Agatha und ich
Es gibt unterschiedliche Angaben über die Gesamtauflage von Agatha Christie, aber irgendeine schwer auf einem Haufen vorstellbare Büchermenge zwischen zwei und vier Milliarden wird es wohl sein. Die Bibel wurde öfter ausgeliefert, ansonsten kann mit ihr wohl nur Shakespeare konkurrieren. Übersetzt wurden ihre Werke in wenigstens 103 Sprachen. Ms. Christie, 1890 in Torquay, Grafschaft Devon geboren, erfand zwei der bekanntesten Detektive der Literaturgeschichte: Miss Marple und Hercule Poirot. Und anders als bei vielen literarischen Detektiven – sagen wir mal zum Beispiel Sherlock Holmes, oder in Deutschland die Fernsehquotenbringer Wilsberg und Bella Block – kennen die Menschen die Schöpferin beim Namen. Nicht einmal der Erfinder von James Bond geht den Leuten so leicht von der Zunge.
Der Mythos Agatha Christie hat sich längst verselbstständigt. In Deutschland liebt man die alles andere als werkgetreuen Verfilmungen mit Margaret Rutherford als Miss Marple und Peter Ustinov als Hercule Poirot. Christie mochte keinen dieser Filme, aber mal ehrlich, als Zuschauerin ist einem das ziemlich egal. Die Filme zeigen einen rätselhaften Mord, einen Haufen Verdächtige, eine Figur, die das Ganze unterhaltsam aufzuklären sucht, einen Täter, mit dem man ja so überhaupt gar nicht gerechnet hätte, und fertig ist der Christie. Christie steht allgemein für den Rätselspaß beim Krimi, und damit ist schon das Wichtigste in der Rezeptionsgeschichte gesagt. Rätseln. Und Spaß.
Fröhlicher Rätselspaß
Natürlich braucht eine gute Geschichte ein Geheimnis, und natürlich ist Spaß im Sinne von Entertainment ein Faktor, der den Erfolg eines Buchs wesentlich mitbestimmt. Agatha Christie hat es aber geschafft, die Kriminalliteratur über Jahrzehnte in ihrem Ansehen zu schädigen und Generationen von Kriminalautorinnen dauerhaft unglücklich zu machen. Immer noch gibt es genügend Menschen, die zwar alles Mögliche lesen, aber wegen der Christie-Formel einen Krimi niemals anfassen würden und sich deshalb auch gar nicht mit dem Genre auseinandersetzen. Krimi = Christie. Daher wird man gern belächelt, outet man sich als Autorin von Kriminalromanen. Als Frau hört man mit hoher Wahrscheinlichkeit die gekicherte Frage: „Dann sind Sie also die neue Agatha Christie?“ Und natürlich interessiert es nicht wirklich, welche Art Kriminalliteratur man verfasst, das zeigt die Anschlussfrage: „Und wissen Sie schon, wenn Sie mit dem Schreiben loslegen, wer’s war?“ Hört sich nach einer harmlosen Frage an, zeigt aber, dass die Fragenden so ziemlich alle Subgenres ausblenden und an Christie-artiges Figurenschach denken: Eine Leiche, zehn Verdächtige, und so ab Seite 200 entscheidet sich die Verfasserin bei einem Stück Schokolade für die unwahrscheinlichste Variante. Ausnahmen bestätigen die Regel. Christie wusste in der Tat oft nicht, welcher ihrer Figuren sie den Mord anhängen sollte, und bedachte erst einmal alle großzügig mit diversen Motiven. Der Kriminalfall beschränkt sich für die Leserin also auf fröhliches Rumraten. Schlagwörter wie „psychologische Tiefe“ sind hier ganz falsch.
