Vampire als Kriegsgewinnler
Die junge Amerikanerin Stephenie Meyer erwacht eines Tages nach einem erotischen Liebestraum, schreibt diesen auf und landet einen Millionenbestseller. Nadja Israel hat sich das Phänomen genauer angeschaut.
Meyers Twiligth-Saga funktioniert als eine Art Gegenthese zu unserem mediendominierten Alltag in der westlichen Welt, der immer weniger Privatheit und Intimsphäre zuzulassen scheint. Meyers traumwandlerisch märchenhafte Gegenwelt ist bevölkert mit neuen alten Helden.
Der Plot sei hier, für jene, die nicht wissen worum es geht, in aller Kürze zusammengefasst: Die 17-jährige Bella Swan zieht von ihrer Mutter aus dem heißen Phoenix (Arizona) in das regnerische Forks (Washington) zu ihrem Vater, um der Mutter mehr Zeit mit ihrem neuen Ehemann zu ermöglichen. Sie muss natürlich in eine neue Schule, findet neue Freunde und die Ich-Erzählerin lässt uns teilhaben an all den Ängsten, Nöten und Begehrlichkeiten einer durchschnittlichen und stark typisierten 17-Jährigen.
Die regnerische und langweilige Kleinstadt Forks, so stellt sich bald heraus, ist bevölkert mit fantastischen und unheimlichen Wesen, die unerkannt neben den Normalsterblichen existieren. In diesem Setting verliebt sich die Coming-of-Age-Heldin in einen Vampir. Was im banalen Alltag einer provinziellen High School beginnt, entwickelt sich zu einer Romeo-und-Julia-artigen Liebe von epischem Ausmaß. Bella verstrickt sich und ihre Lieben zunehmend in uralte Blutfehden zwischen Werwölfen und Vampiren und zettelt darüber hinaus einen handfesten Krieg der mythischen Wesen an.
Bella als Post-Buffy!
Mit großer Leichtigkeit macht Stephenie Meyer in ihrem Roman frivolen Liebeskonzepten gründlich den Garaus, mithilfe des alten Ideals ewig währender Liebe. Die altmodischen Tugenden der sexuellen Enthaltsamkeit und Entsagung werden verknüpft und verkoppelt mit einem neumodischen Rundum-Diätverhalten aller Figuren, und prompt sind die altehrwürdigen Monster gezähmt und gebändigt.
Gegen ein Lebensgefühl, geprägt von permanenter Erreichbarkeit, ständiger Verfügbarkeit, und der dabei immer gegenwärtigen Gefahr der Beliebigkeit, setzt Meyer die Einzigartigkeit und das Geheimnis der einen, ewigen Liebe. Dieser Kunstgriff hat ihr Millionen von Leserinnen (und Lesern) beschert. Die Fans sind „betrunken vor Glück“ und sprechen von „magischer Liebe“, während die Kritik Meyers Endlosschleife von wiederholten Liebesschwüren und blumig ausgemalten Szenen der Triebbeherrschung kaum aushalten kann und sich angewidert abwendet. Es ist ein Fest der Selbstzensur, das hier gefeiert wird, und Bella Swan wird dabei, so meint die Kritik, der Prototyp einer antifeministischen Heldin.
Buffy hat endgültig ausgedient, denn Vampire werden fortan nicht mehr gejagt, sondern geehelicht!
Bella besitzt keine herausragenden Talente, keinen speziellen Ehrgeiz und nichts, was sie besonders begehrenswert macht – auch keine eigenen Interessen oder Ziele. Sie muss nichts leisten, sich nicht mit Männern messen und schon gar nicht kämpfen, um von ihnen begehrt zu werden. Mit diesem Authentizitätspostulat von der Arglosigkeit und Reinheit, von der Natürlichkeit und der daraus abgeleiteten großen Fähigkeit zur Liebe, glorifiziert Meyer ihre Heldin. Dabei birgt insbesondere Bellas Mittelmäßigkeit den Schlüssel zum Glück, und sie bleibt darüber hinaus dank ihrer Naivität seelisch und körperlich intakt.
Vier Bände lang entwirft die Autorin erotische Ohnmachtfantasien und befördert mit spielerischer Leichtigkeit jedweden Chancengleichheitsfeminismus auf den Müll. Da darf man durchaus fragen, warum sich auch hierzulande die Feuchtgebiets- und Alphamädchen geschulten Leserinnen auf das archaische Märchen stürzen.
