Geschrieben am 2. Juli 2011 von für Crimemag, Kolumnen und Themen

Zoë Beck über die Frauenfrage

„Sei wie das Veilchen im Moose …“

Warum verkaufen sich schlechte Bücher so gut, warum wird deutsche Kriminalliteratur gebasht und warum sind Frauen immer unterrepräsentiert? Das ist die Trinität der Themen, die immer wieder in allen möglichen Zusammenhängen aufkommen und von denen es immer heißt, sie seien längst erledigt. Sind sie aber überhaupt nicht. Zoë Beck hat sich heute der Frauen-Frage angenommen – ein Aufruf!

Dauerthema, sobald ein Haufen deutschsprachiger Krimischreiberlinge zusammensitzt: zu wenige Frauen, die Preise bekommen oder in Best-of-Listen gewählt werden. Dass es mehr Männer sind, ist statistisch belegt. Standardbegründung: zu viele Männer in den Jurys. Standardgegenargument: Mehr Männer als Frauen schreiben bzw. veröffentlichen im deutschsprachigen Raum. Das ist auch statistisch belegt und sägt an der ersten Statistik. So jammert und streitet es sich nun schon seit Jahren und es geht keinen Schritt weiter. Grund genug, sich mal abseits dieser beiden Statistiken umzusehen. Denn an irgendwas muss es ja liegen, dass sich trotz – statistisch belegt – mehr weiblicher Buchkäuferschaft die deutsch schreibenden Damen mit dem Ruhm in der Breite noch so vermeintlich schwer tun.

Quelle: neleneuhaus.de

Es sind wenig Frauen

Es gibt ja genügend Beispiele für erfolgreiche Krimiautorinnen. Nele Neuhaus verkauft sehr viele Bücher, Petra Hammesfahr hält sich seit Anfang der Neunziger mit Erfolg, Ingrid Noll ist Ingrid Noll, Elisabeth Herrmann wird von Kritikern geliebt, Anne Chaplet ebenso, Rita Falk verstopft die Bestsellerliste mit gleich zwei Titeln. Ich entschuldige mich bei allen Kolleginnen, die ihren Namen jetzt nicht gelesen haben. Es gibt nämlich noch viele mehr, die zu erwähnen wären.

Ingrid Noll

Trotzdem, irgendwie ist das Männer-Frauen-Verhältnis noch nicht da, wo es die Gleichberechtigung gerne sehen würde. Schauen wir uns mal ein paar andere Statistiken an. Vor ein paar Monaten zum Beispiel machte sich Konrad Lischka auf Spiegel Online Gedanken darüber, dass und warum so wenig Frauen bei Wikipedia schreiben. Das Ergebnis: Wenig Frauen schreiben bei Wikipedia. Aha. Der Rest ist ratlose Spekulation. Aber auch Fachzeitschriftenredaktionen heben immer mal wieder den Finger und fordern mehr Publikationen von Frauen ein. Für die KrimiZEIT-Bestenliste sucht Tobias Gohlis nach Frauen, die sich als Krimikritikerinnen hervortun und wird nicht immer fündig. Beteiligen sich Frauen zu wenig an der Diskussion, am Diskurs? Mittlerweile studieren in Deutschland genauso viele Frauen wie Männer. Es gibt weniger Promovendinnen und viel weniger Professorinnen als Promovenden und Professoren. Noch eine bekannte Statistik. Warum? Wohin verschwinden die denn alle? In der Familienplanung?

