Geschrieben am 31. Dezember 2020 von für Highlights, Highlights 2020

Kolumne Iris Boss (8)

In eigener Sache

In schlappen acht Monaten als Kolumnistin habe ich es geschafft: Ich bekomme Nachrichten von Menschen, die ich nicht kenne. Sogar zwei anonyme E-Mails waren dabei! Leider sind es keine Drohungen, Beschimpfungen oder lukrative finanzielle Angebote unter der Bedingung, dass ich die Schreiberei sein lasse. (Falls sich jemand von Letzterem inspiriert fühlen sollte: Meine Mailadresse ist ziemlich leicht rauszukriegen…) Das wäre ja eine Auszeichnung. Nein, es handelt sich um Lob und Bewunderung. Allerdings irritiert mich das häufigste Lob ehrlich gesagt mehr, als es jede Kritik könnte: Ich, beziehungsweise das, was ich schreibe, sei mutig, steht da – in Facebook- und WhatsApp-Nachrichten und eben auch in Mails, für die sich jemand extra eine Wegwerfadresse zugelegt hat. 

Wenn man genauer hinschaut, ist das vielleicht doch eine Drohung. Jedenfalls löst dieses „Kompliment“ bei mir sofort eine Abwehrreaktion aus. Vielleicht, weil Mut und Angst unmittelbar zusammenhängen und man jemandem, dem man Mut bescheinigt, damit indirekt zu verstehen gibt, dass er eigentlich Angst haben müsste. Und das bedeutet dann wiederum, dass er nicht gerade klug handelt. Also nicht nur eine Drohung, sondern auch noch eine Beschimpfung.

Die nüchterne Definition im Duden bestätigt mich in meinem flauen Gefühl. Mut wird dort folgendermassen definiert: 

1. Fähigkeit, in einer gefährlichen, riskanten Situation seine Angst zu überwinden; Furchtlosigkeit angesichts einer Situation, in der man Angst haben könnte

  1. „großer Mut“
  2. 2. [grundsätzliche] Bereitschaft, angesichts zu erwartender Nachteile etwas zu tun, was man für richtig hält
  3. „politischer Mut“

Nun, ich würde mich gerne wichtig fühlen, mir zumindest ein klitzekleines Fähnchen basteln und „Mut“ drauf schreiben. Aber so gut funktioniert die Selbstreflexion dann eben doch noch: Nichts von dem, was ich in den letzten Monaten geschrieben habe, war mutig. Ich vertrete nun wirklich keine radikalen Ansichten. Im Gegenteil: Mein 16 Jähriges Ich würde sich ob meiner höchst konservativen Positionen (Anstand, Rücksicht, Mässigung, Vernunft und Solidarität) wahrscheinlich angewidert und schwer enttäuscht abwenden.

Angst begleitet mich seitdem ich auf der Welt bin. Sie ist durch meine Entscheidung, mich als Schauspielerin freischaffend auf einen Markt zu werfen, auf dem das Angebot die Nachfrage bei weitem übersteigt, bestimmt nicht kleiner geworden. Und die zusätzlichen Ängste, die durch die Pandemie uns alle betreffen, betreffen selbstverständlich auch mich. Aber wenn das Schreiben überhaupt in irgendeiner Weise mit der Bewältigung dieser Ängste zu tun hat, dann nicht mehr und nicht weniger als es die Beschäftigung mit Laubsägearbeiten hätte. 

Meine anonymen „Fans“ scheinen sich aber mehr auf den zweiten Punkt zu beziehen, also auf „die Bereitschaft, angesichts zu erwartender Nachteile etwas zu tun, was man für richtig hält“. – „Es gibt auch in Ihrer Branche viele Entscheider, die nicht zu links-grün tendieren“, schreibt „Ein Freund, der es gut mit Ihnen meint“. Als ich das las, war mein erster Gedanke, dass ich es nicht für möglich gehalten hätte, dass jemand, der keine Figur in einem C-Movie ist, auf diese Unterschrift kommt. Der zweite, ob ich meine persönliche Definition der AfD (Partei für Alte unterfickte Deppen) vielleicht doch in irgendeinem Text zum besten gegeben habe und der dritte: Mache ich verdammt nochmal einen so verzweifelten Eindruck, als könnte ich darauf angewiesen sein, mit Arschlöchern zu arbeiten? 