True Womanhood
Meyer hat es in ihrer Paranormal Romance geschafft, aus dem Vampir – einer Allegorie der Gier und Gewalt – eine Metapher für Askese und wahre Liebe zu gestalten. Ihr Edward Cullen ist zwar genrekonform der leidende, aristokratisch anmutende Schöne, dessen zurückhaltender erotischer Charme alle weiblichen Wesen und potenziellen Opfer in seinen Bann zieht, aber er wendet seine Macht niemals an. Edward bringt beständig all seine Kräfte auf, um an seiner geliebten Bella nicht ein Festmahl zu veranstalten und auch sein Erzrivale Jacob muss seine animalischen Werwolfkräfte ständig kontrollieren, um ihr kein Leid zu tun.
Bella, der schöne Schwan, und ihre twilightschen Männermonster sind also eine Art weibliche Superfantasie.
Julia Voss spricht in ihren Ausführungen über die Verfilmung von Twilight von „gesicherten weiblichen Identitäten“, und auf diese trifft eine zutiefst in ihrem Selbstverständnis erschütterte Männlichkeit: Männer, die ihren Fähigkeiten misstrauen (Edward) oder nichts von ihnen wissen (Jacob), die aber in jedem Fall animalisch und triebgesteuert daherkommen und sich ausschließlich über Selbstkontrolle zu nobilitieren in der Lage sind. Ob mit dieser filmischen Darstellung zahlreicher „Zähmungen von Widerspenstigen“ tatsächlich eine Um- und Neubewertung mythischer Geschichten und damit männlicher (Re)Sozialisation einhergeht, darf bezweifelt werden.
Vielmehr sind Edward und Bella Kriegsgewinnler: Sie zehren von den Resten der großen „Genderschlacht“ der letzten Jahrzehnte. Diese zeigt deutlich Ermüdungserscheinungen und macht Platz für die große Sehnsucht nach einer alten Ordnung und einem damit verknüpften Revisionismus. Meyer bezieht sich bei der Ausstaffierung ihrer Heldin ganz klar auf einen Code, den Amerikanerinnen unter dem „Cult of True Womanhood“ bereits im Geschichtsunterricht kennenlernen, und entwirft mit Edward Cullen den ergänzenden, perfekten Gentleman. Edward ist es auch, der seiner zukünftigen Frau den Weg weist und ihr letztlich die hier verhandelten Tugenden von Frömmigkeit, Reinheit, Unschuld und Bescheidenheit abverlangt. Beispielsweise will Bella sofort Sex, aber das Vampirmonster schützt sie vor sich. Auch Heiraten und Kinder kommen ihr eigentlich nicht in den Sinn, bis er darauf besteht.
Und dann kommt es endlich, nach weltumspannenden Verwirrungen, zum fieberhaft ersehnten Vampirkuss und damit zum möglichen Happy End.
Dies bedeutet konkret, dass Bella, auserwählt und ausgesaugt, als unsterbliches Muttermonster durch die Welt gehen darf. Das blutige Initiationserlebnis des Vampirkusses wird dadurch besonders bemerkenswert, weil Bella von ihrem eigenen, ungeborenen Kind (einem Halbvampir, der ihr Blut bereits im Mutterleib trinkt,) von innen heraus aufgefressen wird, und Edward sie faktisch vor dem gemeinsamen Kind retten muss. Auf diese Weise wird Twilight zu einem ultimativen Entwurf dafür, den Mann am Gebärakt zu beteiligen (was einem männlichen Gebärneid wohlwollend entgegenkommt!):
Edwards Vampirkuss tötet nicht, er spendet Leben – Familienleben. Die frisch gebackenen Vampireltern trotzen von nun an der Biologie und werden zu einer neuen Überfamilie, die von keinerlei Tod geschieden werden kann.
Stephenie Meyers mormonische Vampire setzen letztendlich also nicht nur einen göttlichen Erlösungsplan freiwillig und bewusst in Gang, sie unterfüttern zusätzlich den Traum vom künstlichen, ewig währenden Leben, den die Menschheit bis heute nicht ausgeträumt hat.
Twilight im Original lesen – eine gute Möglichkeit, sein Englisch aufzupolieren.
Nadja Israel
Stephenie Meyer: The Twilight Saga Collection Box Set: Twilight/New Moon/Eclipse/Breaking Dawn.
Taschenbuch: 2240 Seiten.
London: Little, Brown Book Group. 46,85 Euro.
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