Geschrieben am 4. Oktober 2015 von für Crimemag, Film/Fernsehen

Film: War-on-Drugs-Tripple: „Narcos“, „Sicario“ und „Cartel Land“

NarcosDrogenkrieg als Stoff: Neue Grenzen, neue Stile

Der war on drugs ist eine never-ending story und ein beständig wiederkehrendes Thema nicht nur in den Büchern von Don Winslow, sondern auch in Filmen und Fernsehserien. In diesem Herbst sind mit „Sicario“, „Cartel Land“ und „Narcos“ drei neue amerikanische Produktionen zu sehen. Unsere Expertin Sonja Hartl hat die Ware gewissenhaft geprüft.

Drogengeschichte im Schnelldurchlauf: die Netflix-Serie „Narcos“

Die Geschichte Pablo Escobars eignet sich hervorragend, um von dem war on drugs zu erzählen. Zu seinen Lebzeiten erlebte Kokain seinen Aufschwung, nahm die Bedeutung Lateinamerikas für den Drogenschmuggel in die USA kontinuierlich zu, trat die Verbindung zwischen dem Kampf gegen die Drogen und den Kommunismus deutlich zutage. An seiner Karriere lassen sich die enge Verbindung zwischen Drogen- und Waffelhandel, die Rolle der Armut und Angst, die Bedeutung der medialen Inszenierung und nicht zuletzt die fehlgeleiteten Strategien der USA nachzeichnen. Eine Serie wäre dafür die ideale Erzählform: sie bietet ausreichend Zeit – und dank der Streamingplattformen auch gute Bedingungen für komplexe Narrationen. Dennoch ist allein die Form keine Garantie – das zeigt die Netflix-Serie „Narcos“ sehr deutlich.

In zehn Folgen erzählt „Narcos“ von fast dem gesamten Leben Pablo Escobars, von seinen Anfängen als Schmuggler und Erpresser bis zu seiner Flucht aus seinem selbst gebauten Gefängnis. Dabei strebt sie Vollständigkeit, Faktentreue und ein umfassendes Gesamtbild an, indem sie verschiedene Stationen in Escobars Leben abhandelt und in einen größeren Zusammenhang einbettet. In jeder Folge gibt es Sequenzen einer semi-dokumentarischen Montage mit bspw. Nachrichtenbildern von Razzien, Nancy Reagans Appell an die Nation usw. Dadurch ist dann zum Beispiel zu sehen, wie Escobar einem Jungen den Auftrag erteilt, in einem Flugzeug ein Gespräch abzuhören. Dann drückt dieser den Aufnahmeknopf eines Tonbandgeräts und es folgen Nachrichtenbilder von dem Flugzeugabsturz, der dadurch herbeigeführt wurde. Darüber hinaus wird das Geschehen beständig aus dem Off von dem DEA-Agenten Steve Murphy (Boyd Holbrook) kommentiert. Dadurch liefern die einzelnen Folgen sehr viele Informationen und auch Hintergründe, allein in den ersten beiden Episoden werden über zehn Jahre abgehandelt. Jedoch wird die Serie dadurch auch zu einem Parforceritt durch die Drogengeschichte der USA und Kolumbiens seit den 1970er Jahren. Jede Episode springt von Station zu Station, so dass keine Situationen entwickelt oder gar Spannung aufgebaut wird. Dafür fehlt – und das ist insbesondere bei einer Serie bedauerlich – schlichtweg die Zeit.

