Geschrieben am 1. Dezember 2020 von für Crimemag, CrimeMag Dezember 2020

Ute Cohen: Martin Meyer „Der falsche Karl Valentin“

Copycats am Portepee

Mit Copycats ist es so eine Sache: Entweder sie fristen ein unzufriedenes Dasein im Netz, schmarotzen sich durch Ideen und Gedanken, immer ängstlich darauf bedacht, nicht enttarnt zu werden oder sie zeigen sich schamlos als das, was sie sind: träge Betrüger. Die erste Spezies ist sich der eigenen Unterlegenheit bewusst, begnügt sich aber damit, im Glorienschein der Fantasiebegabten ein ganz klein wenig mit zu brillieren. Die zweite Spezies pflegt ein entspanntes Verhältnis zum Urheberrecht überhaupt. Warum sich quälen mit der eigenen Mediokrität, wo es doch schon weitaus klügere Vordenker gab? Und was hat das schon zu bedeuten: Originalität?

Originalität, Innovation und – Herrje! – Authentizität sind das Gebot der Stunde. In einem Markt, in dem die Gier nach handelbaren Ideen ständig wächst, sind außerordentliche Qualitäten bare Münze wert. Wahres gegen Bares funktioniert aber nur, solange klar zwischen Fake und Original unterschieden werden kann. Was aber, wenn Fake auch nur ein Begriff ist, den der Markt erfindet, um horrende Gewinnspannen zu garantieren? Der Begriff der Echtheit erscheint dann wie ein impressionistisches Bild, das sich im Auge des Betrachters erst zur Wahrheit fügt. Auch der Ruf von Kopisten ist nicht überall und zu allen Zeiten so verheerend wie heute. Fake-Brands aus Asien und österreichische Alpendörfer in China sind für uns Ausdruck einer Fälschungstradition, die wir nur mit dem Urheberrecht adäquat zu beurteilen glauben können. Dieses aber hat sich erst im 18. und 19. Jahrhundert entwickelt. Schon seit der Erfindung des Buchdrucks stellte man sich die Frage, wie man Drucker und Verlage schützen und honorieren könne. An erster Stelle steht das Geld, der Denk- und Deutungsrahmen von Kopie und Original aber ist mehr denn je juristisch. 

Dass sich nun ein Jurist an eine literarische Umsetzung des Themas wagt, ist daher kaum verwunderlich, ein Glücksfall aber noch dazu. Martin Meyer, ein ehemaliger Staatsanwalt und Richter, lässt in seinem Debütroman „Der falsche Karl Valentin“ kopieren, plagiieren und valentinieren, dass nicht nur Advokaten und Rechtsgelehrten das Herz höherschlägt. Das Buch beginnt boulevardesk, ein amüsantes Qui pro quo zeichnet sich ab. Karl Valentin, Bayerns erfolgreichster Komiker, lockt die große, weite Welt. In Amerika soll er gastieren und endlich auch über die Weißwurstgrenze hinaus zu Ruhm und Ehre gelangen. Doch hoppla, ein Doppelgänger taucht in der weiß-blauen Heimat auf und ficht Valentins Originalität mit allen Finten und Tricks an. 

Die Geschichte der Literatur ist voll von Lügnern und Betrügern, von Scharlatanen und Hochstaplern, die sich selbst zum Kunstwerk adeln. Meist sind es Männer, gutaussehende noch dazu, die betören mit dem, was sie nicht sind und niemals sein werden. Thomas Manns Felix Krull zum Beispiel ist einer von ihnen. Wir bewundern ihn und lieben ihn dafür, dass er seiner Zeit mit seinem Karneval der Identitäten den Spiegel vorhält.

Martin Meyers Werk aber ist kein Schelmenroman. Man sympathisiert nicht mit dem Fake-Valentin, sondern wünscht ihn zum Teufel. Schließlich geht es nicht darum, eine bourgeoise Gesellschaft aufzurütteln und den Reichen mit Robin-Hood-Bravour das Geld aus der Tasche zu ziehen. Hier steht die Existenz eines Mannes auf dem Spiel, der sich selbst seine Einzigartigkeit erarbeitet hat. Dieses Leben aber, aufgebaut auf Wortwitz und Geistesblitzen, soll nun zerstört werden von Wellano, einem Bühnen-Parvenü, der sich mit Papas Kohle vergnügt und bald aus allen Nähten platzt? Meyer siedelt dieses böse Spiel in München an, der „Stadt aller Hochstapler, Inflationsgewinnler und Hasardeure“. Denn eines hält er für gewiss: „Nirgendwo sonst ließ sich ein Valentin doubeln, sprich seiner Einzigartigkeit berauben.“

Es ist also ein Buch über Singularität und Identität, die Meyer aber nicht zementiert und aufs Unabänderliche festlegt, sondern im Schwange begreift, dynamisch, ständig in Bewegung. Das Verlockende daran ist, dass sich diese Dynamik aus dem Zusammenspiel von Einsamkeit und Zweisamkeit entwickelt. Karl Valentin nämlich war, so fabulös er G’schichtn erzählte und mit Wörtern jonglierte, nichts ohne Liesl Karlstadt. Karlstadt charakterisiert Meyer als eine emanzipierte Frau, eine frühe Feministin, die sich ihren Weg erspielt, erarbeitet und doch dem unglücklich Lieben nicht entkommt. Sie verliebt sich, hier ein Bursch, vielleicht auch da, immer und überall spitzt aber doch Karl Valentin hervor. C’est la vie? Einander beglücken, aneinander leiden: „Es lief alles glatt, denn was auch immer sie spielten, das spielten sie wie am Schnürchen. Immer dazu vergattert, aneinander zu leiden, in Banden gekettet zu sein.“

Das mag démodé klingen, übt aber auch seinen ganz besonderen Reiz aus – wie auch Martin Meyers Sprache. Nicht spröde, formatiert und katastert, sondern elegant und spielerisch einem Gedanken verschrieben. Meyer ist einer dieser linguistisch verzückten Juristen, die sprachlich alles durchdringen und doch wissen, dass es da noch etwas gibt, das sich weder mit Wörtern noch mit Paragraphen erfassen lässt. „Übellaunig“ und „scheelsüchtig“ sind seine Gestalten, Hinterwitz ist ihm lieber als ein Treppenwitz, ein Hefezopf lieber als ein Muffin.  

So wundert’s einen nicht, dass Meyer Valentin nicht in die Opferfalle tappen lässt, sondern im Gespann mit Karlstadt … Hindernisse zu überwinden gilt es dennoch, zuvörderst Valentins Hypochondrie. Krankheit aus Einbildung sei „eine reine Ersatzangst, die man vorschützt, statt sich den wahren Ängsten zu stellen“, meint Dr. Hartpfennig. 

Hat man das erst einmal erkannt, sind Copycats ein Klacks. Man wickelt sie um den Finger, heckt etwas aus und zeigt aller Welt, dass man sich mit dem Trost, das Original zu sein, nicht zufriedengibt. Denn das ist bei allem Duplizieren und Replizieren doch das Einzigartige an Künstlern: Es packt uns, frei nach Martin Meyer, immer wieder etwas am Portepee, dass wir nicht anders können.

Martin Meyer: Der falsche Karl Valentin. Gmeiner Verlag, Meßkirch 2020.
310 Seiten, 12 Euro.

Ute Cohens Texte bei uns hier.