Geschrieben am 11. November 2010 von für Crimemag, Vermischtes

The Wire

Garantiert Bluthochdruck

„The Wire“ ist jetzt endlich auch hierzulande für alle zu haben.

Schnell, intelligent, spannend, lustig, vielschichtig – die amerikanische Krimiserie „The Wire“ ist eine der herausragenden Fernsehproduktionen der letzten Jahre. Jetzt endlich kann man die erste Staffel auf DVD kaufen. Von Ulrich Noller

Es ist eben doch alles nur geklaut. Zum Beispiel bei unserem aktuellen Erfolgskrimiskandinavier Jussi Adler Olsen: Sein „Sonderdezernat Q“ mit dem Superermittler Carl Morck wird im Keller des Präsidiums untergebracht, Mitarbeiter Hafez es-Assad ist einer, den man sonst nirgendwo haben will oder gebrauchen kann. Die beiden verbeißen sich, logisch, erst recht in ihre Fälle, bis hin zum Happy End.

Kommt Ihnen bekannt vor? Dann haben Sie vermutlich das Glück gehabt, irgendwann irgendwo einmal eine Episode von „The Wire“ gesehen zu haben, der brillanten TV-Bullenoper, die David „Homicide“ Simon für den amerikanischen Sender HBO entworfen hat, wo sie zwischen 2002 und 2008 staffelweise zu sehen war. Da passiert, mit ein paar Mitarbeitern mehr, genau das, bloß fünf Jahre vorher und ohne den Kitsch, mit dem Jussi Adler Olsen seine Storys garniert.

Obwohl das ja unwahrscheinlich ist, dass Sie bislang auch nur einen einzigen Fetzen von „The Wire“ zu Gesicht bekommen hätten, weil die Serie hier in Deutschland bloß unter Ausschluss der Öffentlichkeit in der entlegensten Ecke des Bezahlfernsehens lief. Und illegale Internetseiten, auf denen man die Serie finden kann, sind für Sie persönlich ja sicher kein Thema, schon allein, klar, wegen der schlechten Bildqualität.

Jedenfalls ist es schon erstaunlich, in einer Welt, in der es alles gibt, womit man an Content Geld verdienen kann, dass da man so eine Serie, die als absolut herausragend und stilprägend gilt, über Jahre auf einem der größten Medien-Märkte, im deutschsprachigen Raum also, einfach so nicht beziehen kann, außer man versorgt sich mit einem sauteuren Original im Ausland, bloß: Wer, zum Teufel, versteht schon Amislang ohne Untertitel?

Worum es geht: Baltimore, Polizei. Eine Sondereinheit wird gegründet, die keiner will, zumindest keiner von den Großkopferten. Kellerbüro, haufenweise unfähige Leute. Die, bei denen die Chefs anderer Einheiten froh sind, sie loszuwerden. Aber auch ein paar, die sich durchbeißen. Mit Schlauheit, Galgenhumor und Verstand. Der Konflikt: Hier die Bullen, da die Drogenhändler, dort die Chefs. Und natürlich die Junkies. Die Themen: Korruption, Kapitalismus. Die Ästhetik: Charaktere, die sacht entwickelt werden; Stränge, die sich verzahnen. Bildsprache, Perspektiven, Beziehungen, Realitäten … ein Roman in televisionärer Form …

Klasse also, dass „The Wire“ jetzt auch auf Deutsch rauskommt, also zumindest die erste Staffel, auch wenn die Synchronisation grottig ist, viel zu brav und bieder, aber das war ja zu befürchten; dem deutschen Kultur- und Synchronisierungsbetrieb geht anscheinend noch immer vor nichts so sehr die Muffe wie vor dem Wörtchen „Scheiße“, weshalb die dealenden Homies in den Slums von Baltimore jetzt die ganze Zeit „Mist!“ „Mist!“ schimpfen müssen, aber egal …

Egal deshalb, weil „The Wire“ genau das hält, was man dieser Serie an Vorschusslorbeeren aufgekränzt hat: Coole Story, klasse Akteure, fantastische Montage, passende Bilder, tolle Dramaturgie, brillante Dialoge – und ein fein dosierter, smarter Witz, der einem hier und da tief zu Herzen geht. Krimifernsehkunst, die deshalb überzeugt, weil die Sozialkritik, die es hier ohne erhobenen Zeigefinger mitschwingt, intelligent und packend erzählt wird.

Klar, man könnte auch meckern. Wo andere Serienumsetzungen zu sauber und zu clean sind, da ästhetisiert „The Wire“ das Unästhetische, die Serie suhlt sich gewissermaßen im Dreck der Ghettos. Und dann die Vielschichtigkeit. „Die komplexen Charaktere und Handlungsstränge erschweren den Zugang zur Serie. Dies führte zwar zu einigen äußerst positiven Kritiken, aber auch zu relativ schlechten Einschaltquoten, da viele Zuschauer der vielschichtigen Handlung nicht folgen konnten“, so analysiert ein Wikipedia-Eintrag, im Einklang mit vielen Fernsehkritikern. Tja, was soll man dazu sagen? Lange lebe die Komplexität?!

Aufschlussreich übrigens, bei der Gelegenheit, auch in puncto Klauen, der Vergleich mit dem deutschen Pendant „KDD-Kriminaldauerdienst“: Die Ähnlichkeiten der beiden Serien sind nicht zu übersehen; schon klar, wo und wie die KDD-Macher, die das ja auch gar nicht negieren, sich inspirieren ließen – und wo ihr Konzept Hommage ans amerikanische Original wird. Besonders interessant wird’s, wenn man schaut, wo KDD weiter geht als „The Wire“, wo Neues und Eigenes das Konzept nicht variieren, sondern fortentwickeln: KDD ist schneller, noch komplexer, das Private spielt eine größere Rolle und damit soapige Anteile in der Erzählstruktur, außerdem haben weibliche Figuren eine größere Bedeutung. „The Wire“ bedient, bei aller Innovation, klassische Serien-Erzählkonventionen, KDD dagegen ist radikaler und treibt die Innovation an die Spitze. Was für deutsches Fernsehen – im Serienbereich – erstaunlich ist. Alles nur geklaut? Wenn, dann bitte so.

Ulrich Noller

The Wire. Warner Home Video. USA 2002 bis 2008. FSK: ab 16. Start: 12. November 2010.