Bei näherer Betrachtung irritierte mich dann das „grün“. Seitdem die CDU für sich beansprucht, die „Partei der Mitte“ zu sein, müsste ich mich vielleicht mit vielen meiner Ansichten als linksradikal bezeichnen lassen (auch wenn diese Ansichten, wie schon gesagt, alles andere als radikal, in gewisser Weise vielleicht sogar „christlicher“ sind, als die der Partei, die das zu Unrecht in ihrem Namen trägt). Ich bin in keiner Weise parteipolitisch unterwegs. Aber „grün“? – Die Entscheidung zwischen AfD und den Grünen entspräche für mich in etwa der, zwischen Eitriger Beulenpest und sagen wir mal Genitalherpes – natürlich würde ich mich für Letzteres entscheiden, wenn ich müsste. Aber zum Glück muss ich nicht! Naja, irgendwie beruhigend, dass mich der anonyme Schreiber so wenig kennt.

Im Gegensatz zu den Zombies (gibt es eigentlich Zombies, die sich von ihrem eigenen Gehirn ernähren?), die zur Zeit in kaum zu ertragender Art und Weise Werte und Begriffe ad absurdum führen, sich Dinge auf die Fahne schreiben, für die sie gerade nicht stehen: „Freiheit“, „Gemeinschaft“, „Liebe“, „Skeptiker“, „Revolution“, „selber denken“, „hinterfragen“, ja, auch „Mut“, im Gegensatz zu den Menschen, mit denen uns das Virus laut und deutlich zuruft: „Ihr seid zu viele und irgendwas ist bei Eurer Reproduktion schief gelaufen, degeneriert!“ weiß ich, dass die Meinungsfreiheit nicht in Gefahr ist. Von der Verhöhnung von Holocaust-Opfern über Lynch-Phantasien gegenüber Regierungsangehörigen und Wissenschaftlern – solange man sich an die Abstandsregeln hält, braucht man dafür nicht einmal einen sanften Regenschauer aus Wasserwerfern zu befürchten. Gerade die Walking-Dead-Fraktion ist der beste Beweis dafür, dass man in diesem Land alles, aber auch wirklich alles sagen kann, ohne Sanktionen zu befürchten. 

Was also ist an meinen Texten so gefährlich, dass es Mut kosten könnte, sie zu veröffentlichen? Was ist an dem, was ich schreibe so provokant, dass es mir Nachteile bringen könnte? Ich vermute, dass es nicht darum geht, was ich schreibe, sondern darum, dass ich es überhaupt tue. Dass ich mich als Person zu erkennen gebe, meine bescheidenen (und das meine ich in diesem Fall wörtlich) Gedanken öffentlich mache und dass ich das mit meinem Hauptberuf, als Schauspielerin tue. Das erste, was man in jedem Selbstmarketing-Kurs lernt ist, „No politics“. Ist ja auch logisch: Ich bin, wie schon gesagt, die Ware auf einem Markt, der nicht gerade nach mir schreit. Also wäre es doch dumm, irgendeinen potentiellen Kunden mit irgendwas zu erschrecken, was eventuell nicht ganz seiner Meinung entspricht. Legitim wären also vielleicht Make-Up-Tipps, ein bisschen Fitness und Äusserungen zu Schuhen und Klamotten. Denn (ja, tut mir leid, aber das muss ich so sagen) wahrscheinlich geht es auch darum, dass ich eine Frau mit diesem Beruf bin. Daran hat leider alles #MeToo nichts geändert: Mit Ausnahme der wenigen Sapiophilen und den noch viel selteneren Männern (zumal in meiner Branche) mit einem gesunden Selbstbewusstsein, ist eine Frau, die denkt (egal was) immer noch tendenziell unfick- und damit unbesetzbar. Zumindest ist das so in der Generation, die heute noch die meiste Macht besitzt.

Nun ist mein Realitätssinn auch in diesem Punkt noch soweit intakt, dass ich nicht glaube, irgendwelche wichtigen Entscheider – Produzenten, Redakteure – hätten nichts besseres zu tun, als meine Textchen zu analysieren. Dafür bin ich ganz einfach zu unwichtig. Das so klar und nüchtern zu sehen, erfordert zwar etwas Mut, ist aber letztendlich eher entspannend als schmerzhaft.

