Ein kurzes Bekenntnis zu Deightons Agentenfigur
– von Bodo V. Hechelhammer
Wer an Agentenfilme denkt, dem kommen als erstes die James Bond-Verfilmungen in den Sinn. Kein Wunder. Seit 1962 wurden inzwischen 24 Filme sehr erfolgreich produziert, vermarktet und erst vor wenigen Wochen die 25. Folge für 2020 angekündigt. Bonds Schöpfer, der britische Schriftsteller Ian Fleming, hatte den MI6-Agenten mit seinem berühmten Roman Casino Royale bereits 1953 erdacht. Insgesamt schuf der ehemalige Geheimdienstmitarbeiter Fleming bis zu seinem Tod 1964 zwölf Romane und neun Kurzgeschichten über 007. Als alle seine originalen Bond-Geschichten verfilmt oder zumindest Fragmente bzw. Titel fürs Kino übernommen waren, verfassten andere Autoren die Drehbücher oder schrieben weitere Romane zur Figur. James Bond scheint auf ewig weiterleben zu können. Jede Generation kann mit einer eigenen filmischen Bond-Adaption aufwachsen, eine gesellschaftliche Spieglung der jeweiligen Zeit. Ob Sean Connery, Roger Moore oder (noch) aktuell Daniel Craig. Nicht zufällig wurde aktuell darüber spekuliert, ob die Rolle von James Bond nicht auch von einer Frau dargestellt werden könnte. So blieb und bleibt das Fortleben von 007 stets gesichert, und Bonds Bekanntheitsgrad kann weltweit kontinuierlich weiter anwachsen.
Doch im Vergleich mit James Bond steht es um eine andere Figur der klassischen Spionageliteratur und des Agentenkinos eher schlecht. Ihr droht das Vergessen, was ohne Frage ein großer Verlust wäre: Harry Palmer. Palmers literarischer Schöpfer, der 1929 geborene Londoner Len Deighton, verfasste rund 35 Romane, Spionageschichten, Thriller und Sachbücher. Noch vor seiner dreifachen Trilogie um den fiktiven britischen MI6-Agenten Bernard Samson erdachte er den etwas anderen britischen Agenten Harry Palmer, was heute viele vergessen haben. In den 60er Jahren, nach erfolgreicher Produktion der ersten vier 007-Filme und parallel zum unaufhaltsamen Aufstieg des Bond-Mythos, wurden drei Romane über Harry Palmer mit Michael Caine in der Hauptrolle verfilmt: Ipcress – streng geheim (1965), Finale in Berlin (1966) und Das Milliarden-Dollar-Gehirn (1967). Deighton veröffentlichte seinen ersten Harry-Palmer-Roman, als Bond gerade im Kino Dr. No jagte.
Harry Palmer war somit zeitgleich ein britischer Geheimdienstkollege von James Bond. Wie schon bei James Bond wurden auch die Filme über Harry Palmer von Harry Saltzman produziert, der sich für beide britischen Agenten die Filmrechte gesichert hatte. Der großartige Michael Caine verkörperte in den drei Kinofilmen diesen britischen Geheimagenten , der sich vom Bond-Typus doch so wesentlich und wohltuend unterschied. Palmer war und ist ein Anti-Bond. Harry Palmer agierte realistischer, trug eine Brille, ging Einkaufen und litt unter der Bürokratie des Dienstes. Noch einmal wurden 30 Jahre später zwei weitere Palmer-Filme produziert, allerdings fürs britische Fernsehen: Bullet for Beijing (1995) und Midnight in Saint Petersburg (1996). Wieder spielte Michael Caine die Hauptrolle des inzwischen ebenfalls mitgealterten britischen Agenten.
James Bond wurde über die Jahrzehnte von verschiedenen Schauspielern verkörpert, wodurch sich diese cineastische Ikone des britischen Auslandsgeheimdienstes stets verjüngen und die Serie endlos fortgesetzt werden konnte. Doch Harry Palmer blieb immer mit dem inzwischen 85-jährigen Michael Caine verbunden. Im Schatten des erfolgreichen MI6-Kollegen Bond befindet sich Palmer inzwischen schon längst im Ruhestand. Während John LeCarré in seinem »Vermächtnis der Spione« seine charakterlich so faszinierende Agentenfigur George Smiley wenigstens auch noch hochbetagt für wenige Seiten aus dem Ruhestand aktivierte, bleibt Harry Palmer nach wie vor verschollen. Es gibt weder neue Verfilmungen, noch nicht einmal sichtbar Wiederholungen der alten Folgen im Fernsehen. Alte Kauf-DVDs sind wegen ihrer Seltenheit inzwischen eher Sammelstücke, und selbst die bekannten Streaming Dienste meiden offenbar diesen grandiosen Agentenstoff. Ich finde das traurig.
Wo steckt eigentlich Harry Palmer?
Bodo V. Hechelhammer ist Chefhistoriker des BND – mit einem kundigen Faible für die populärkulturellen Spiegelungen der Agenten- und Geheimdienstwelt. Seine Texte bei CrimeMag hier. „Geheimdienst ist besonders spannend unter kulturhistorischer Sicht“, Ein Interview von Alf Mayer über das Buch Doppelagent Heinz Felfe entdeckt Amerika. Der BND, die CIA und eine geheime Reise im Jahr 1956 hier.
Harry Palmers Twitter-Account. Viele Filmset-Aufnahmen, auch aus Berlin, hier. Das Deightondossier.