Außerdem ist es durch den permanenten Off-Kommentar zum einen nahezu unmöglich, das Gesehene selbst einzuordnen, da die Bewertung gleich mitgeliefert wird. Zum anderen schwankt dieser Kommentar – und durch seine Dominanz die gesamte Serie – beständig zwischen unfassbarer Naivität und lässiger Ironie. Hätte sich die Serie ganz dem naiven Blickwinkel eines DEA-Agenten verschrieben, der 1981 nach Kolumbien kommt und von dem Ausmaß des Drogenhandels keine Ahnung hatte, weil er sich in dieser Form in den USA noch nicht gezeigt hatte, hätte es interessant werden können. Aber Murphy erzählt von diesen Ereignissen in einer Rückblende, die erst im letzten Drittel der Serie aufgelöst wird. Dass wiederum mit Ironie von Verbrechen erzählt werden kann, haben bereits die tarantinoesken Filme dieser Welt gezeigt – allerdings muss diese Haltung dann durchgehalten werden. Jedoch kann sich „Narcos“ nie entscheiden, ob sie eine retrohippe Feier des Lebensstils eines Drogenhändlers oder aber eine Geschichtsstunde zum war on drugs sein will.

Diese Stofffülle und Inszenierungsweise behindert zudem die Ausgestaltung der Figuren. Vielmehr erscheint das Medellín-Kartell als Gruppe geschwätziger, jammernder Männer, ein Schauspieler wie Luis Guzmán bekommen nicht sehr viel mehr zu tun als grimmig und böse in die Kamera zu schauen. Die Agenten in der amerikanischen Botschaft sind überwiegend verblendet. Murphy bezieht seine Motivation – man ahnt es – aus der Ermordung seines Partners, dann ist er plötzlich ernüchtert, schließlich eskalieren seine Ansichten und sein Verhalten in der siebten Folge. Boyd Holbrook gelingt es kaum, ihm Profil zu verleihen, als positive Identifikationsfigur eignet er sich daher nicht. Bleibt also nur Pablo Escobar, den Wagner Moura mit treuem Blick als familienliebenden Drogenbaron spielt – und der in dieser Serie bei erstaunlich wenig bösen Taten zu sehen ist. Das beständige Sagen von „plomo o plata“ (Blei oder Silber) erscheint da fast schon als bloßes Zitieren. Hier zeigt sich deutlich, dass „Narcos“ besser gewesen wäre, wenn sie Escobar noch stärker in den Mittelpunkt gestellt hätten. Dass auch Netflix-Serien mit einer ‚bösen‘ Hauptfigur funktionieren, hat „House of Cards“ hinlänglich gezeigt, außerdem hätte eine Konzentration auf Escobar erlaubt, auf interessante Fragen zu seiner Persönlichkeit und der Organisation einzugehen.

Damit ist „Narcos“ solide Fernsehunterhaltung, die unverständlicherweise in den USA verschiedentlich in einem Atemzug mit „The Wire“ genannt wurde. Dabei macht David Simons Serie das genaue Gegenteil: Sie entwickelt Plots, Figuren und Situationen teilweise über Staffeln hinweg. „Narcos“ hätte eine großartige Serie sein können, wenn Serienschöpfer Carlo Bernard, Chris Brancato und Doug Miro ähnlich vorgegangen wären (und das bedeutet nicht, dass Serien so vorgehen müssen, um großartig zu sein). Aber sie haben sich entschieden, zugunsten des Ereignisses die interessanten Fragen und Aspekte auszulassen. Deshalb lässt sich an der Rezeption von „Narcos“ eher der Reflex erkennen, eine Serie zu feiern, weil von ihr Großes erwartet wird und sie bei Netflix läuft. Doch nicht jede Serie von Netflix oder auch HBO muss ein Meisterwerk sein. Fraglos ist es bemerkenswert, dass in „Narcos“ die Teile, die in Kolumbien spielen, sowohl in der Original- als auch deutschen Synchronfassung in Spanisch mit Untertiteln zu sehen ist. Auch macht sie deutlich, zu welchen Fehleinschätzungen die enge Verknüpfung der Drogen- mit der Sicherheitspolitik geführt hat. Aber für eine gute Serie ist das zu wenig.

