Geschrieben am 14. März 2018 von für CrimeMag März 2018, Film/Fernsehen

Christopher Werth über „The Shape of Water” von Guillermo del Toro

Sinfonie in Blaugrün.

Nichts nimmt del Torro so ernst, wie seine Monster. Schon bei Hellboy war ein hochintelligentes und Eier-liebendes Fisch-Mensch-Wesen dabei. Jetzt hat es einen eigenen Film bekommen. Von Christopher Werth.

Das Amphibienwesen: Beißt Finger und Katzenköpfe ab, liebt gekochte Eier und Musicals

Das Amphibienwesen: Beißt Finger und Katzenköpfe ab, liebt gekochte Eier und Musicals

“Könnten Sie mich vielleicht auf ein Kinoticket einladen?” Fragt eine ältere, etwas zu dünn angezogene Dame vor dem Kino in der Berliner Kantstraße. Die einfache Frage können wir nicht anders als mit ja beantworten und kaufen ihr eine Karte für The Shape of Water – den bei der Oscarverleihung 2018  am meisten ausgezeichneten Film. Die nächste Frage: Ist dieser Film es wert, fremde Menschen anzusprechen?

Eingang in andere Welten.

Eingang in andere Welten. (c) Christopher Werth

Eintauchen.

Baltimore im Jahr 1963. Durch die Geschichte führt uns wie in einem dunklen Märchen ein Erzähler: Der für einen Nebenrollen-Oscar nominierte Richard Jenkins spielt Giles, einen älteren Herrn, der aus der Zeit gefallen zu sein scheint. Er wohnt in einem Atelier mit seinen Katzen. Für seine Homosexualität ist die amerikanische Nachkriegszeit-Gesellschaft noch lange nicht bereit – für seinen Beruf des Werbeillustrators ist der Zug dagegen mittlerweile abgefahren, längst bestimmen realistische Fotografien und reduziertes Grafikdesign das Aussehen der Anzeigen. Aber er gibt nicht auf. Er zeichnet weiter für seine alten Auftraggeber, probiert ein Toupet aus und versucht Männer kennen zu lernen. Dabei nimmt er es sogar auf sich, in einem Café jeden Tag giftgrüne Törtchen zu kaufen, die ihm nicht schmecken. Nur um den Verkäufer irgendwann in ein Gespräch verwickeln zu können – und um dann eine erniedrigende Abfuhr zu kassieren. Dieser Mann stellt uns die Hauptfigur von The Shape of Water vor: die Prinzessin ohne Stimme. Eliza Esposito, gespielt von Sally Hawkins. Dazu gleiten wir durch eine mit Wasser durchflutete Wohnung, in der sie schlafend schwebt und vom Wasser träumt. Bis der Wecker klingelt. Dann verwandelt sich die surreale Szene vom Traum in die Wirklichkeit und wir werden Zeuge von Elizas praktischer Alltagsroutine auf dem Weg zur Arbeit. Während die Eier kochen masturbiert sie schnell in der Badewanne. Dann macht sie für sich und ihren Nachbarn Giles Sandwiches und fährt mit dem Bus zur Arbeit. Sie ist Reinigungskraft in einer streng geheimen Forschungseinrichtung, in der das US-Militär forscht, wie man den Russen noch schaden könnte. Natürlich unter strenger Beobachtung russischer Spione. Im Zuge dieser Operationen kommt ein neues Objekt an. Es ist das von Doug Jones gespielte Fischwesen. Eingefangen im Amazonas, von den Eingeborenen verehrt als Gottheit.

Eliza und Zelda sorgen dafür, dass der kalte Krieg sauber geführt wird.

Eliza und Zelda sorgen dafür, dass der kalte Krieg sauber geführt wird.

 

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Geht da was? Die Reinigungkraft und das Monster.

Das Böse.

