Geschrieben am 13. September 2014 von für Crimemag, DVD, Film/Fernsehen, Kolumnen und Themen

The Bridge als Remake von Die Brücke

The_Bridge_115214_CoverGrenzverläufe des Nordic Noir, Teil 1 – „The Bridge“

– Nordische Stoffe werden für den amerikanischen Markt adaptiert und nachgebaut, spätestens seit dem Erfolg der US-Variante von Stieg Larssons „Millenium“-Saga. Sonja Hartl hat sich ein paar Adaptionsmechanismen genauer angeschaut …

Normalerweise sind US-amerikanische Fernsehserien das Maß der Dinge. Sie gelten als innovativ, als gut und vor allem als besser als viele europäische Produktionen. Seit 2007 gibt es jedoch eine Ausnahme: Die skandinavische Serie „Forbrydelsen“ („Kommissarin Lund“, später auch „Das Verbrechen“ (mehr bei CM)) ist seit der Erstausstrahlung bei Zuschauern und Kritikern gleichermaßen beliebt. Liefen zuvor Kriminalromanverfilmungen wie „Kommissar Beck“ insbesondere in Deutschland mit Erfolg, wurde „Forbrydelsen“ in über 20 Länder verkauft und erreichte bei der Erstausstrahlung in Großbritannien als untertitelte Serie im Schnitt eine halbe Million Zuschauer – und damit mehr als „Mad Men“.

„Forbrydelsen“ ebnete den Weg für nachfolgende Serien wie „Borgen“ („Borgen – Gefährliche Seilschaften“ (mehr bei CM)) und „Bron/Broen“ („Die Brücke – Transit in den Tod“ (mehr bei CM)), die ebenfalls weltweit Beachtung fanden. Dieses Serienphänomen firmiert unter dem Namen Nordic Noir, der weniger ein Genre beschreibt, sondern als Sammelbezeichnung für skandinavische Krimiserien verwendet wird, in denen eine düstere Stimmung herrscht und realistisch von brutalen Verbrechen erzählt wird, die oft in einem aktuellen zeitlichen Kontext stehen und von gebrochenen Charakteren aufgeklärt werden. Nordic bezieht sich hierbei vor allem auf die geographische Verankerung in einem nordeuropäischen, in der Regel skandinavischen Land, Noir umschreibt die düstere Handlung. Dabei wird Nordic Noir durchaus synonym für Scandinavian Crime (bspw. in dem gleichnamigen Buch von Barry Forshaw) und auch für die Politserie „Borgen“ verwendet, da sie das Erfolgsrezept des Nordic Noir anwendet: gut ausgearbeitete Charaktere, ein trostloses, meist urbanes Setting und eine düstere (Krimi-)Handlung, die sich in mehrschichtigen Erzählsträngen entfaltet.

Der Erfolg des Nordic Noir blieb auch in den USA nicht unbeachtet. Da dort der Markt für europäische Produkte sowie Untertitel und Synchronisationen begrenzt ist, werden nichtenglischsprachige Serien (und Filme) neu verfilmt. So wurden aus „Bron/Broen“ und „Forbrydelsen“ die Serien „The Bridge“ und „The Killing“, die nun auch hierzulande auf DVD und Blu-ray erhältlich sind. (Und obgleich „Borgen“ oft als dänisches „The West Wing“ bezeichnet wird, wird von „Borgen“ ebenfalls ein Remake bei HBO entwickelt.) Beide Serien wurden jedoch nicht einfach in englischer Sprache neu verfilmt, sondern in eine andere Region transponiert – und damit von dem Konzept des Nordic Noir gelöst.