SICARIODrogenkrieg und Thriller: der Film „Sicario“

Glücklicherweise gibt es aber nicht nur „Narcos“ als neuen visuellen Beitrag, sondern mit „Sicario“ und „Cartel Land“ zwei Filme, die beweisen, dass der war on drugs noch lange nicht auserzählt ist. Bisher war er im nordamerikanischen Film zumeist Hintergrund für spannende Unterhaltung oder – vor allem im Dokumentarfilm – Ausgangspunkt einer investigativen Recherche. Daher erzählen Filme vom Aufstieg eines Drogendealers (u.a. „Scarface“, „Savages“), dem Vertrieb der Drogen (u.a. „Midnight Run“, „Blow“, „The Counselor“), Konsum (z.B. „Fear and Loathing in Las Vegas“, „Requiem for a dream“) und vor allem der Bekämpfung der Kriminalität (u.a. „Brennpunkt Brooklyn“, „Das Kartell“, „2 Guns“). Diese Filme konzentrieren sich auf Teilbereiche des war on drugs, der überwiegend Anlass für Geschichten von Gangstern, Action und Verfolgungsjagden ist. Die Komplexität des Themas spiegelte sich erstmals in Steven Soderberghs „Traffic“ (2001) wider, der anhand dreier Erzählstränge von Politik und Konsum, Import und Kriminalität, Herstellung und Korruption erzählt. Seither kommt kaum ein US-Drogenthriller ohne helle, flirrende Szenen von verlassenen Folterhütten in Mexiko (und Benicio del Toro) aus.

Auf dieses filmische Wissen setzt nun Denis Villeneuve in „Sicario“. Im Mittelpunkt steht die FBI-Agentin Kate Macer (Emily Blunt), die mit einer verdeckt operierenden Sonderheit einen mexikanischen Drogenboss ausschalten soll. In ihrem Charakter sind zwei typische Figuren des Drogenthrillers verbunden: Sie ist die aufrechte Ermittlerin, die gegen ein Drogenkartell vorgehen will, zugleich aber eine Außenseiterin, weil sie im Gegensatz zu ihren Kollegen noch Skrupel in der Wahl der Mittel hat. (Dass sie eine Frau ist, spielt ausnahmsweise keine Rolle.)

Kate Macer (Emily Blunt)

Kate Macer (Emily Blunt)

Normalerweise sollen die Aufrechten und Außenseiter in Drogenthrillern auch Hoffnung verkörpern, in „Sicario“ sucht man sie indes vergebens. Die bekannten Dichotomien zwischen gut und böse, zwischen diesseits und jenseits der Grenze haben sich aufgelöst. Die Gewalt ist längst in den USA angekommen, Grausamkeit und Leichen sind nicht mehr nur in Mexiko beheimatet, sondern auch in den USA zu finden. Es reicht nicht mehr, den Geldfluss zu stoppen, dafür ist der Drogenfluss zu profitabel. Und wie in dem mexikanischen Film „600 millas“ zeigt auch „Sicario“, dass sich das Verhalten der amerikanischen Ermittler den Bedingungen angepasst hat. Geleitet von dem CIA-Agenten Matt (Josh Brolin) und dem undurchsichtigen mexikanischen Ex-Staatsanwalt Alejandro (Benicio del Toro) schreckt die Sondereinheit weder vor Einschüchterung noch Mord zurück. Die US-Regierung, US-Army und CIA gehen nämlich nicht mehr davon aus, dass der Krieg gegen die Drogen noch gewonnen werden kann. Sie wollen lediglich die Opferzahl gering halten. Wie sehr Villeneuve dabei auf filmisches Wissen vertraut, zeigt sich an dem Nebenstrang um einen mexikanischen Jungen, dessen Vater Polizist ist. Mit wenigen Bildern umreißt er dessen Gegenwart und wahrscheinliche Zukunft, denn diese Geschichten wurden in vielen lateinamerikanischen Filmen von „Miss Bala“ bis zu „Helí“ bereits erzählt.