Mutig als Schauspielerin wäre es vielleicht, Namen von Männern zu nennen, die im Gegensatz zu mir etwas zu verlieren haben. Männer, die in wichtigen Positionen sitzen, die mich eine „wahnsinnig spannende Schauspielerin und eine faszinierende Frau“ fanden und von denen ich, nachdem ich den Austausch von Körperflüssigkeiten höflich abgelehnt hatte, nie wieder etwas gehört habe. Noch mutiger wäre es, zuzugeben, dass ich in den allermeisten Fällen erst im Nachhinein kapiert habe, dass es dabei um einen Handel gehen sollte, dass ich nicht in erster Linie moralisch-sittliche Entscheidungen getroffen habe, sondern ganz einfach persönliche („Ich habe keine Lust auf diesen Mann und genug Optionen Sex mit Männern zu haben, auf die ich Lust habe, also nein!“), dass ich also nicht mit Sicherheit sagen kann, wie ich auf ein klares Geschäft („Die und die Dienstleistung für die und die Rolle“), das mir in dieser Klarheit nie unterbreitetet wurde, reagiert hätte. Und am allermutigsten auf diesem Feld wäre es schlussendlich zuzugeben, dass diese „Angebote“ seit Jahren rückläufig sind, und dass mir das neben aller Erleichterung manchmal auch ganz schön Angst macht, weil es mir zeigt, dass mein Marktwert trotz stetig wachsender Berufserfahrung mit jeden Lebensjahr sinkt. Das alles wäre mutig. Aber auch ganz schön dumm. 

Tja, und sonst? Was wäre denn politisch eine „mutige“ Aussage? Ich glaube, sagen oder schreiben kann man überhaupt nichts Mutiges. Man könnte es tun. Man könnte sich als freiwillige Helferin in den Flüchtlingslagern melden oder von mir aus auch nur bei der Obdachlosenhilfe in Berlin. Das wahrscheinlich Mutigste, was man in diesem System tun könnte wäre, ganz in der Tradition Bartlebys – nichts. Eben auch nicht schreiben. In letzter Konsequenz die eigene Auslöschung, die totale Verweigerung, nicht nur als Konsument*innen, sondern auch als Produkte, die wir geworden sind. Das wäre (neben der Entscheidung, keine Kinder in die Welt zu setzen) auch die einzig wirklich nachhaltige und ökologische Entscheidung, die wir treffen können. 

Das zu wissen und gleichzeitig Weihnachtsplätzchen zu backen, sich auf einen schönen Waldspaziergang zu freuen und still und heimlich mit sich selbst darauf anzustossen, dass man zu feige ist für die Selbstauslöschung, ist ganz schön schizophren, aber auch irgendwie mutig. 

Ich freue mich schon auf die nächsten Zuschriften – gerne auch mit einer Auflistung all der tollen Jobs, die mir aufgrund meiner öffentlichen Denkerei flöten gegangen sind.

Ein erquickliches neues Jahr wünscht Euch Eure Hobby-Ökonomin und Kolumnistin des Vertrauens,

© Birgitta Weizenegger

Iris Boss 

Unsere Kolumnistin lebt und arbeitet in Berlin. Dort studierte sie Schauspiel und verließ die Universität der Künste mit einem Diplom mit Auszeichnung. 2001 und 2002 wurde sie mit einem Stipendium für Schauspielnachwuchs der Ernst Göhner Stiftung ausgezeichnet. Seitdem ist sie auf allen Feldern des Schauspielerberufs tätig. Neben der Arbeit auf der Bühne ( u.a. Volksbühne Berlin, Junges Theater Göttingen, Konzertdirektion Landgraf), steht sie für Film- und Fernsehproduktionen vor der Kamera, ist in Hörspielen ( u.a. RBB) zu hören, tritt mit Lesungen auf und arbeitet als Moderatorin und Synchronsprecherin. In ihrem Blog „bossbloggt“ schreibt sie über ihre Beobachtungen und Gedanken auf langen Theatertourneen durch die deutschsprachige Provinz und in ihrem Berliner Alltag.

Iris Boss bei CulturMag.

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