Christies Werk ist absolut humorfrei, mal abgesehen von der unfreiwilligen Komik, die die heutige Rezeption mit sich bringen mag. Natürlich drängt sich die Frage auf, ob man sie heute unter literarischen Aspekten noch ernst nehmen kann. Oder damals schon konnte. Stilistisch zum Beispiel kann man sie sich nicht zum Vorbild nehmen. Christie pflastert ihre Texte mit groben Adjektiven zu und verläuft sich in Redundanzen. Die Dialoge sind häufig nur funktional. Über die Figurenzeichnung muss man auch nicht viel sagen, da reicht das Stichwort „Stereotype“. Sie stereotypisierte gern Ausländer (vollbärtig, dunkel, böse), von Juden und „Zigeunern“ ganz zu schweigen. Die waren dann zwar nicht die Täter, aber allein schon durch ihre bloße Existenz höchst verdächtig und als falsche Fährte ausgesprochen hilfreich. Für ihre Landsleute hatte sie zwar ein paar Schubladen mehr zur Verfügung, aber von einer allzu großen Bandbreite kann man kaum sprechen. Der Moralkatalog war dabei stets sehr klar: Ehebrecher waren grundböse Menschen, Hausmädchen, die schon mal was geklaut hatten, der Verdammnis nahe, und so weiter. Hinzu kommt außerdem eine schier unglaubliche Verharmlosung des Mordens, was sich angesichts der beiden Weltkriege, die Christie erlebte und in denen das Massentöten systematisiert und industrialisiert wurde, nur dadurch erklären lasst, dass Christie deutlich auf Eskapismus setzte. Und dann ist da der Plot. Die Formel, eigentlich. Christie hält sich streng daran, ohne vom Pfad der Formeltugend nennenswert abzuweichen. Die viel gepriesenen Regelverletzungen – in „Alibi“ (The Murder of Roger Ackroyd) ist etwa der Erzähler der Mörder – sind nette Varianten, aber keine Erweiterung des Genres. Nein, da war sie, um es liebevoll zu formulieren, Puristin.
Staubig schon zu Lebzeiten
Schon zu Christies erster Blütezeit in den zwanziger Jahren war das Spektrum des Genres Kriminalliteratur deutlich breiter, als es heute gemeinhin angenommen wird. Dorothy L. Sayers war zwar wie Christie Mitglied im Detection Club, der es sich auf die Fahne geschrieben hatte, den klassischen Kriminalroman mit einem übersichtlichen Regelkatalog sauber und fair zu halten, damit die Lesenden schön mitraten können. Dieser Katalog besteht aus zehn Geboten, die schon damals einer gewissen Komik nicht entbehrten. Aber Sayers‘ Romane gingen in ihren Milieuschilderungen und Charakter-studien dann doch weit über Christies ewige Variationen von großen Landhäusern, schönen jungen Frauen, reichen alten Männern, kriegsversehrten Generälen, verstörten Dienstmädchen und allwissenden Haushälterinnen hinaus. Man mag kaum glauben, dass die beiden Frauen fast gleich alt waren. Die Amerikaner Dashiell Hammett (Der Malteser Falke, 1930) und Raymond Chandler (der Erfinder des insbesondere von Humphrey Bogart verkörperten Privatdetektivs Philip Marlow) waren ebenso Christies Zeitgenossen wie der Schotte John Buchan (Hitchcock verfilmte 1935 seinen Spionageroman „39 Stufen“ aus dem Jahr 1915), der Schweizer Friedrich Glauser und natürlich Georges Simenon, Schöpfer von Maigret. Qualitativ wird Christie von zahlreichen zeitgenössischen Kriminalliteraten übertroffen, und auch bezüglich der literarischen Bedeutung für das Genre, der Entwicklung einzelner Subgenres ist Christie weit abgeschlagen. Trotzdem gibt es niemanden, der je so viele Krimis verkauft hat. Und ihr Output ist ebenfalls bemerkenswert: über 60 Romane als Agatha Christie, dazu noch sechs Nichtkrimis unter dem Pseudonym Mary Westmacott, 17 Theaterstücke, gute 160 Kurzgeschichten, einige Hörspiele, Autobiografisches und, und, und. Diese Frau hat offenbar rund um die Uhr geschrieben, in jeder Lebenslage. Aus den alltäglichsten Dingen zog sie Ideen für Figuren Szenen, ja ganze Plots.
