Geschrieben am 5. Oktober 2011 von für Kolumnen und Themen, Litmag

Auf dem Oktoberfest 2011

Unter Bayern

– Aydin Alinejad berichtet für CULTurMAG vom Oktoberfest in München – aus der Küche eines Festzeltes.

„Guten Morgen Deutschland! Guten Morgen Griechenland! Guten Morgen Österreich!“ Nein, das ist nicht das Radio. Es sind unsere Köche, die sich bei Sonnenaufgang gegenseitig begrüßen. Ein bekannter Geruch steigt mir in die Nase. Es ist das Parfum meiner Tante, die seit 40 Jahren in Kalifornien lebt. Hinter der Wand höre ich eine männliche Stimme: „Morgen Mama!“ Eine weibliche Raucherstimme antwortet: „Guten Morgen Sweety!“ Die Chefin ist da. Sie steht im Gang zwischen Küche und Spülraum. Sie schaut auf die Liste mit der Schichteinteilung und ruft laut die Namen der Spüler, die seit sieben Uhr da sind, darunter auch meinen Namen.

Ich teile ihr mit, dass die Spülmaschine nicht funktioniert. Sie bringt ihr hellblaues Dirndl in Ordnung, dann wirft sie einen Blick auf die Riesenmaschine. Sie schiebt die Seitentüre nach oben und fummelt im Duschtunnel herum, bis die Maschine wieder läuft. Bis zehn Uhr, wenn die ersten Gäste kommen, muss alles vorbereitet sein. Es herrscht ein reges Treiben: Die Mülltonnen müssen geleert werden, das saubere Besteck poliert. Mit einem „harsh British accent“ fragt mich einer der Köche, ob ich ihm zwei saubere Einsätze bringen kann. Kaum drehe ich mich um, werden mir mehrere schmutzige Eimer in die Hand gedrückt. „Kollege, kannst du sechs Metzgerkisten holen?“ Das erste schmutzige Geschirr kommt aus der Küche. Die Spülmaschine wird angeschaltet. Das Fließband läuft, die Maschine dröhnt, Dampf quillt aus beiden Seiten des Tunnels.  Durch den ganzen Lärm hindurch, hört man wie die Blaskapelle ihre Instrumente stimmt.

Es schlägt zehn. Kaum sind die ersten Gäste gekommen, spielt die Kapelle „Ein Prosit der Gemütlichkeit“, gefolgt von dem Klirren der Krüge. Für uns Spüler wird es allmählich stressiger. An dem Geschirr kann man erkennen, was gegessen wurde. Weißwurstreste, Knödelsoße, Hähnchenknochen. Wir sind ein internationales Team: Nigeria, Somalia, Äthiopien, Vietnam, Italien, Türkei, Israel, Iran und Deutschland sind vertreten. Die Arbeit läuft auf Hochtouren. Einer setzt das Geschirr auf das Fließband, zwei nehmen es auf der anderen Seite des Tunnels heraus, zwei polieren das Besteck, einer putzt die Spieße und der Rest verteilt das saubere Geschirr in der Küche. Man hat kaum Zeit zum Luft holen.

Während der Arbeit gucken viele Spüler in der Küche vorbei und kommen mit einer Weißwurst oder einem Leberkäse wieder raus. Mir kommt es vor, als würde ständig gegessen werden. Für viele scheint das Essen wichtiger als die Arbeit zu sein. Einer greift sogar zu den Resten, die auf den Tellern liegen. Kaum einer der Spüler könnte sich wohl die Preise im Festzelt leisten. Ab ein Uhr darf das Personal zu Mittag essen. Einige Spüler streiten sich, wer zuerst gehen darf, andere Spüler wiederum muss man regelrecht zum Mittag drängen, da sie pausenlos schuften.

Ich rieche wieder meine Tante. Nun trägt sie ein rotkariertes Dirndl und ist in Begleitung zweier kleiner Kurden, die bei uns im Spülraum das Sagen haben. Der eine stellt sich auf die eine Seite der Maschine und flirtet mit den Kellnerinnen. Den anderen mögen wir lieber, denn er hilft uns bei der Arbeit. Nach einer Weile streikt die Maschine schon wieder. Es herrscht wie immer ein babylonisches Stimmengewirr. Der Vietnamese benutzt überhaupt keine Worte, sondern kommuniziert nur mit Zisch- und Pfeiflauten: „Pscht, kchcht, pfft.“  Der eine Kurde zeigt mit seinem Zeigefinger auf die Seitentüre und schreit: „Kollege, du musst die Maschine putzen!“ Er liebt Befehle. Da er aber alle mit „Kollege“ anspricht, bleibt oft unklar, wen er überhaupt meint. Er schimpft auf Kurdisch. Der Äthiopier schiebt die Türe nach oben. Schaum und Dreck fließen raus. Er murmelt: „Wenn man Geld brauchen, muss man Scheißarbeit.“ Der Somali mischt sich ein: „Schnell, schnell!“ Der hilfsbereite Kurde liebt ebenfalls Dopplungen: „Teller, Teller, Kollege, bitte, bitte.“ Dabei zeigt er auf die Gläser. In seinem Wortschatz ist sämtliches Geschirr „Teller“. Der Israeli behält als Einziger die Ruhe: „Wir müssen die Situation wieder konsolidieren.“ Da bringt der Vietnamese aus der Küche einen großen Teller Kuchen. Die Spülmaschine ist auf einmal Nebensache, das Geschirr kann erst mal warten und alle greifen zu.

Bis zur Hauptbetriebszeit am Abend läuft unsere Arbeit wieder sehr routiniert und reibungslos. Den ganzen Tag werden wir dauerbeschallt durch die Bierzelt-Schlager. Auch die Spüler, die die Texte nicht verstehen, singen mittlerweile bei den Liedern mit. Unter dem Kommando der Chefin – sie trägt nun ein hellgrünes Dirndl mit kleinen Blümchen – wird am Ende des Arbeitstages alles aufgeräumt und die Spülmaschine geputzt. Beim Feierabendbier wird angestoßen: „Prost“, „Be salamati“, „Salute“ …

Aydin Alinejad

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