Mit bemerkenswerter Konsequenz erkennt „Sicario“ auch in der Bildsprache (Kamera: Roger Deakins) an, dass der war on drugs tatsächlich ein Krieg und zudem verloren sowie längst in die USA vorgedrungen ist. Deshalb ist nicht mehr nur die mexikanische Wüste in helle, flirrende Farben getaucht, sondern auch ein Todeshaus in Arizona. Das Eindringen in Mexiko gleicht mit Nachtsichtgeräten und schnellen Schwenks einem Kriegsfilm. Eine Verfolgungsjagd findet im Stau vor der Grenze statt – und eine der brutalsten Szenen des Films ist in wärmstes Licht getaucht. Mit „Sicario“ hat Denis Villeneuve nicht den Drogenthriller neu erfunden, aber er hat ihn einen längst überfälligen Schritt weitergebracht, indem er die Realitäten anerkennt und an bekannte Erzählmuster anknüpft.

Cartel Land

Die Dokumentation „Cartel Land“: Gegenwehr im Grenzland

Ähnlich geht Matthew Heinemann in seinem sehr sehenswerten Dokumentarfilm „Cartel Land“ vor. Mit wenigen Bildern werden die bekannten Mechanismen am Anfang umrissen: Crystal Meth wird in Mexiko gekocht und über die Grenze in die USA gebracht. Danach lenkt er den Blick auf die Folgen für die Bewohner in den betroffenen Regionen. Sie rüsten diesseits und jenseits der Grenze zur Gegenwehr. In Arizona gründet Tim „Nailer“ Foley die Arizona Border Recon, um der Gewalt der Kartelle etwas entgegenzusetzen. In Michoacán im Westen Mexikos will der Arzt Dr. José Manuel Mireles nicht länger mit ansehen, wie das Tempelritter-Kartell wahllos Menschen hinrichtet, und hat deshalb die Bürgerwehr Autodefensas gegründet. Sie fühlen sich beide vom Staat verraten. Da sich die Topoi der korrupten mexikanischen Staatsorgane, der ruchlosen Gewalt der Kartelle und Hilflosigkeit der Menschen längst festgesetzt haben, erscheinen die Autodefensas tatsächlich als möglicher Ausweg in diesem Konflikt. Jedoch zeigt sich schnell, dass beide Bürgerwehren nicht kontrollieren können, wer sich ihnen anschließt – seien es Rassisten in Arizona oder Profiteure in Mexiko.

09_Cartel-Land

Erzählerisch und visuell verbindet Heinemann in „Cartel Land“ den investigativen Dokumentarfilm mit dem Hollywoodthriller. Zum einen lassen seine Bilder, deren Belichtungen und Einstellungen oftmals erkennen, dass er bei Schusswechseln und anderen gefährlichen Situationen vor Ort war. Sie sind von Authentizität durchdrungen. Zum anderen aber sind die Bilder der Methschwaden, der Grenzübergänge, der „Befragungen“ der Bürgerwehren an den Thriller angelehnt, in dem der war on drugs lediglich den Hintergrund für actionreiche Unterhaltung bietet. Er knüpft somit an fiktive filmische Bearbeitungen des war on drugs und Dokumentarfilme wie „The House I Live In“ und „Narco Cultura“ an, deren Geschichten den Hintergrund und Rahmen liefern. Zugleich hinterfragt Heinemann mit seinem Film aber auch die Wahrnehmungsmuster, die durch diese Filme entstehen.

Damit zeigen „Sicario“ und „Cartel Land“ sehr deutlich, wie über den war on drugs erzählt werden kann, ohne dass Filme auf die immergleichen Bilder und narrativen Muster zurückgreifen müssen. Sie liefern eine überfällige Weiterentwicklung im nordamerikanischen Film und eine andere Perspektive auf den war on drugs.

Narcos: USA 2015
Creators: Carlo Bernard, Chris Brancato, Doug Miro, Paul Eckstein
Stars u.a.: Wagner Moura, Boyd Holbrook, Pedro Pascal

Sicario, USA 2015
Regie: Denis Villeneuve
Autor: Taylor Sheridan
Stars: Emily Blunt, Josh Brolin, Benicio Del Toro

Cartel Land: USA 2015
Regie: Matthew Heinemann

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