Nichts davon erklärt den Erfolg ihrer Bücher. Nicht innovativ, kein besonderer Stil, hölzerne Charaktere – ist das etwa das Geheimrezept? Die soapartige Berieselung? Eine Welt, in der man sich schnell zurechtfindet, Figuren, über die man sich innerhalb von Sekunden anhand ihrer äußeren Erscheinung eine feste Meinung gebildet hat, Handlungen, denen man im Halbschlaf folgen kann, am Ende dann eine große Überraschung, die garantiert, dass man nächste Woche wieder einschaltet – sorry: das nächste Buch kauft? Ehrlich, wenn ich wüsste, warum sie so erfolgreich war, ich würde es nicht für mich behalten.
Agatha Christie verfolgt mich schon mein ganzes Leben. Nicht dass ich mich besonders um die Dame gerissen hätte, aber sie war eben unvermeidlich. Meine krimilesende Mutter muss mich angesteckt haben, als ich noch winzig klein war. Jedenfalls holte ich mir zur großen Irritation der Bibliothekarin in einem verregneten Urlaub jeden Tag einen neuen Christie-Roman in der örtlichen Leihbücherei, da muss ich zehn gewesen sein. Zwei Jahre später regnete es wieder einen Urlaub lang durch, aber da kannte ich schon alle und musste auf Dorothy L. Sayers, Ngaio Marsh, Ruth Rendell und Patricia Highsmith umsteigen. Mit vierzehn wohnte ich eine Weile gar nicht so weit von Agatha Christies Grab entfernt. Ja, doch, den Bewohnern von Cholsey war das sehr wichtig, wie den Engländern Gräber und Friedhöfe überhaupt sehr wichtig sind. Man konnte nicht mal in die Nähe von Cholsey gelangen, ohne erklärt zu bekommen: „Agatha Christie liegt übrigens bei uns begraben.“ Als sich in der Schule herumgesprochen hatte, dass ich gern Krimis las, bekam ich zum Geburtstag die erstaunlichsten Christie-Sammelbände, Christie-Neuauflagen, Christie-Sonderausgaben geschenkt, ausschließlich natürlich von Leuten, die selbst keine Krimis lasen. Im Studium schließlich geriet ich an einen Professor, der Seminare über Crime Fiction gab und duldete, dass ich meine Abschlussarbeit und meine nie vollendete Doktorarbeit über britische Krimiautorinnen schrieb. Christie again, und wenn es nur in der Einleitung war. Mein Uni-Präsident im nordenglischen Durham war übrigens Poirot-Darsteller Sir Peter Ustinov. Da fragt man sich schon irgendwann, welche Relevanz Agatha Christie für einen selbst hat. Abgesehen davon, dass sie die Lichtgestalt des Genres ist, in dem man sich bewegt. Wer also war diese Frau eigentlich?
An English Mystery
Laura Thompson hat sich vor einigen Jahren Agatha Christies Leben vorgenommen und das Ganze mit „An English Mystery“ (2008) untertitelt. In der von Tatjana Kruse wirklich gut übersetzten deutschen Ausgabe machte der S. Fischer-Verlag daraus „Das faszinierende Leben der großen Kriminalschriftstellerin“. Beide Untertitel sind irreführend, denn Thompson schafft es nicht einmal annähernd, Christie Leben faszinierend darzustellen, und die Art und Weise, wie sie ihr Objekt mit Lob überschüttet und in den Himmel hebt, macht sehr schnell sehr misstrauisch, dass da mehr Genialität und Faszination behauptet werden, als die Tatsachen hergeben mögen. Das English Mystery der Originalausgabe glaubt Thompson im Übrigen restlos gelöst zu haben. Sie widmet sich nämlich in einem Kapitel ausführlich dem elftägigen Verschwinden Christies im Jahre 1926: Ihr Mann Archie wollte sich gerade scheiden lassen, um seine Geliebte heiraten zu können. Christie verschwand daraufhin. Ließ ihre Tochter im Haus zurück. Ließ ihren Wagen mitten in der Pampa an einem Abhang stehen. Und ließ es sich über eine Woche lang in einem Hotel in Harrogate gut gehen, sang, tanzte und flirtete. Sie mietete sich übrigens unter dem Namen der Geliebten ihres Ehemanns ein – als Ms. Neele – und gab schließlich eine Anzeige auf, die Verwandten von Ms. Neele sollten sich doch bitte im Hotel melden. Thompson sieht darin einen Hilferuf, einen Hinweis, den sie eigens für ihren Ehemann streute, damit dieser, natürlich mit schlechtem Gewissen, nach Harrogate kam, sie in die Arme schloss und nach Hause holte. Jeden Tag konnte die verzweifelte Frau in den Zeitungen nachlesen, wie halb England nach ihr suchte – nett übrigens der Hinweis, dass sogar Dorothy L. Sayers zum Suchtrupp der Freiwilligen gehörte. Man durchkämmte ganze Landstriche, suchte in Gewässern, verdächtigte bald schon ihren Ehemann, sie ermordet und den Leichnam versteckt zu haben. Offenbar im Wahn der enttäuschten Liebe inszenierte Christie ihren eigenen Kriminalfall, zum Glück ohne Leiche, aber am Ende nicht ohne Spott. Noch Jahrzehnte später sollte ihre Familie behaupten, ihr Verschwinden ginge mit einem kompletten Gedächtnisverlust einher, eine Version, die irrigerweise in der deutschsprachigen Wikipedia als Tatsache angeführt ist. Die Biografin also löst alles minutiös auf – wo da noch das English Mystery sein soll, ist das eigentliche Rätsel.
