
Rock’n Die
Musik war schon immer ein großes Thema bei Liza Cody. So auch in „Ballade einer vergessenen Toten“. Thomas Wörtche mag das Buch.
Eine Biographie als Ermittlungsgeschichte wider Willen, das ist jetzt zwar nicht die neueste aller Ideen, aber Liza Cody macht eine Menge aus dem Topos: In „Ballade einer vergessenen Toten“ beschließt die ausgelaugte Schriftstellerin Amy als eine Art selbsttherapeutischer Akt die Biographie der (fiktiven) Elly Astoria zu schreiben. Elly war ein musikalisches Genie und eine total unauffällige Erscheinung mit einem grauenhaften familiären Background, die aber die Musikgeschichte im United Kingdom der 1980er Jahre entscheidend geprägt hatte. Charisma entwickelte Elly nur, wenn sie musizieren konnte, und alle Stars der Zeit spielten ihre Kompositionen. Ohne selbst irgendwelche Star-Allüren zu haben – und sie ist ein Megastar in ihrer Zeit – zieht sie dennoch Neid und Missgunst auf sich. Schließlich wird sie grausam ermordet aufgefunden, aber nachdem der Medienhype erloschen ist, gerät sie in Vergessenheit, andere Menschen heften sich ihre Verdienste ans Revers. Amys Biographie soll diese Tendenz korrigieren, posthume Gerechtigkeit herstellen und gleichzeitig für Amy ein sinnhafter Ausweg aus ihrer Lebenskrise sein. Nolens volens entwickelt sich die biographische Arbeit zur Detektivarbeit, denn Ellys Mörder wurde nie gefasst, aber wer sie warum getötet hat, ist für eine gut verkäufliche Biographie der zentrale Punkt, denn nur von da aus kann man verstehen, wie die Menschen um Elly getickt haben und warum ihre Rezeption so lief, wie sie gelaufen ist.

About music
Liza Cody schließt mit diesem Buch an ihren kapitalen Roman „Gimme More“ (2000, dt. 2004) an und thematisiert einmal mehr, kritisch und mit genauem Blick für die bösen Ironien des Themas, die Rolle von Frauen in der Musikindustrie, die sie selbst aus ihren Zeiten als „Cody, the Roadie“ gut kennt. Im Laufe von Amys Recherchen, die Cody als multiperspektivisches Kaleidoskop aus mehr oder weniger verlässlichen Aussagen, Dokumenten und Interviews inszeniert, tauchen sie denn auch alle auf: Die missgünstigen oder besitzergreifenden Bandkolleginnen der Frauenband SisterHood (die ohne Elly belanglos geblieben wäre), die fiesen Manager und Anwälte, Anteilseigner, Produzenten und andere Ausbeuter, die Trittbrettfahrer und Anschleimer, die prekären Fans, die Cody alle mit ihrem wunderbar bösen Blick für die jeweils eigene Komik und Tragik zu schildern weiß. Je mehr Amy sich in Ellys Leben gräbt, desto unsichtbarer wird die winzige Musikerin, in der zweiten Hälfte des Buches verschwindet sie fast völlig aus der Optik. Während peu à peu klar wird, dass fast alle handelnden Figuren ihre jeweils trüben Gründen gehabt hätten, das Ärgernis Elly Astoria aus der Welt zu schaffen.

„Ballade einer vergessenen Toten“, im Original 2011 erschienen, hat noch den rundum bissigen Drive, der Cody ab „Miss Terry“ (2012) allmählich abhandengekommen zu sein scheint, bzw. einer gewissen, hart am Kitsch vorbeischrammenden sozialen Gefühligkeit gewichen ist. Aus „Gimme More“ hatte die Übersetzung von Pieke Biermann noch eine Menge Sprachartistik herausgeholt und rübergebracht, die „Ballade“ kommt auf Deutsch stockbieder daher („abhotten“, wann habe ich das zuletzt in welchen Kontexten gehört?), aber nu …
Wesentlich auf jeden Fall ist: Die Strukturanalogie zwischen biographischer Recherche und Detektivarbeit bildet das Gerüst des Buches. Beide Methoden sind letztendlich der Wahrheit verpflichtet, aber eine Biographie muss keine gerichtsverwertbaren Erkenntnisse liefern und entdeckt notfalls noch mehr Rätsel hinter dem Rätsel, was wiederum das Kerngeschäft von Kriminalliteratur ist. Aus dieser Dialektik hat Liza Cody einen großartigen Roman gemacht.
Thomas Wörtche
- Liza Cody: Ballade einer vergessenen Toten. (Ballad of a Dead Nobody, 2011). Roman. Deutsch von Martin Grundmann. Ariadne, Hamburg 2019. 411 Seiten, 22 Euro.