Geschrieben am 4. November 2015 von für Crimemag, Film/Fernsehen

TV-Serie: Happy Valley

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Das normale Leben als Ausnahmezustand

Anna Veronica Wutschel über die famose Crime-Serie „Happy Valley“.

Fiktion, gute Fiktion, erfasst Realität in all ihrer Vielfachdimensionalität, navigiert sich durch verschiedene Perspektiven und enthüllt Wahrheiten, die nicht als kohärentes Bild erscheinen müssen, um ein Ganzes zu erfassen. Fiktion trifft vielleicht dann am ehesten auf Realität, wenn sie das Offensichtliche ebenso ernst nimmt wie uminterpretiert, die Kausalprinzipien ebenso anerkennt wie unterläuft, so dass Bedeutungszuschreibungen letztlich immer fragwürdig erscheinen. Die Autorin Sally Wainwright, die u. a. durch die Serie “Scott und Bailey” auch hierzulande bekannt ist, hat mit “Happy Valley” ein grandioses Crime-Drama vorgelegt, das zu Recht – vor allem auch wegen der famosen Performance von Sarah Lancashire als Catherine Cawood – mit dem Bafta als beste Serie 2015 gekürt wurde. Denn trotz einiger (weniger) unglaubwürdiger Twists erzählt “Happy Valley” packend und sinnlich, tragisch sowie komisch vom ganz normalen Leben als Ausnahmezustand. Eine falsche Bewegung, eine falsche Entscheidung kann den Einzelnen jederzeit in den Abgrund katapultieren, und wenn Oma Catherine Cawood ihren Enkel warnt: ‘Gib anderen nicht die Schuld für Entscheidungen, die du getroffen hast’, kann diese Mahnung als Leitmotiv des Dramas verstanden werden.

Die 47-jährige Cawood ist Sergeant in einer trostlos ländlichen Kleinstadt, in der Gewalt, Drogenmissbrauch, Hoffnungslosigkeit und die daraus resultierende Kriminalität zum Alltag gehören. Und Cawood, die toughe, effiziente Polizistin, die keinen (Körper-)Einsatz scheut, versucht alltäglich, zugedröhnte Junkies von den aberwitzigsten (selbst-)mörderischen Taten abzubringen, jagt höchst professionelle Kleindealer und legt sich zur Not auch mit einem Stadtrat an, dem sein Amt, seine vermeintliche Wichtigkeit wie auch der gute Alkohol zu Kopf gestiegen sind. Cawood arbeitet sich wortwörtlich durch die Gosse. Am meisten frustriert sie daran, dass sie dem Verbrechen immer nur hinterherlaufen kann, da es Vorgesetzte und Experten in der übergeordneten Großstadt für unnötig halten, die örtliche Polizei in den Kampf gegen das Verbrechen, gegen die Drogen ernsthaft mit einzubeziehen. Doch Arroganz und Blasiertheit der Großstädter sind nicht das einzige Elend der Provinz, das wunderbar im Titelsong “Trouble Town” wiedergegeben wird.

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Das Spiel mit Gegensätzen, Irrtümern, Unterschieden …

Interessant hierzu ist im Übrigen, dass unter anderem in Hebden Bridge gedreht wurde. In den 60er Jahren wurde die einstige wohlhabende Textilarbeiterstadt zur Hippie-Hochburg, und auch noch heute, da sich viele Künstler in der Stadt und ihrer Umgebung niedergelassen haben, gilt sie als ‘one of the quirkiest places in the world’. Man lebt von dem Ruf, den unkonventionellen Lifestyle zu zelebrieren, und ist stolz darauf, dass Hebden Bridge als Lesben-Hauptstadt Großbritanniens gilt. Die andere Seite, eine überdurchschnittlich hohe Selbstmordrate sowie extremer Drogenmissbrauch schaden da eher dem Image der Stadt. Doch genau diese janusköpfige Struktur, die Kehrseite des strahlenden Nimbus, scheint Wainwright gereizt zu haben, wie man in diesem interessanten Interview nachlesen kann.

“Happy Valley” spielt also ganz dezidiert mit Divergenzen, kontroversen Ansichten und Irrtümern. Während Sergeant Cawood sich dem nicht ausrottbaren täglichen Kriminalitätsirrsinn stellt, kann sie als eine äußerst pragmatische, rechtschaffene Polizistin mit harter Moral angesehen werden. Dass in ihrem Privatleben einiges schiefgelaufen ist, merkt man ihr nicht an. Cawood lebt mit ihrer Schwester, einem Ex-Junkie, und zieht mit deren Hilfe ihren Enkel Ryan auf, der in der Schule vornehmlich durch unkontrollierbare Wutausbrüche auffällt. Cawoods Sohn spricht kaum mit ihr, ihr Mann, mit dem sie hin und wieder Sex hat, verließ sie für eine Jüngere, da er nicht ertragen konnte, dass Ryan, der bei einer extrem brutalen Vergewaltigung der Tochter Rebecca gezeugt wurde, Teil der Familie sein soll. Becky hat das Leid nicht ertragen und sich nach der Geburt des kleinen Ryan umgebracht. Ihr Grab, das Cawood mit ihrer Familie besucht, liegt in Heptonstall, auf dem Friedhof, auf dem übrigens Sylvia Plath beigesetzt wurde.

