Geschrieben am 22. Februar 2012 von für Kolumnen und Themen, Litmag

Aus neuen Literaturzeitschriften

Aus neuen Zeitschriften: poet 11

– Interessante Literaturzeitschriften gibt es viele und in ihnen verstecken sich so manche Perlen. „Am Erker“-Redakteur Andreas Heckmann sorgt dafür, dass wir den Überblick behalten; er berichtet regelmäßig über interessante Hefte. Diesmal: poet 11.

Neben Brot-, Wasser- und Schnaps-Rationen gibt es nun auch „Illust-Rationen“, die die staunende Welt dem Duden und poet 11 verdankt, der sein grafisches Ausnahmetalent Miriam Zedelius nicht länger nur die Cover gestalten lässt (diesmal tanzt spitzfüßig, langbeinig und mit weltumarmend ausgestreckten Händen eine Pudelmützenträgerin Sterne jonglierend im kurzen Kleid auf einem offenen Buch und setzt das Wort Leselust betörend ins Bild).

Inzwischen ist der begnadeten Illustratorin auch im Heftinnern eine Spielwiese eröffnet, die sie anrührend mit Leben füllt: mit den gezeichneten Autorenporträts der von Michael Braun und Michael Buselmeier einst im Freitag und nun auf poetenladen.de vorgestellten neuen Folge der Lyrikanthologie „Der gelbe Akrobat“ und mit Skizzen zu den Autorengesprächen und den – neu ins Heft gekommenen – Reportagen aus der literarischen Welt.

Kaum haben die Akrobat-Anthologisten etwa mit Adolf Endlers „Dies Sirren“, Steffen Popps „Fenster zur Weltnacht“ und Dirk von Petersdorffs „Raucherecke“ poetische Perlen präsentiert, fährt die dreihundert Seiten umfassende Ausgabe im Abschnitt „Geschichten“ Herrlichkeiten auf: Markus Orths glänzt mit einem Auszug aus dem unveröffentlichten Roman „Erich, Erich“, in dem drei Männer dem unbescholtenen Ich-Erzähler und Sohn von Hans Cramm mit Giftspinnen auf die Bude rücken. Erich besucht daraufhin den Vater im Gefängnis, der jedoch nur theatralisch niest, bevor er wortlos das Zimmer verlässt. Sollen Vaters Untaten am Sohn gerächt werden? Dem jungen Cramm bleibt wohl nur übrig, auf eigene Faust die dunkle Vergangenheit des Alten zu erforschen, damit das unheimliche Trio von ihm ablässt. Ein albtraumhaft-ödipales Setting, das große Leseerwartungen weckt.

Prima auch Carola Grubers dem Träumen gewidmete Kurzprosastücke unter dem Titel „Mit Bibo, Grobi und Kermit um einen Schweizer See“, vierzehn virtuose Etüden in Abgründigkeit, deren letzte zitiert sei: „An einem Sommerabend sitzt er neben seiner Freundin auf dem Balkon. Er hat den linken Arm um ihre Schulter gelegt und sieht mit ihr gemeinsam in Richtung Sonne, die groß und schwer über dem Horizont hängt, honig- und bernsteinfarben leuchtet, in Rosenblütenwolken gehüllt. Vor ihnen, im Sonnenlicht, tanzen Staubkörner. Hin und wieder greift er eines davon aus der Luft und wirft es sich in den Mund. Nach vier, fünf Körnern sieht er sie an: Isst du denn gar nichts heute Abend?“

In der neuen Abteilung „Reportagen“ erzählt Walter Fabian Schmid allzu hochtönend, fast salbungsvoll von einem Besuch im Lyrik Kabinett München, Europas zweitgrößter Lyrikbibliothek. Auch Katharina Bendixens Bericht aus Stipendiatenhäusern und Künstlerdörfern in Wewelsfleth, Schöppingen und Berlin (LCB) ist etwas zu beflissen, wirkt ein wenig zu sehr nach dem Lehrbuch gestrickt, als dass sich Lesefreude einstellen würde. Anders „Literatur in Kneipen und Cafés“ von Johanna Hemkentokrax, die dem Kaffee Burger in Mitte, Bert Papenfuß‘ Rumbalotte continua im Prenzlauer Berg, dem Helheim in Leipzig-Plagwitz und der Literaturweinstube in Apolda Besuche abgestattet hat und davon atmosphärisch, frech und ohne jede Geschraubtheit berichtet.

Auch die Gespräche mit Schriftstellern zum Thema „Literatur und Zeit“ sind wieder instruktiv: Markus Orths spricht unter der Überschrift „Heute minus zwanzig Seiten geschrieben!“ von der Lust am Streichen; Kathrin Röggla äußert sich zu „Zeitflexibilisierungen und Parallelzeiten“ und zur „rasanten Taktung, die den Ton angibt“; Henning Ahrens korrigiert Vorstellungen von Geruhsamkeit auf dem Lande; der großartige Literatengesprächspartner Jan Kuhlbrodt schließlich tritt mit seiner Frau Martina Hefter in einen sehr persönlichen E-Mail-Dialog, in dem es nicht zuletzt darum geht, wie das Zeiterleben durch Geburt und Heranwachsen von Kindern verändert wird: einer der schönsten Beiträge dieses schönen Hefts.

Andreas Heckmann

poet nr. 11. Literaturmagazin. Andreas Heidtmann (Hg.). poetenladen, Herbst 2011. 304 Seiten. 9.80 Euro. Mehr hier.
(Diese Zeitschriftenschau ist zuerst in unserem Partnermedium „Am Erker“ erschienen).

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