Ein Verlagsporträt von Senta Wagner.
Wo bin ich an diesem Ort, ich will zu Folio. Zu lesen ist Filmquartier Wien, es geht vorbei an zahlreichen Requisiten, nach rechts, die Stiege rauf, dort ist er, der Verlag. Loftcharakter, Geruch von Büchern, schön.
Jubiläen wollen gefeiert werden, jedes aber auf seine Weise. Die Feierlichkeiten zum 15-jährigen Bestehen des Folio Verlags waren noch groß und erschöpfend, fünf Jahre später wird im Stillen gejubelt. An das Zehnjährige gibt es keine Erinnerung. Grund genug einen Rückblick auf die runde Geschichte des Buchhauses zu werfen.
Nicht nur das Pferd der Rasse Haflinger hat seinen Ursprung in Südtirol, auch der Folio Verlag. Damals wie heute hat er seinen Sitz in Bozen und Wien, mit aktuell neun Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Seiner Gründung war die gemeinsame Arbeit an einem Buchprojekt vorangegangen der beiden noch heute amtierenden Verleger Ludwig Paulmichl und Hermann Gummerer. Es schöpften dabei ein Philosoph (Paulmichl) und ein Germanist (Gummerer) aus ihrer gesammelten beruflichen Erfahrung, in der es immer schon um Bücher und ums Büchermachen ging. Paulmichl war Programmlektor des Europa Verlags in Wien, einem in der Kriegs- und Nachkriegszeit bedeutenden Verlagshaus, Gummerer war Mitarbeiter im Verein der Bücherwürmer Lana, dem ungebrochen pulsierenden Südtiroler literarischen Zentrum seit 1980. Dann stellte sich das Duo die Frage, was nun? Zwanzig Jahre später heißt die Antwort: 650 Titel aus den Bereichen Literatur, Sachbuch/Reise und Kunst, davon ca. 400 lieferbare.
Der Weg vom Haflinger zum Verlag
1992 wurde eine Herstellerfirma in Südtirol gegründet, zeitgleich in Wien, wo Paulmichl in einem Wohnzimmer firmierte. Man nannte sich Folio, das hat was mit Buch- und Papierformaten und Schrift zu tun und wurde hüben wie drüben verstanden. Folio übernahm Auftragsarbeiten rund ums Buch für Institutionen, Feuerwehrvereine, Blasmusikkapellen, und produzierte „Dorfbücher“. Neben einer schönen und qualitätsvollen Buchgestaltung konnte man mit dem ersten professionellen Lektorat weit und breit punkten. Es lief, Südtirol war ein unbeackertes Land, es gab viele Autorinnen und Autoren, Ideen, einen Markt und einen Bedarf ebenfalls. So hält man bis heute an den Regionalia fest (siehe unten). Für mehr Erfolg brauchte es aber einen Vertrieb.
Zurück zum Haflinger vom Anfang. Die Publikation über die Pferderasse (Der Original-Haflinger und sein Ursprungszuchtgebiet Südtirol) war der Anstoß für einen flächendeckenden Vertrieb über die Grenzen hinaus, nach Deutschland, die Schweiz und Österreich hinein – und damit die Gründung des Literatur- und Kulturverlags Folio im Jahr 1994. Bereits für dieses Projekt holte man sich den Grafiker Arnold Mario Dall’O ins Boot, mit dem man heute noch zusammenarbeitet. Das Design ist über die Jahre gereift, es ist bildreicher und mutiger geworden und weithin wiedererkennbar. Das Logo blieb.
So werden die ersten Schritte bei Folio getan, ohne Geld zunächst, programmatische Überlegungen angestellt und auf den deutschen Markt geschielt. Es war klar, mit ein, zwei Büchern falle man nicht auf. Auch habe man am Anfang viel zu viel gedruckt, in der Lyrik 2000er Auflagen, die liegen noch im Keller, gesteht Paulmichl. Schon frühzeitig habe man sich um die Aufnahme in die Arge (der österreichischen Privatverlage) bemüht und die private Nähe zu den Indies, ein Label, das erst seit etwa zehn Jahren en vogue ist, gesucht.