happy valley-james-norton-happy-valley-2Die Cawoods leben also in recht schwierigen Familienverhältnissen, die “Happy Valley” mitreißend realistisch in Szene setzt, ohne dabei auch nur ansatzweise pathetisch zu werden. Spannend wird es, als Catherine Cawood erfährt, dass Tommy Lee Royce (James Norton), der Vergewaltiger ihrer Tochter, der für diese Tat niemals belangt wurde, aber wegen anderer Delikte im Gefängnis saß, vor kurzem entlassen wurde. Cawood macht sich auf die Jagd, denn, so vertraut sie ihrem Ex-Mann während eines Schäferstündchens an, das Recht in die eigenen Hände zu nehmen, ist selbstverständlich eine heikle Sache: “Doch dafür spricht die ungeheure Befriedigung, wenn du ihm seine Eier abschneidest und mit deinen Stiefeln im Dreck darauf herumtrampelst. Und dann schmeißt du seine wertlose Leiche in irgendein Loch, ein Matschloch im Moor, um sie verrotten zu lassen.”

happy-valley-4-460x338Gewalt, mit all ihren Konsequenzen

Versöhnendes Vergeben ist Cawoods Sache also nicht, und während sie ihre eigenen Rachepläne schmiedet, ist ein Buchhalter am anderen Ende der Stadt in seinem Betrieb recht unzufrieden. Kevin Weatherhill (Steve Pemberton) hat um eine Gehaltserhöhung gebeten, um das Schulgeld für seine Tochter bezahlen zu können. Doch sein Chef, der ihm einiges schuldet – so empfindet es zumindest der biedere, vom Leben stets benachteiligte Untergebene – schlägt die Bitte aus. Das hat fatale Folgen, als Weatherhill sich auch noch über den Geschäftsmann Ashley Cowgill (großartig: Joe Armstrong) erst wundern und dann ärgern muss. Aus einer absurden Verstrickung von Zufällen werden die beiden Komplizen, denn Weatherhill hat mit einem Male ganz klare Vorstellungen, wie er dennoch an das benötigte Geld kommen kann: Cowgill muss einfach die Tochter von Weatherhills Chef entführen. Das ist so ein genialer Plan, dass Cowgill nicht lange fackelt und mit seinen Leuten direkt zur Tat schreitet. Dass bei der Story, die im Groben ein wenig an den Film “Fargo” der Coen Brüder erinnert, einiges gewaltig aus dem Ruder läuft, liegt auf der Hand. Vor allem da Tommy Lee Royce zufällig für Ashley Cowgill arbeitet, kreuzen sich die Erzählstränge wesentlich schneller und auch wesentlich brutaler, als man annehmen möchte.

HappyValley-560x315Wainwright liefert hier einen grandiosen Job, wenn sie fast nicht ertragbares Schicksal als Alltag darstellt, das in seiner Tragik voller absurder Komik steckt. “Happy Valley” erzählt vom Polizeialltag, von einer Entführung, von Vergewaltigung und Mord, von ganz normalen Menschen und Extremsituationen. Und es erzählt von Erwartungen und Hoffnungen, die das Leben enttäuscht, von Versprechen, die gebrochen werden. Von Verrat, Rache und Gewalt und legt damit – und das ist längst nicht so paradox, wie es klingen mag – ebenso zynisch wie feinsinnig die Bedürftigkeit des Einzelnen offen. Vor allem die Darstellung von Gewalt wurde in den britischen Medien bei der Erstausstrahlung extrem diskutiert. Denn Sergeant Cawood wird mehr als einmal hart angegriffen, wird einmal fast zu Tode geprügelt, so dass der innere Schmerz sich in schweren Misshandlungen auf dem Körper einschreibt. “Happy Valley” feiert Gewalt indes nicht, setzt sie nicht skandalös voyeuristisch ein, dreht bei einigen Gewalttaten die Kamera vielmehr effektiv ab. Gewalt wendet sich in “Happy Valley” fast ausschließlich gegen Frauen. Und dabei scheint sie weniger Werkzeug von Macht als vielmehr Ausdruck von desaströsem Chaos zu sein. Doch Catherine Cawood ist nicht kleinzukriegen. Auf die zweite Staffel wird mit Spannung gewartet!

Anna Veronica Wutschel

“Happy Valley – In einer kleinen Stadt” (Happy Valley), Staffel 1 mit 6 Folgen, ist am 22. Oktober 2015 auf DVD erschienen.
Informationen zur Serie hier und  hier.

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