Geschrieben am 7. September 2011 von für Litmag

Albrecht Selge: Wach

Fein geschliffene Wahrnehmungsprosa

– In seinem gelungenen Debütroman „Wach“ schickt Albrecht Selge seinen Protagonisten August Kreutzer als postmodernen Flaneur und Heimatlosen durch die Quartiere und vielgestaltigen Zeichensysteme Berlins. Von Karsten Herrmann

August Kreutzer will nur eines: „Er will wach sein, schauen, nachdenken: rumgehen“. Tag und Nacht erkundet der von Schlaflosigkeit Geplagte seine Stadt und sucht nach Bildern und Geschichten. Am liebsten verlässt er dabei die durchgestylten Schöner-Wohnen-Wohngegenden mit ihren pastellfarbenen Weinläden, Pasticcerien oder Kafferöstereien und lässt sich dorthin treiben, wo „die Häuser grau und die Gehwege uneben und löchrig werden.“ Er spürt dem „Zauber der Peripherie“ nach, lässt sich vom morbiden Charme von „Vergangenheit und Verfall“ faszinieren und sucht nach Orten, „wo sich Zeiten ineinander schieben.“

Das Flanieren durch die Stadt wird durch Kreutzers Job als Manager der riesigen „Lustschlösschen“-Einkaufs-Mall kontrastiert. Der Konsum-Tempel mit seinen gleißenden Warenwelten und einer aberwitzigen Event-Kultur ist die „Fortsetzung der Stadt mit anderen Mitteln“ und weist in eine sterile Zukunft der reinen Retorte.

Der Autor.

Als Irrläufer quer durch die Welt

August Kreutzer wird in seinen Gängen immer mehr zu einem „Irrläufer“, der quer zu dieser Welt und ihrem hektischen Getriebe treibt. Sein Zustand wechselt zwischen bleierner Müdigkeit und geschärften Sinnen, die ihn die Dinge und Menschen um ihn herum mit genauem Blick beobachten und hinterfragen lassen.

Der in Berlin aufgewachsene und lebende Albrecht Selge überzeugt in seinem Debüt mit einer fein geschliffenen und fein sinnigen Wahrnehmungs-Prosa. „Wach“ ist dabei ein ruhiger und von einer melancholischen Fremdheit grundierter Roman, der jenseits der Alltagsroutine einen neuen Zugang zur Welt aufzeigt: sehend, staunend, assoziierend.

Karsten Herrmann

Albrecht Selge: Wach. Rowohlt Berlin 2011. 252 Seiten. 19,95 Euro. Zur Homepage des Autors. Foto: Homepage des Autors.

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