Damals wehte noch kein raues Lüftchen durch die traditionelle Buchbranche, heute müsse man sehen, dass man am Buchhandel dranbleibe. Auch das Zeitungsfeuilleton sei für die Rezeption nicht mehr das Maß aller Dinge. Zunehmend müsse auf ein mediales Überangebot reagiert werden. Lobende Worte gehen in dem Moment in Richtung der Pressearbeit des Verlags. Unüberhörbar dennoch die leisen Klagen eines Verlegers in Krisenzeiten und über mangelnden Schlaf.
Einen Namen machen – das Programm
Zu den wichtigen Werken der Anfangszeit sind Erstausgaben zu zählen wie von David Hume Pinsent (Reise mit Wittgenstein in den Norden, 1994) und Norman Lewis’ Neapel’44 in der deutschen Übersetzung von Peter Waterhouse. Auch mit Werken von Pier Paolo Pasolini (Kleines Meerstück und Romàns, 1996) und John Steinbeck bekam der Verlag überregionale Aufmerksamkeit. Hier kamen die Netzwerke des Lyrikers und Essayisten Peter Waterhouse und von Ludwig Paulmichl ins Spiel. Beachtung fand ebenfalls die Herausgabe des Werkes des bedeutenden Lyrikers Michael Hamburger. Die acht Bände, größtenteils in der Übersetzung von Peter Waterhouse, nehmen heute einen herausragenden Platz im Lyrikprogramm von Folio ein. Genauso stattlich ist das seit 2001 anwachsende Editionsvorhaben (Planet Beltà) der auf neun Bände angelegten Werkausgabe (gemeinsam mit Urs Engeler Editor) des 2001 verstorbenen italienischen Dichters Andrea Zanzotto. Vier sind bisher erschienen (übersetzt von Waterhouse und Paulmichl), als staunenswertes und rätselhaftes „Kleines Buch außer der Reihe“ wurde 2014 Dorfspiel veröffentlicht. Mit der ladinischen Lyrikerin (und Bäuerin) Roberta Dapunt vertritt Folio eine jüngere und eigenwillige Position in der Lyrik.
Im Bereich der Belletristik pflegt der Verlag seine anspruchsvolle Reihe Transfer Bibliothek. Der Name deutet bereits auf Öffnung und Vermittlung hin, ein „Hinüberbringen“ von und die kontinuierliche Auseinandersetzung mit Literaturen aus verschiedenen Kultur- und Sprachräumen. Im Leitbild spricht man sich „gegen nationalistische Verengung und Ausgrenzung“ aus. In der Reihe finden sich Übersetzungen aus dem Italienischen (z. B. Vincenzo Consolo und Piersandro Pallavicini mit Ausfahrt Nizza von 2014), aus dem Englischen und Russischen.
Ein wachsendes öffentliches Interesse an Dichtung aus dem ost- und südosteuropäischen Raum war mit den Jugoslawienkriegen zu beobachten. Viele Werke sind als künstlerische Aufarbeitungen des Konflikts zu verstehen. Als Vermittler traten hier auf der Durieux Verlag und der dem Verlag freundschaftlich verbundene Übersetzer Klaus Detlef Olof, der für zahlreiche Übersetzungen seiner Kollegen verantwortlich ist. Einige der Autoren haben sich zu echten Folio-Hausautoren entwickelt – zu ihnen gehören Drago Jančar aus Slowenien, der kroatisch-serbische Dichter Bora Ćosić, der Kroate Zoran Ferić, dessen jüngster und dicker Roman Das Alter kam am 23. Mai gegen 11 Uhr (2012) eine sensationelle Auflage brachte und ein großes Medieninteresse hervorrief. Man könnte sagen, ein Bestseller. Erwähnenswert sind an dieser Stelle auch seine makabren Erzählungen Walt Disneys Mausefalle (1999). Miljenko Jergović weint man etwas nach, mit ihm begann überhaupt der ganze Schwenk nach Südosten; der Autor wurde mit seinem Roman Sarajevo Marlboro (1996) auf einen Schlag berühmt und galt als wichtiger intellektueller Kommentator des Krieges. Auch wenn viele Themen ernst sind, der Verlag schätzt besonders den Witz, das „Gefinkelte“ manch seiner Autoren. Schließlich bringt man sie mit diesem Merkmal auch am besten unter die Leserschaft.