Agatha Christie

Männlein, unsexy

Und weiter geht’s: Vor einem Jahr gab es (mal wieder) Studien zu den niedrigeren Gehältern bei Frauen in Deutschland. Da wurde gesagt, dass Frauen ein niedrigeres Gehalt für sich als gerecht empfinden würden.  Die Frauenbewegung scheitert an den Frauen? Solange heterosexuelle Frauen Männer, die weniger als sie selbst verdienen, unsexy finden (vermutlich nicht sehr repräsentative Umfrage auf diversen Parties, aber immerhin), wird das nichts mit dem Besserverdienen. Personaler sagen gerne, dass sich Frauen unter Wert verkaufen bzw. deutlich bescheidener auftreten als die männlichen Kollegen. So erzählte mal ein Coach, er erlebe es immer wieder, dass eine Frau, die fließend eine Fremdsprache beherrscht, im Fragebogen ankreuzt, sie hätte „gute Kenntnisse“. Ein Mann, der gerade mal fehlerfrei ein Bier in derselben Sprache ordern kann, hält sich für „verhandlungssicher“. Oder verkauft sich einfach nur besser, wie auch immer. Bescheidenheit, die weibliche Tugend. „Sei wie das Veilchen im Moose“, das schrieb man uns noch in die Poesiealben. Spitzenfrau glaubt demnach, weniger als Durchschnittsmann an Verdienst zu verdienen, sagt diese Umfrage.  Und wer mit niedrigen Gehaltsforderungen ins Bewerbungsgespräch geht, der bekommt auch weniger. Kein Chef wird sagen: „Moment, ich leg Ihnen noch mal fünfhundert drauf, Sie bescheidenes Ding.“ Und immer wieder werden Frauen deshalb dahingehend gecoacht, mehr ihre Stärken hervorzuheben, die Schwächen auch mal zu übergehen, stolz zu zeigen, wer sie sind.

Getrude Stein

Das Männer-Frauen-Ding

Männerkram? Jedenfalls scheinen deutlich weniger Frauen an Egomanie und übersteigertem Selbstbewusstsein zu leiden als Männer. Manchmal auch ganz gut. Aber eben nicht immer nur gut.

Um noch ein bisschen weiter mit Dingen zu langweilen, die erst mal nichts mit dem Krimi konkret zu tun haben: Es gibt zwar immer mehr Beziehungen, in denen Frauen mehr verdienen als Männer (bei nur ca. 10% aller deutschen Haushalte ist Frau die Hauptverdienerin), aber diese bemitleidenswerten Kerle, die sich bestimmt von ihren Kumpels anhören müssen, sie stünden unterm Pantoffel, brauchen Rat und Hilfe, siehe hier. Die Männer sollen das Gespräch suchen. Umdenken. Am Ende noch Therapeuten aufsuchen, wenn ich mir das so ansehe. Welche Frau braucht Hilfe, weil sie weniger verdient als ihr Partner, oder am Ende ganz von seinem Geld lebt? Ehrlich gesagt wäre es schön, wenn sich mehr Frauen unwohl in dieser Situation fühlen würden, statt Partnerschaft und Ehe als selbstverständliche Versorgungseinrichtung alternativ zur Erwerbstätigkeit zu sehen, aber das nur am Rande.

Es gibt zwei Berufsfelder, die unproblematisch scheinen: Männer, die entweder künstlerisch tätig sind oder im universitären/akademischen Bereich arbeiten, finden es weniger bis gar nicht besorgniserregend, wenn ihre Frauen das große Geld nach Hause bringen. Der Rest hat ab einem bestimmten Einkommensunterschied mehr als nur Potenzprobleme. (Ich finde die Statistik leider nicht, hoffe aber, sie nachreichen zu können.) Das Männer-Frauen-Ding ist also immer noch ein Männer-Frauen-Ding, auch wenn sich schon was geändert hat. Es muss sich noch mehr ändern, aber nicht nur im Denken der Handvoll bemitleidenswerter Männer, die weniger verdienen. Vielmehr auch bei den Frauen selbst. Was hatten wir bis jetzt? Weniger Bescheidenheit. Ruhig mehr fordern. Lauter sein. Ellenbogen. Mehr Stolz. Mehr Unabhängigkeit. Lösen von im Grunde überkommenen, aber noch immer gesellschaftlich weithin anerkannten Geschlechterrollen. Kurz: Querschießen.

