
Neulich hatte mich das „Börsenblatt des Deutschen Buchhandels“ gefragt, wie’s denn so sei, mit Corona und Thrillern und überhaupt …
Als es im Februar losging mit CORONA, hatte ich Angst. Vor den Lawinen von CORONA-Thriller-Manuskripten und -Exposés, die sicher gleich über mich hereinbrechen würden. Was dann auch prompt passierte – Thriller, die „die Wahrheit“ über die Pandemie enthüllten, die sich in dystopischer Schwarzmalerei suhlten und von arger literarischer Belanglosigkeit waren. Stufe zwei: Plötzlich las alle Welt das „Decamerone“ und Camus´ „Pest“, sozusagen als Trostbüchlein. Uraltschmöker wie Dean R. Koontz „Die Augen der Finsternis“ von 1981 wurden exhumiert. Mit genügend interpretatorischer Geschmeidigkeit kann man sicher auch noch den letzten Zombie-Fidelwipp zum vorausschauenden Pandemie-Thriller erklären, Seuchen und Katastrophen waren schon immer in der Science Fiction oder beim Horror gut aufgehoben, kaum eine schicke Dystopie ohne. Weil ja alles eine Metapher ist. Und voilà: hat man auch nicht so oft – aus der Metapher ist Wirklichkeit geworden.
Nur die nächste Stufe ist noch nicht ganz gezündet: Thriller, die sich wirklich mit COVID-19 beschäftigen, so im Sinne von „wer-hat´s-erfunden?“oder „cui-bono?“. Das ist gut so, denn sämtliche Verschwörungstheorien sind ja schon längst durchdekliniert (ich, z.B., finde die Reptiloiden-Version am Schönsten), „bestürzende Enthüllungen“ eh meistens albern.
Zudem können in ein paar Monaten keine ernsthaften Romane entstehen, und wer weiß, was die Leser*innen in einem oder zwei Jahren davon hielten. Vielleicht hat man dann die Nase voll. Wir erinnern uns, wie lange es dauerte, bis seriöse 9/11-Thriller erschienen. Literatur braucht Zeit, aktualistische Schnellschüsse taugen nur selten etwas.
Natürlich wird CORONA auch in Kriminalromane jeder Couleur eingehen. Die Pandemie ist ein neuer Kontext, der unsere globalen Lebenswelten bestimmt, und noch sehr lange bestimmen wird. Ein Roman aus dem Hier und Heute wird nicht mehr ohne sie auskommen, ein extrem weitreichender Paradigmenwechsel. Wirklich interessant wird also werden, wie Autor*innen mit diesem neuen, überraschenden Kontext umgehen, ohne daraus gleich „CORONA-Thriller zu machen. Ich bin auf jeden Fall sehr viel mehr darauf gespannt, wie sich die neue Lebenswelt, die CORONA geschaffen hat, in Texten niederschlägt – was man mit dem schon jetzt vorhandenen Material, also Maskenpflicht, knappen Gesundheitsressourcen, Kontaktbeschränkungen, Krisengewinnen und politisch-sozialen-psychologischen Implikationen etc., alles machen kann, ohne „Zukunftsvision“ draufzuschreiben. Interessant wird auch sein, ob und wieviele Roman zukünftig „vor Corona“ angesiedelt werden – so, wie die 1980s (und frühere Zeiten) immer beliebter werden, weil Handys und neue Technologie viele gemütliche Verfahren obsolet gemacht haben. Das Hier und Jetzt ist auf jeden Fall, literarisch gesehen, überraschend spannend geworden. Natürlich ist das nicht schön und ich könnte auch ohne, aber wegschauen wird nicht funktionieren.
Thomas Wörtche