Geschrieben am 31. August 2013 von für Crimemag, Kolumnen und Themen

Zoë Beck über geschlechterspezifisches Leseverhalten

zoe_beck_porträt Wir brauchen zwei Sorten Bücher!

Zoë Beck hat eine Umfrage über das Leseverhalten von Frauen und Männern studiert und grübelt über deren Sinn und Zweck.

Männer brauchen die Realismuskeule, Frauen tauchen in seelische Abgründe ab“ – oder anders gesagt: Frauen und Männer bewegen sich in Paralleluniversen. Wir brauchen deshalb zwei getrennte Chips-Sorten, wir brauchen – um es schon im frühesten Alter zu lernen – getrennte Überraschungseier … Der Graben zwischen den Geschlechtern kann nie groß genug sein. Finden wir also unsere Plätze, auch in Buchhandlungen, wo es für Frauen bereits recht einfach ist. Für sie gibt es eine eigene Abteilung („Frauen“), gerne auch spezifiziert („Freche Frauen“). Männer brauchen das nicht ganz so deutlich. Ich habe jetzt endlich gelernt, warum – weil wir Frauen uns, laut einer repräsentativen Umfrage, die der Börsenverein des deutschen Buchhandels im Rahmen der Kampagne „Vorsicht Buch!“ in Auftrag gegeben hat, gerne in seelischen Abgründen verlaufen. Männer hingegen sind mit beiden Beinen in der Realität fest verankert. Danke, lieber Börsenverein. Hoffentlich schaffe ich es, diesen Artikel fertig zu schreiben, ohne vorher in Realitätsflucht zu versinken.

Nicht repräsentativ

Wenn ich als in vielen Belangen nicht repräsentativer, biologisch weiblicher Mensch Ende dreißig mit Hochschulabschluss, eigenem Einkommen, konfessionslos, unverheiratet und kinderlos, wenn ich mir diese Studie ansehe, möchte ich doch gleich ein paar Dinge anmerken, so es mir unter den genannten Voraussetzungen erlaubt ist. Das Interview mit Michael Thiel überspringe ich hier, sonst würde ich mich und ihn und andere Menschen fragen müssen, warum er denkt, Val McDermid sei eine „gemütliche, nette ältere Dame“. Immerhin kann man sich ausführlich amüsieren, wahlweise ärgern, und er räumt glücklicherweise ein, dass geschlechterspezifisches Verhalten soziologische Ursachen hat.

Da bin ich auch zufällig gleich bei meiner ersten Anmerkung: die Fragestellung der repräsentativen Umfrage (online, 5000 gewertete Teilnehmer). Es gibt eine Menge Untersuchungen zu Frauensprache/Männersprache. Ich habe zu Unizeiten dazu ebenfalls Studien durchgeführt. Wie wir sprechen ist selbstverständlich soziologisch bedingt, und wie wir mit Sprache umgehen, beeinflusst unser Denken und Handeln. Und so wundert es mich nicht, wenn bei „Ich lese Bücher … weil mir das Anregung zum Nachdenken gibt“ mehr Frauen angeben, dieser Grund spiele eine starke Rolle, hingegen bei „… weil es mir wertvolle Hilfen zur Meinungsbildung gibt“ mehr Männer. Bei „… weil das mir hilft, Menschen besser zu verstehen“ mehr Frauen, bei „…weil ich dann besser mitreden kann“ mehr Männer. Die prozentualen Unterschiede sind hier relativ gering (im 5%-Bereich), zeigen aber eine Tendenz. So staunt man kaum, wenn man sieht, dass den Antwortmöglichkeiten in den Themenblöcken „Ausgleich“ und „Emotionalität“ von Frauen eine größere Signifikanz eingeräumt wurde, hingegen jene unter „Sinnhaftigkeit/Bildung“ und „Orientierung“ eher von Männern stärker gewichtet wurden.

Warum hier wieder das Männer-Frauen-Fass aufgemacht wird, konnte mir, als ich telefonisch bei der PR-Agentur, die die Studie an die Presse verschickte, niemand sagen. Es sei denn, „Wir fanden das nun mal ganz interessant“ wertet man als fundierte Antwort. Ich erhielt noch den vorauseilenden Hinweis, die Studie sei keineswegs „diskriminierend“ gemeint.