Die BrueckeAus „Bron/Broen“ wird „The Bridge“

Die Einstiegssequenz von „The Bridge“ suggeriert eine große Nähe zu „Bron/Broen“: Beide Serien beginnen mit dem Blick aus einem Auto, das auf einer Straße fährt. Bei „The Bridge“ verweist ein Schild auf Mexiko, die hell erleuchteten Städte El Paso und Juárez sind zu sehen, getrennt von der Grenze über dem Rio Brava. Auch „Bron/Broen“ beginnt mit dem Fahrer, er ist auf menschenleeren, in Blautönen gefärbten Straßen unterwegs, ein Verweis auf Dänemark und die Öresund-Brücke ist zu sehen. Dann fällt das Licht auf der Brücke aus und auf der Überwachungsstation wird hektisch nach einer Ursache gesucht. Es geht wieder an – und nach dem Vorspann zeigt eine Einstellung den Hauptverdächtigen der ersten Folgen, Stefan Lindberg (Magnus Krepper) beziehungsweise Steven Linder (Thomas M. Wright), der die Brücke beobachtet und sich eine Zigarette anzündet. Auf der Brücke wurde eine Leiche gefunden, und es folgt die erste Begegnung der Ermittler. Detective Sonya Cross (Diane Kruger) will wie Saga Norßén (Sofia Helin) die Ermittlungen übernehmen, ihr mexikanischer Kollege Marco Ruiz (Demián Bichir) ist wie der Däne Martin Rohde (Kim Bodnia) damit einverstanden. Während bei Saga und Martin Ehrgeiz und Kompetenzen eine Rolle bei dieser Entscheidungen spielen, haben Sonya und Ruiz andere Gründe: In El Paso gibt es nur wenige Mordfälle – genau genommen drei im letzten Jahr–, deshalb will Sonya diesen spektakulären Fall unbedingt aufklären. Marco hat dagegen in Juárez mehr als genug Leichen, um die er sich kümmern kann. Dann stellt sich jedoch wie im skandinavischen Original heraus, dass die Leiche aus zwei toten Frauen besteht: der obere Teil gehört einer amerikanischen Richterin, der untere Teil einer jungen Mexikanerin, die vor einiger Zeit verschwunden ist. Ihre Leiche wurde in einem Haus vermutet, in dem 16 bzw. 17 andere Leichen gefunden wurden, womöglich ist sie daher auch ein Opfer des Frauenmörders von Ciudad Juárez geworden, der seit Jahren junge, hübsche Mexikanerinnen foltert und tötet.

Neue Grenzen – USA und Mexiko

Die ersten Sequenzen von „The Bridge“ machen bereits deutlich, dass sich Handlung und Optik an dem skandinavischen Original orientieren, sie aber zugleich in eine andere Kultur überführen. Mit den USA und Mexiko treffen zwei Länder aufeinander, die sich in Sprache, Kultur, Lebensstandard und Justizsystem deutlicher voneinander unterscheiden als Dänemark und Schweden, außerdem ist das Verhältnis durch die Einwanderungspolitik und dem jahrzehntelangem „war on drugs“ belastet. In Mexiko sieht man US-amerikanische Einmischung nicht gerne, in den USA kommt es zu Kompetenzstreitigkeiten zwischen FBI, Sheriff und dem Police Department. Auch ist die Grenze nicht einfach zu passieren, sondern mit Kontrollen und Warteschlangen verbunden.

Die sozialen und kulturellen Unterschiede werden daher beständig deutlich: ein Visum ist Lockmittel für eine Zeugenaussage, ein Kartellboss bietet an, das Lösegeld für eine entführte und der sengenden Hitze ausgesetzten jungen Mexikanerin zu zahlen, Grenzflüchtlinge werden vergiftet, Grenzprostitution und Schmuggel thematisiert. Auch tituliert sich der Antagonist nicht als „Wahrheitstäter“, sondern bezieht seine Taten stets auf das mexikanisch-amerikanische Verhältnis. Dadurch gewinnt die Serie viel Eigenständigkeit, allerdings stellt sich auch ein Missverhältnis ein: Von Anfang an schwelt der (wahre) Fall der ermordeten Frauen von Juárez im Hintergrund. Dieses ungelöste Geheimnis ist weitaus spannender als der eigentliche Hauptfall, daher verlagert sich das Interesse des Zuschauers auf den Nebenschauplatz. Hier hätten sich die Serienmacher Meredith Stiehm und Elwood Reid weiter von „Bron/Broen“ lösen und eine andere Auflösung präsentieren sollen, die stärker innerhalb des amerikanisch-mexikanischen Settings verhaftet ist.

Diane Kruger und Demian Bichir

Diane Kruger und Demian Bichir

Ein neuer Hintergrund – die Hauptfiguren

Auch bei den Hauptcharakteren lässt sich das schwierige Verhältnis zum Original erkennen. Sonya Cross ist ähnlich wie Saga Noren angelegt, auch sie klammert sich an Regeln und zeigt kaum Emotionen. Die Serie verwendet zur Charakterisierung sogar identische Einstellungen wie das Wechseln des Oberteils vor Kollegen und das wortkarge Aufreißen eines Sexualpartners in einer Bar. Allerdings fehlt die Konsequenz in der Darstellung, stattdessen zeigen sich häufig Risse in der unterkühlten Fassade, durch die Emotionen dringen. Ihr Verhalten wird mit der Ermordung ihrer älteren Schwester erklärt, und Sonyas Vorgesetzter Lieutnant Hank Wade (Ted Levine) ist ein väterlicher Mentor. Dadurch reiht sie sich in die Reihe psychisch lädierter Ermittlerinnen wie Carrie Mathison (Claire Danes) in „Homeland“ ein, deren Verhalten durch einen väterlichen Freund erklärt bzw. gemildert wird.