Thompson macht übrigens in weiten Teile das, was sie anderen Biografen, über die herzuziehen sie nicht müde wird, vorwirft: Sie spekuliert über Motivation und Gefühlslage sämtlicher Personen, und sie interpretiert Fakten, wie es ihr passend erscheint. Auch wenn die Erklärung für Christies Verschwinden psychologisch schlüssig sein mag – Thompsons Argumentation ist haarsträubend. Sie zieht in weiten Teilen Textstellen aus Christies Romanen als Beweis für diese oder jene Gemütslage heran und schreibt schließlich selbst in einem Tonfall, der von der Queen of Crime höchstpersönlich hätte stammen können. Eine meiner Lieblingsstellen ist die, in der Thompson sich gegen die Theorien verwehrt, Christies Verschwinden sei geplant gewesen, und sie habe ihren Wagen absichtlich an dem Abhang stehen lassen und sei zu Fuß in der Nacht zum einige Meilen entfernten Bahnhof gegangen:
„Es gibt noch mehr Gegenargumente, die den Vorwurf, Agatha habe alles geplant, völlig bedeutungslos machen. Newslands Corner ist in einer Dezembernacht ein furchtein-flößender Ort. Dort allein zu sein, in der Stille, unter dem schwarzen Winterhimmel in der endlosen Weite, erfordert Mut. Keine Frau mit einer so lebhaften Phantasie würde das aus Rachsucht, Bösartigkeit oder anderen kleinlichen Motiven tun. Der Ort an sich macht diese Vorstellung zunichte.“
Die Biografie ist stilistisch so schwer erträglich wie ein schlechter Arztroman und inhaltlich mindestens ebenso ärgerlich. Ihr Bild von Agatha Christie soll das einer genialen, tiefsinnigen, hochintelligenten und leider von der Kritik skandalös unterschätzten Meistererzählerin sein. Die auch in anderen Quellen gepriesene Modernität von Christies Lebensstil wird behauptet, gezeigt aber wird eine Frau, die von der Zuneigung ihres jeweiligen Ehemanns so abhängig ist, dass sie bereit ist, sogar ihre eigene Tochter zu vernachlässigen. Was auch immer Thompson im Sinn hatte – es bleibt der Eindruck einer verzweifelten, frustrierten, bindungsgestörten Frau, die vor allem aus finanzieller Notwendigkeit geschrieben hat.
Ob Christie einzig für ihr Konto oder doch größtenteils aus Leidenschaft eine Geschichte nach der anderen produzierte – wie wichtig ist das? Christie-Fans, die den Mythos nicht angekratzt sehen wollen, brauchen die Versicherung, dass die große Dame nichts anderes im Sinn hatte, als ihre treue Anhängerschaft zu erfreuen.