Zu den Dichterstimmen aus Südtirol zählen Anita Pichler, Luis Stefan Stecher und Maria E. Brunner, das weitere Repertoire deutschsprachiger Schreibweisen reicht von Herbert Rosendorfer über Martin Kubaczek bis hin zu Newcomern wie Jörn Birkholz, Maxi Obexer und Wolfgang Popp. Als Testbereich lasse man E-Books mitlaufen, so sind ca. vierzig Titel aus der Belletristik und bei den Reiseführern erhältlich.
Folio und die Kriminalliteratur ist eine Erfolgsgeschichte. Mit Eva Rossmann, der Vorzeigekrimiautorin Österreichs, kann man auch auf dem deutschen Markt landen. Hier ist die professionelle Produktion von jährlich einem neuen (regionalen) Krimi rund um ihre Heldin Mira Valensky zu beobachten. Rossmann ist eine angesehene Autorin der ersten Stunde und dem Verlag seitdem treu verbunden, damals veröffentlichte sie noch Sachbücher zu Frauenthemen und Feminismus. Seit 2010 wird sie nun von Krimischwergewichten aus Italien flankiert, wie Giancarlo De Cataldo und Carlo Lucarelli. Der Verlag beweist ein Gespür ebenso für packende und abgründige wie hochbrisante Stoffe.
Nur mehr schwache Aktivitäten gibt es im Kunstbuch (zeitgenössische Kunst, Fotografie, Architektur) zu vermelden, hier lohnten sich vor allem die Kataloge für Museen. Generell sei es schwierig in dieser Sparte, sie erweitere höchstens die Optik des Verlagsprogramms.
Der geografische Spagat Bozen/Wien spiegelt sich bis heute im Produktangebot. Folios Regionalia waren und sind nicht nur eine „wichtige Säule“ des Verlags, sondern immer auch ein Statement politischer Kulturarbeit besonders hinsichtlich österreichisch-südtirolerischer Themen. Autoren der ersten Stunde sind hier Claus Gatterer (Unter seinem Galgen stand Österreich, 1997) und die Ethnologen Eric Wolf und John Cole (Die unsichtbare Grenze. Ethnizität und Ökologie in einem Alpental, Erstübersetzung 1995). Ins Reiseführersegment geriet man mit den Südtiroler Erkundungsbüchern von Oswald Stimpfl, der auch im zwanzigsten Frühjahr wieder mit zwei Titeln aus seiner Seh- und Gaumenschule vertreten ist, und entwickelte daraus die beliebte Reihe Reise und Wissen. Folio steht hier synonym für „Südtirols schönste Seiten“, erhältlich auf jeder Alm. Kochen lernen auf südtirolerisch kann mit Folios delikaten Bildkochbüchern.
Als besonders erfolgreich erwiesen hat sich in jüngster Zeit das augenzwinkernde Reihenkonzept „Total-alles-über“. Mit den bisher erschienenen Infografikbüchern für das gehobene Detail- und unnütze Wissen ist man mit Südtirol, Österreich und Bayern gerade erst am Anfang der Landkarte. Die Reihe wird fortgesetzt.
Ein Südtiroler Held fehlt noch (beinahe hätte mein Gegenüber ihn unterschlagen) – die Rede ist von Ötzi, dem Mann aus dem Eis. Folio ist quasi der populärwissenschaftliche Verlag, dessen kompakte Publikationen rund um die Mumie eigens im Shop des Bozener Archäologiemuseums (seit 1998 das Ötzi-Museum) in mehreren Sprachen verkauft werden. Die Verkaufszahlen sind schwindelerregend hoch wie die Alpen.
Wir wünschen dem Verlag und seinen Büchern weiterhin viele Leserinnen und Leser und den Verlegern ausreichend Schlaf.
Herzlichen Glückwunsch!
Senta Wagner
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