Demián Bichirs Marco Ruiz hat von Anfang an mehr Möglichkeiten, gegenüber Martin Rohde ein eigenes Profil zu entwickeln. Wie dieser ist er zum zweiten Mal verheiratet, wurde gerade sterilisiert, hat ein schwieriges Verhältnis zu seinem Sohn aus erster Ehe und ist seiner Frau gelegentlich untreu. Allerdings muss er seit Jahren seinen eigenen Weg durch Korruption, Bestechungsversuchen und Gewalt finden, die in Juárez an der Tagesordnung stehen. Er ist es gewohnt, auf eigene Faust zu handeln, es gibt in seiner korrupten Welt keine anderen Regeln als seine eigenen. Alleingänge sind deshalb für ihn alltäglich, sein Verhalten nach der Ergreifung des Täters stimmiger erscheint.

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Veränderung des Erzählstils

Ein Merkmal des Nordic Noir sind die vielschichtigen Erzählstränge, die nach und nach die Facetten eines Verbrechens beleuchten. In „Bron/Broen“ gab es daher eine Reihe von Nebenhandlungen, die ohne Einleitung begonnen wurden, eine Beziehung zum Hauptfall hatten und meist in einer oder zwei Episoden beendet wurden. Nicht alle waren dramaturgisch gelungen, auch stellten sich insbesondere zum Ende der ersten Staffel Ungereimtheiten ein. Bei „The Bridge“ sind diese Nebenhandlungen zu längeren Handlungssträngen ausgearbeitet. Die wohlhabende Witwe Charlotte (Annabeth Gish) ist nicht nur der Seitensprung von Marco, sondern sie entdeckt nach dem Tod ihres Mannes auf seinem Grundstück einen Tunnel, durch den illegale Einwanderer, Drogen und Waffen hin und her fließen. Steven Linder entwickelt eine bizarre Liebe zu einer Frau, die er einst gerettet hat. Den größten Gewinn zieht „The Bridge“ indes aus der dritten Nebenhandlung um den Reporter Daniel Frye (großartig schmierig: Matthew Lillard), der mit seiner Kollegin Adriana Mendez (Emily Rios) selbst in dem Fall ermittelt. Alle drei Handlungsstränge beleuchten weitere Facetten im Verhältnis USA-Mexiko, so dass eine andere Auflösung des Hauptfalls gut vorbereitet gewesen wäre. Allerdings haben Meredith Stiehm und Elwood Reid die größte Schwäche – die plötzliche Präsentation des Täters und seines Motivs – leider beibehalten.

Dadurch fügen sich die Nebenhandlung nicht stimmig in den Hauptfall ein, sondern sind zunehmend losgelöste Erzählungen, die die Serie konventioneller werden lassen und sie von dem vielschichtigen Erzählstil entfernen. Folgerichtig weisen die letzten beiden Episoden auch in eine andere Richtung: „The Bridge“ endet nicht mit der Ergreifung des Täters, sondern alle überlebenden Haupt- und wichtige Nebenfiguren bekommen weiterführende Handlungen, die in typisch amerikanischer Serienmanier auf die zweite Staffel hinarbeiten. Zudem wird durch eine weitere unnötige persönliche Wendung das Einstiegsthema der toten Frauen von Juárez wieder aufgenommen.

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Ein Wunsch: mehr country noir

Am Ende von „The Bridge“ ist daher vom Erfolgskonzept des Nordic Noir nur wenig geblieben. Auch visuell ist zwar das Bemühen der Serienmacher zu erkennen, die großartige Kameraarbeit von „Bron/Broen“ in die flirrende Grenzregion zu übertragen – aber das beständig zu lange Einblenden der Bilder eines verlassenen Wohnwagens oder einer besuchten Grenzstation fügt sich nicht in den Erzählrhythmus ein. Gelungen ist hier hingegen die Titelsequenz mit Ryan Binghams „Until I’m one with you“, die ebenso stimmig ist wie „Hollow Talk“ von „Choir of Young Believers“, aber den Schuss country noir enthält, den „The Bridge“ vertragen könnte. Immerhin birgt die Konventionalisierung aber die Chance, dass die Serie in der zweiten Staffel durch eine größere Eigenständigkeit gegenüber „Bron/Broen“ ihr größtes Potential nutzt: das Verhältnis der USA und Mexiko. Als Remake ist die Serie dann sicher nicht mehr zu sehen – höchstens als ‚inspired by‘.

Sonja Hartl

The Bridge – America. Von Elwood Reid und Meredith Stiehm. Produziert von Patrick Markey. FX Networks 2013. Staffel 1. 13 Episoden. Mit Diane Kruger, Demian Bichir. Mehr hier. Fotos Copyright: Twentieth Century Fox Home Entertainment.

Sonja Hartl betreibt den Blog „Zeilenkino“.

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