Gut.

Frauen fliehen eben lieber vor der Realität. Und Männer lesen gerne Sachbücher, um sich weiterzubilden. So ist das Leben.

Natürlich hat alles das gar nichts damit zu tun, dass angeblich mehr Frauen als Männer Bücher kaufen und deshalb vermeintliche Frauenstoffe in den Vordergrund gerückt werden. Dieses Thema ist ein alter Hut, dabei ein Fass ohne Boden, bei dem sich die Katze in den Schwanz beißt, um in der Klischeekiste zu bleiben.

Alte und junge Menschen

Deshalb: Weiter im Text. Bei der nicht-geschlechterspezifisch aufgeschlüsselten altersmäßigen Unterteilung gab es sehr viel interessantere Tendenzen. Zum Beispiel lesen Menschen über 60 vorzugsweise, um ihre Freizeit sinnvoll zu nutzen, etwas für ihre Allgemeinbildung zu tun und neue Informationen zu bekommen. Junge Menschen greifen im Vergleich weniger aus diesen Gründen zum Buch. Auch ist der Anteil der 60+-Menschen bei Antworten wie „… weil ich so das Gefühl habe, dazuzugehören“ und „… weil ich dann besser mitreden kann“ sowie „… weil das mir hilft, Menschen besser zu verstehen“ am höchsten. Auch „Anregung zum Nachdenken“ und „wertvolle Hilfen zur Meinungsbildung“ hat den höchsten Prozentsatz bei der älteren Generation. Der Themenblock „Ausgleich“ hingegen hat seinen Peak bei den 40- bis 49-Jährigen. Die Arbeitnehmer dieses Alters scheinen den größten Stress zu haben, weshalb sie Ablenkung brauchen und zum Buch greifen. Der Block „Emotionalität“ – wo es um Eintauchen in andere Lebenswelten und Alltagsflucht geht – verteilt sich auf die Ab-20-Jährigen bis zu den Endvierzigern. Wieder: die gestressten Arbeitnehmer. Die jüngste Gruppe – ab 14 Jahren – zeigt zusammen mit den 20- bis 29-Jährigen einen Peak bei „… weil ich dabei in Gefühle anderer eintauchen kann“.

Wären das keine Aspekte gewesen, auf die man vielleicht mit einer spezifischeren Umfrage hätte eingehen können?

Die Daten sind leider nicht so aufbereitet, wie ich es mir im Zeitalter des Datenjournalismus wünsche, aber das, was mir zur Verfügung steht, habe ich nun so gelesen. Unter anderem, weil ich diese Frauen-Männer-Unterscheidung grundsätzlich falsch finde und weil die (unbewusste) sprachliche Manipulation bei den vorgegebenen Thesen auffällt.

Unterschiedliche Menschen

Unterschiedliche Menschen unterschiedlichen Alters in unterschiedlichen Lebenssituationen mit unterschiedlichen Bildungsabschlüssen und unterschiedlichen Einkommen haben unterschiedliche Gründe, Bücher zu lesen, weshalb sie – unterschiedliche Bücher lesen. Ich hörte sogar schon davon, dass ein- und dieselbe Person unterschiedliche Bücher kauft.

Aber die vielen unterschiedlichen Menschen, die so gerne viele unterschiedliche Bücher lesen, nach biologischem Geschlecht zu trennen? Wundersam. Was genau hat diese Studie denn jetzt an Mehrwert und Erkenntnisgewinn gebracht?

Wobei, ich glaube, ich weiß es: Das neueste Geschäftsmodell wird sein, Buchhandlungen wie Bekleidungsgeschäfte zu unterteilen. Mit getrennten Lesekabinen zum Bücher anprobieren ausprobieren. Man könnte dann noch in jedem Bereich die entsprechende Musik spielen, die als vorzugsweise männlich oder weiblich gilt. Auch die Farbgebung könnte man anpassen. Da tun sich ganz neue Welten auf.

Zoë Beck

Zur Homepage von Zoë Beck geht es hier. Foto: © Victoria Tomaschko.

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