Handwerk und Disziplin
Mit Sicherheit hatte Christie ihre Leser im Blick, wann immer sie ein neues Buch anfing, und mit Sicherheit wollte sie diese auch erfreuen. Irgendwie müssen sich Bücher ja verkaufen, erfreute Leser sind diesem Umstand sehr dienlich, und immer wieder landen wir beim Geld. Schreiben um des Schreibens willen, über diese Frage musste Christie bestenfalls als junge Frau kurz nachdenken, während sie ihren ersten Roman für die Schublade schrieb. „Das fehlende Glied in der Kette“ (1929; in den USA bereits 1920) wurde nach einigen Änderungen im Manuskriptstadium ein erfolgreiches Debüt, und schon war eine gut verdienende Krimiautorin geboren. Christie hatte ziemlich sicher von Anfang an vor, mit dem Schreiben Geld zu verdienen und populär zu werden.
Ist das verwerflich? Überhaupt nicht. Bei aller Kritik an ihrem Werk muss man Christie eins zugestehen: Diese Frau zeigt, was Handwerk beim Schreiben heißt. Wenn es etwas gibt, das man sich von ihr abschauen kann, dann, dass Schreiben tatsächlich Arbeit ist, und zwar ab dem Moment der Ideenfindung. Sie machte sich unermüdlich Notizen, die sie immer wieder durchsah und auswertete. Schrieb Ideen auf, machte Listen für Figuren, Motive, Mordarten, Schauplätze. Konsultierte alte Notizbücher, um aus ihrem Fundus zu schöpfen. Versuchte, bei aller Schemenhaftigkeit ihrer Bücher, sich nicht zu wiederholen. Variieren ja, aber nicht wiederholen. Sie experimentierte mit Perspektiven: Mal sind es Ich-Erzähler, mal ist die Erzählsituation personal, mal auktorial. In „Das unvollendete Bildnis“ (1957; in den USA 1942) zum Beispiel arbeitet sie mit Briefen und Gesprächs-protokollen der fünf infrage kommenden Verdächtigen. Die Biografin Thompson möchte darin dringend einen Geniestreich sehen. Ich kann mir allerdings vorstellen, dass Christie schlicht etwas für sich ausprobierte. Bei so viel Output wird einem schnell langweilig, wenn man formal immer wieder dasselbe tut. Folgerichtig erarbeitet man sich dann auch mal was anderes. Ist das schon genial? Hat sie etwa eine nie da gewesene Erzählhaltung eingeführt? Nein. Sie hat rumgespielt. Das gehört dazu.
Christie ist darüber hinaus ein gutes Vorbild, was Disziplin angeht. Poirot, heißt es (außer bei Ms. Thompson), ging ihr nach einer besonders schaffensreichen Phase furchtbar auf die Nerven. Sie pausierte von ihm, gewann Abstand, ohne ihn gänzlich aus den Augen zu verlieren, brachte ihn aber nicht etwa um, wie es Sir Arthur Conan Doyle mit Sherlock Holmes machte, nur um ihn dann wieder auferstehen zu lassen. Sie blieb eisern an Poirot dran, weil ihr Publikum ihn mochte – und weil er ihr Geld brachte. Christie übte einen handwerklichen Beruf aus, der sie und ihre Familie sehr gut ernährte, Probleme mit den Steuerbehörden hin oder her. Sie produzierte, wonach die Kundschaft verlangte, und ihre Produkte werfen immer noch große Summen ab. Es gibt Neuverfilmungen, Graphic Novels, Videospiele. Immer wieder werden die bekanntesten Romane neu übersetzt, was die Geschichten durchaus sprachlich aufpoliert. Christie ist 40 Jahre nach ihrem Tod immer noch eine zuverlässige Gelddruckmaschine in mehr als nur einem Unterhaltungs-medium. Nach wie vor also unvermeidlich.
Queen Agathas Schatten ist so lang, wie er eben ist bei irgendwas zwischen zwei und vier Milliarden verkaufter Bücher. Agatha ist das Synonym für den Kriminalroman, und wir, die wir Kriminalliteratur egal in welchem Subgenre schreiben, werden noch lange fluchen und schimpfen und vor Neid auf die unfassbare Auflagenhöhe der perlenbeketteten, weißhaarigen Frau platzen.
Dies ist die gekürzte Fassung des in CrimeMag vom 4. Oktober 2015 erschienenen Beitrags.
Zoë Beck, Autorin, Übersetzerin und Verlegerin (CulturBooks Verlag), lebt in Berlin.