer vielleicht der Philipp – sind ja so ein bisschen verrückt.

Geplant sind aber jetzt erst mal neue Figuren, wobei ich sagen muss, dass mich das schon sehr verlockt, auch mit Doro weiter zu machen. Sie hat jetzt natürlich schon sehr viel von ihrer Arbeit in diesem ersten Band erzählt. Da gäb’s jetzt wahrscheinlich nicht mehr so furchtbar viele Aspekte, aber das ist ja bei anderen Serienfiguren genauso. Man kann die Figur in neue Lebenssituationen hinein führen aber, so das Grundsätzliche, wie denken die Figuren über bestimmte Dinge, wie laufen die Prozesse bei ihnen ab, was sind das für Menschen – das bleibt ja gleich.

Vielen Dank für das Interview!

Sophie Sumburane

In der nächsten Ausgabe von CrimeMag lesen Sie eine literaturkritische Einschätzung des Romans.

Eric Berg: Das Nebelhaus. Roman. München: Limes Verlag. 2013. 416 Seiten. 14,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch und zur Leseprobe. Zur Autorenhomepage. Foto by Sophie Sumburane. Zur Homepage von Sophie Sumburane.

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