Emily Dickinson

Gefall-Prosa

Ich bin schon beim Krimi. Ich überlege nämlich, ob die fehlende Anerkennung damit zu tun haben kann, dass sehr viele Frauen mit angezogener Handbremse unterwegs sind. Sind es nicht mehr Mädchen in der Schule, die eine schöne Handschrift haben? Und ordentliche Schulhefte? Saubere Mäppchen? Und trotzdem haben die Jungs nachher die besser bezahlten Jobs, schon komisch. Die haben doch nie aufgepasst. Haben sich blutige Nasen geholt bei den Versuchen, die Grenzen auszutesten. Die meisten Frauen holen sich zu selten blutige Nasen, glaube ich. Sie riskieren zu wenig. Sie gehen lieber auf Nummer Sicher. Frauen, heißt es, wollen gefallen und sind deshalb gefällig. Schreiben sie auch so? Die Frage sei erlaubt, weil sie unheimlich wichtig ist für den eigenen Entwicklungsprozess, für das eigene Fortkommen: Schreibe ich diese Geschichte auf jene Art, weil das genau mein Ding ist, oder weil ich doch vor allem anderen denke, dass es so sein muss/erwartet wird und mich deshalb zum Ziel führt? Diese Frage ist schwerer zu beantworten, als man denkt. Jede wird sagen: Klar mach ich mein Ding! Die eigene Stimme aber zu finden, sie herauszuarbeiten, auszubilden, weiterzuführen, zu scheitern und wieder neu anzufangen, zu erkennen, wann man sich verrannt hat und wann man auf dem richtigen Weg ist, ist das Schwerste im Schreibprozess. Diese Arbeit darf ein Schreibleben lang nie aufhören. Nette Sätze aneinanderreihen, die eine logische Geschichte ergeben, vielleicht noch eine rührende und spannende dazu – das ist eine ordentliche Leistung, das ist „Schrift: sehr gut“ in den Kopfnoten, hat aber noch nichts mit dem wahren kreativen Prozess zu tun. Ja, okay, auch uninspirierter Dreck verkauft sich oft genug, während Juwelen wie Blei im Regal der Buchhandlungen liegen. Aber man soll ja nicht nach dem schauen, was schlechter ist, sondern sich immer schön nach oben orientieren. Was hat denn Nachhall? Wenn wir etwas lesen, das uns komplett reinzieht. Das ist nicht allein die Geschichte – oft genug gibt es genau so eine Geschichte noch auf viele andere Arten erzählt, und keiner hat sich dafür interessiert. Es ist das, was man so schwer fassen, so ungenau beschreiben kann. Das „gewisse Etwas“. Was Rita Falk schreibt, ist zum Beispiel nichts, was mich inhaltlich interessiert. Aber ich lese die ersten Seiten und denke: Hey, ich kann die Frau hören. Sie hat etwas sehr Eigenes. Und ich glaube, deshalb bestsellert sie so überwältigend. Was ich eigentlich sagen will, ist: Frauen, traut euch. Versucht doch nicht dauernd zu gefallen. Runter von der Bremse, rauf aufs Gas, probiert euch aus, sucht nach euren Stärken, sagt, was ihr wirklich sagen wollt und hört auf mit dem Scheiß, von dem ihr denkt, er würde von euch erwartet.

Weitermachen!!!

Das heißt nicht, dass es Diskriminierung landauf, landab nicht gibt. Männer, die sich schwertun, Frauen auf Augenhöhe zu begegnen. Und es löst nicht das Problem der immer noch viel zu geringen Zahl an Frauen, die als ernstzunehmende Kritikerinnen unterwegs sind statt als Gefälligkeitsbuchempfehlerinnen, Frauen, die sich fundiert und mutig in die Diskussion stürzen statt Harmonie zu beschwören, die wissen, wie sie networken und am Diskurs teilhaben. Es gibt sie, aber es sind zu wenige, und wenn es so wenige bleiben, dann dürfen wir uns nicht beschweren, dass so viele Männer in Listen auftauchen und Preise nach Hause fahren und überhaupt überall ihre Meinung hinplakatieren.

Irgendwo müssen wir anfangen. Obwohl, andere vor uns haben längst angefangen, eigentlich müssen wir nur da weitermachen. Was ist mit Gertrude Stein? Virginia Woolf? Emily Dickinson? Dorothy Parker? Die kann man ganz deutlich hören. Bis heute noch. Man muss sie nur mal lesen.

Ruth Rendell

Und beim Krimi? Da gibt es auf dem internationalen Genreparkett nicht wenige Frauen: Karin Slaughter, ein Bestsellerlistengarant. Barbara Vine, zu Lebzeiten schon ein Klassiker. P.D. James, mit gefühlten hundertzwanzig Jahren immer noch erfolgreich. Patricia Highsmith wurde zum Synonym für suspense. Agatha Christie hat schon zu Lebzeiten so viele Bücher verkauft, dass keiner von uns sie wirklich einholen kann. Keine ist „so ähnlich wie“, jede hat ihr Markenzeichen. Alles Ausnahmen? Ich denke nicht.

So.

Und jetzt warte ich auf die Tomaten und faulen Eier. Na los.

Zoë Beck

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