Es pöbelt und holzt im Netz, jeder Wicht muss sich austoben, als gehe mal wieder die Welt unter. Dabei geht um sehr unklare Positionen und eine komplizierte Sachlage – das Urheberrecht. Oder doch das Copyright? Oder wie? Oder was? Gut, dass Zoë Beck einen Juristen im Haus hat. Einen Richter gar, aber …
Von den bösen Kulturdieben
Gerade komme ich aus dem Sauerland zurück. Lesung, Preisverleihung, Besuch eines verirrten Verwandten. Ich schließe die Wohnungstür auf und falle über meine Katzen, die an etwas herumschnüffeln, das offenbar unter der Tür durchgeschoben wurde. Es ist eine selbstgebrannte CD. Ich habe keine Ahnung, was drauf ist. Sie ist recht unleserlich beschriftet. Drei Minuten später klingelt es. Mein Nachbar, der Richter Dr. Müller-Böhne, steht grinsend vor der Tür und sagt: „Na? Wieder da?“
„Muss wohl“, sage ich.
„Haben Sie meine CD gefunden?“
„Ach, die ist von Ihnen?“
„Ja. AC/DC. Ich dachte, wenn Sie mal Inspiration für ’nen Gitarrenrocker brauchen. Dazu kann ich Ihnen auch eine Geschichte erzählen. Ich hatte letztens erst einen in der Verhandlung, der hat …“
Ich unterbreche: „Sie spielen Gitarre?“
Er schaut groß. „Ich? Nee. Wieso?“
„Na, was ist auf der CD?“
„AC/DC! Hab ich aus dem Netz gesaugt.“ Er sagt das Wort „gesaugt“ mit sehr viel Freude.
„Und das als Richter“, sage ich müde. Das Thema Urheberrecht wird gerade auf allen Kanälen rauf und runterdiskutiert, ich muss nicht auch noch damit anfangen.
„Privater Gebrauch!“, strahlt er und hüpft davon.
Außen hui …
Als ich tags drauf vom Einkaufen komme, renne ich in eine Bekannte, die mir stolz verkündet, an wie viele Freundinnen sie schon eins meiner Bücher verliehen hat. Ich lächle freundlich, aber nicht besonders ehrlich. Klar freut es mich, dass mein Buch bei ihren Freundinnen gut ankommt. Aber da war doch noch was …
Was ich nämlich nicht ganz verstehe, ist, dass Leute, die es sich leisten können und die kein ideologisches Problem mit der Verwertungsindustrie o. ä. haben, die 99 Cent für den Download eines Songs oder acht Euro für ein Taschenbuch einsparen wollen. Wobei, das mit den Büchern, okay, da sagt man sich auch mal: Wenn’s gefällt, kauft derjenige das nächste Buch direkt. Oder kauft die Backlist. Was auch immer. Man darf ja hoffen.
Im Sauerland zum Beispiel fiel mir auf, wie viel Geld die Leute offenbar haben. Sie bauen sich riesige Häuser mit allem Schnickschnack. Teure Armaturen im Bad („Hat aber kaum was gekostet, ich kenn den Cousin vom Bruder von dem, der in der Firma die Teile sortiert.“), dicke Autos vorm Haus („Kenn ich den Händler, Kegelbruder von mir.“). Ich kenne das natürlich auch aus anderen Gegenden, wir nehmen das Sauerland nur mal als Platzhalter, ich könnte auch Ostwestfalen sagen oder Mittelhessen oder Oberpfalz. Oder ach, bleiben wir neutral. Jedenfalls, in dieser ländlichen, und doch wohlhabenden Gegend wurde den Gästen gerne Essen angeboten, das erkennbar bei Lidl und Aldi gekauft worden war. Einige Menschen hatten zwei Sorten Kleidung: für Zuhause herum, die war dann von eifrigen Kinderhänden in Südostasien gefertigt, und für zum Ausgehen, die hatte deutlich aufgestickte Markenlabel. (Auch da kannte man teilweise jemanden, der irgendwo arbeitete, oder man hatte im Werksverkauf zugeschlagen.) Kurz gesagt: Es muss alles nach was aussehen, aber kosten darf es nichts. Da wird man erfinderisch. Da geht man schon mal Abkürzungen, um im Monat ein paar hundert Euro zu sparen, die man für die Leasingrate des Drittwagens braucht.
Kulturschnäppchen
Am allerwenigsten kosten darf die Kultur. Musik, Bücher, Filme, das kann man doch ausleihen/runterladen/kopieren für umsonst. Theater? Klar, wenn man die Karten beim Preisausschreiben gewonnen hat. Konzert? „Ich kenn da jemanden, der kennt den Chef von der Presseabteilung, da komm ich an Freikarten.“ Natürlich sind diese Leute die Ersten, die mich fragen, wie ich mein Geld verdiene. Das frag ich mich dann auch.
Klar will ich mein Urheberrecht schützen und Geld für meine Arbeit bekommen. Aber das Prinzip, dass ein verkauftes Buch/eine CD etc. von drei, acht, neunzehn Leuten genutzt wird, ist nicht erst seit dem Internet so. Es hat Vorteile. Es ist so was wie kostenlose Werbung. Word of mouth. „Hör mal/Lies mal/Schau dir das mal an, das ist gut“, und mit etwas Glück hat man einen neuen Fan. Das Internet hat die Zahl derer, die kostenlos die Dinge teilen, potenziert. Man muss sich über die neuen Verwertungsmöglichkeiten und wo das Geld für die Künstler herkommen soll, Gedanken machen, auf jeden Fall. Das wird uns, die wir betroffen sind, in der nächsten Zeit sehr viel beschäftigen.
Aber wenn ich so drüber nachdenke, meine Feinde sind doch grundsätzlich nicht internetaffine Menschen, die außerdem noch viel lesen und gerne Musik hören. Da geht es um etwas ganz anderes.
Schweinehack
Wieso redet keiner von denen, die sich mit ihrer Umsonstmentalität in der sogenannten Mitte der Bevölkerung herumtreiben? 99 Cent? Dafür bekommt Dr. Müller-Böhne 500 Gramm Schweinehack bei Lidl! Da lädt der sich doch keinen Song runter, geht’s noch? Davon, Billigfleisch zu kaufen, kann man ihn eben auch nicht abbringen. Der Neuland-Fleischer ist ihm zu teuer. Das, was er da spart, davon kann er sich gleich bei C&A fünf chemiegetränkte Pyjamas kaufen, die drei Wäschen lang halten. Nein, der Zug ist bei ihm abgefahren. Wenigstens ist Dr. Müller-Böhnes Auto groß, sein Hauseingang repräsentativ und sein Anzug Markenware. Das sind ja auch Sachen, die andere zu sehen bekommen. Der Rest – scheiß drauf.
Müller-Böhne deutet auch schon seit Monaten zart an, dass er gerne mal was von mir lesen würde. Er will ein Buch von mir geschenkt haben. Ich weiß das. Aber er bekommt keins von mir geschenkt, sorry. Wahrscheinlich leiht er es sich demnächst bei einem gemeinsamen Bekannten aus. Ich kann’s nicht ändern. Er würde nämlich nicht losgehen und sich das nächste Buch kaufen. Weil, für die acht Euro, da kann er sich viertausend Gramm Schweinehack kaufen. Und kriegt noch was raus.
Zoë Beck