Mit dem Wesen lernen wir auch den von Michael Shannon gespielten Antagonisten des Films kennen. Mit seinen markanten Gesichtszügen und klassischen Anzügen wird er hier wie ein klassischer Filmstar der 60er inszeniert. Richard Strickland gehen die Forschungen zu langsam. Sein Chef verlangt Resultate. Also versucht er selbst aus dem Wesen etwas herauszubekommen und foltert es. Was er sich davon verspricht, bleibt unklar. Wichtig ist ihm seine Karriere und die dazugehörigen Statusobjekte. Der Cadillac, das Eigenheim im Vorort, die Ehefrau, die brav für die Kinder kocht und während der Missionarsstellung die Klappe hält. Er ist ein Gefangener seiner Zeit. Er will das erfüllen, was man von ihm erwartet. Mit großer Verbissenheit versucht er genau der Mann zu sein, von dem er er denkt, dass es die anderen von ihm erwarten. Er hat keine großen anderen Interessen. Wenn er liest, dann Bücher zum Thema positives Denken.

Richard Strickland (Michael Shannon) will das Monster endlich aufschneiden lassen.

Die reine Liebe.

Während Strickland das Wesen immer weiter quält und rein gar nichts erreicht, schafft es die Putzfrau Eliza, das Herz des Wesens für sich zu gewinnen und eine enge Beziehung zu ihm aufzubauen. Intuitiv versteht sie was ihm gefällt, kommuniziert ohne Sprache, bringt ihm jeden Tag gekochte Eier mit und zeigt ihm Musik und Tanzschritte. Und das ist der Kern des Films, die Beziehung zwischen einem Fabelwesen und einer stummen Außenseiterin. Eine Beziehung, die in sich vollkommen rein ist, die durch keinerlei Missverständnisse getrübt wird, in der es keine Konflikte gibt. Alles dramatische kommt von der bedrohlichen Außenwelt, die diese reine Liebe nicht verstehen kann und nicht zulassen will. Als Sally von Stricklands Plänen erfährt, das Wesen zu töten, um es wenigstens sezieren lassen zu können, wächst sie über sich hinaus. Sie aktiviert ihr Außenseiter-Team: den jüdischen Wissenschaftler, der das Wesen gut pflegt und der eigentlich ein russische Spion ist. Ihre Kollegin, mit der sie jeden Tag ein perfektes Team bildet. Die Stumme und die ununterbrochen plaudernde, energiegeladenen und vieles durchschauende ebenfalls oscarnominierte Olivia Jackson als Zelda. Und natürlich Nachbar Giles, der Erzähler. Gemeinsam treten sie gegen Strickland und das amerikanische Militär an, werfen alles was sie haben und können in die Wagschale, um das Wesen und um die reine Liebe zu retten. Das garantiert Spannung. Die Cold-War-Agentenstory und explizite Brutalität geben der Liebesgeschichte ein kontrastreiches Passepartout. Die Musik von Alexandre Desplat sowie die großartige Ausstattung tragen die Erzählung mit und sind zurecht ebenfalls je mit einem Oscar ausgezeichnet worden.

Kino über die Kraft des Kinos.

Kino über die Kraft des Kinos.

Auftauchen.

Der Film ist eine extreme Erfahrung. Eine emotionale Achterbahnfahrt durch eine multidimensional fließende Traumwelt in Blaugrün. Eine Welt, in der Außenseiter ihren Platz finden, und mächtige Männer Selbsthilfebücher brauchen. Und ja, dafür lohnt es sich, auf der Kantstraße fremde Leute anzusprechen. Ein Ticket für 123 Minuten Eskapismus, ein Kraftwerk der Gefühle, eine Hommage an das Kino an sich. Oder mit den Worten des Regisseurs: “Ich nenne ihn ein Märchen für unruhige Zeiten, weil er als eine Art Salbe gegen die Welt wirkt, in der wir jeden Morgen mit schlechteren Nachrichten aufwachen.“

FOX, USA 2017, 123 Minuten
Deutscher Titel: Shape of Water – Das Flüstern des Wassers
Originaltitel: The Shape of Water
Regie: Guillermo del Toro
Drehbuch: Guillermo del Toro, Vanessa Taylor
Produktion: Guillermo del Toro, J. Miles Dale
Musik: Alexandre Desplat
Kamera: Dan Laustsen
Schnitt: Sidney Wolinsky
Besetzung u.a.: Sally Hawkins: Elisa Esposito, Michael Shannon: Richard Strickland, Richard Jenkins: Giles, Octavia Spencer: Zelda Delilah Fuller; Doug Jones: Amphibienmensch; Michael Stuhlbarg: Dr. Robert Hoffstetler / Spion Dimitri

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