Geschrieben am 20. Juni 2012 von für Kunst, Litmag

Ausstellungsbericht: Der Fotograf Lewis Baltz in Bonn

Ein Amerikaner in Venedig

– Bis zum 2.9.2012 ist in Bonn eine Retrospektive des Fotografen Lewis Baltz zu sehen, zur Ausstellung erscheint die Publikation „Rule Without Exception/Only Exceptions“ im Steidl Verlag. David Kregenow hat sich die Fotos angesehen und den Künstler getroffen.

Lewis Baltz hat den Ruf, zurückhaltend, spröde, wenn nicht gar schwierig zu sein. Woher dies auch immer stammen mag, der Nimbus scheint ihm nicht zu missfallen und er pflegt ihn mit Entschiedenheit, Charme und einem dezenten Unterton an Selbstironie. Auch dem Kollegen von der dpa entgeht dies in der Aufregung und so lässt er sich davon einschüchtern, dass Lewis Baltz zunächst kategorisch ablehnt, überhaupt fotografiert zu werden, um sich dann von ihm auf die gegenüberliegende Seite des großen Ausstellungsraumes verweisen zu lassen, nicht ohne dass ihm vorher noch strikt die Verwendung von längeren Brennweiten untersagt wird. Lewis Baltz zückt seine obligatorische Sonnenbrille mit den tiefschwarz getönten Gläsern und stellt sich für einige genau bemessene Augenblicke in Positur.

Zwei Minuten später ist der Pressefotograf dankbar entschwunden, der Künstler hat die dunklen Gläser wieder abgenommen und entpuppt sich als überaus zugänglicher Gesprächspartner, mit dem es sich vorzüglich über die Vor- und Nachteile von Venedig zu den verschiedenen Jahreszeiten plaudern lässt, darüber, dass Libération die Lieblingslektüre seiner Frau ist und über das Internet als Quelle hartnäckig wiederholter Fehlinformationen.

Lewis Baltz, Foto: David Kregenow

Als schließlich doch noch der Pressetermin beginnt, warten gleich die nächsten zwei Überraschungen. Nach zwei gleichförmig-gediegenen Grußworten kommt Stefan Gronert, der die Ausstellung kuratiert hat, zu Wort. Und schon nach zwei Sätzen wird klar, hier redet jemand nicht nur, weil er muss, sondern weil er sich für das Thema und den Künstler begeistert: jugendliches Engagement, mit Elan und Freude an der Sache, an Stelle von mittelalterlich verbeamteter Selbstgefälligkeit, die sich in elaborierten Worthülsen gefällt. Es macht Spaß, ihm zuzuhören, nicht nur den anwesenden Pressevertretern, sondern auch ganz offensichtlich Lewis Baltz selbst. Und dies ist gleich die nächste Überraschung: Der Künstler findet sich nicht eingereiht in die Phalanx der Laudatoren, sondern er lehnt entspannt an einem der aufgestellten Tische inmitten des Publikums.

Eine Viertelstunde später sind die Damen und Herren von der schreibenden Zunft mit der Kuratorenriege in den weiteren Räumlichkeiten der Ausstellung verschwunden. Wer offensichtlich nicht gedenkt, sich dem offiziellen Tourprogramm anzuschließen, ist Lewis Baltz, der bereitwillig Kataloge signiert und launig kommentiert, dass das Publizieren von Büchern schrecklich anstrengend sei und das anschließende Signieren der mit Abstand angenehmste Teil. Dies nutzt ein bekannter Sportreporter, der auch als Antiquar in einer Domstadt tätig ist, um gleich zwei Rollkofferladungen mitgebrachter Bücher per Unterschrift eine Wertsteigerung verpassen zu lassen – skeptischer Seitenblick: Are you a dealer? Entrüstete Abwehr: Me? No!

Über seine Fotografien verliert Lewis Baltz nicht gern viele Worte. Sein letztes Projekt, eine Auftragsarbeit über Venezia Marghera, entlockt ihm weniger Sätze, als seine Beschäftigung mit Giuseppe Volpi, der nicht nur den dortigen Industriehafen, sondern auch die Internationalen Filmfestspiele gegründet hat. Viel lieber redet er über den Einfluss, den Ed Ruscha auf ihn hatte und seine Wertschätzung für die Arbeit von Kollegen wie Stephen Shore und Walter Niedermayr, die kürzlich ebenfalls in Venedig gearbeitet haben, darüber, dass er immer noch bedauert, nicht schon vor zwanzig Jahren Bilder von Andreas Gursky gekauft zu haben, obwohl sie ihm auch damals schon zu teuer waren, über seine Vorliebe, mit Kleinbildkameras von Leica zu arbeiten, weil er sich anfänglich keinen Assistenten leisten konnte, der ihm das Equipment transportiert und von seiner Freundschaft mit dem deutschen Fotografen Michael Schmidt, die ihn in den 80er Jahren dazu veranlasste, einen Deutschkurs zu belegen und ernsthaft zu erwägen, nach Berlin umzusiedeln, bevor er sich dann doch für Venedig als Hauptwohnsitz entschied.

Wenn man ihm zuhört, mit welcher Begeisterung er über seine Wahlheimat und seine Lehrtätigkeit am IUAV, dem Institut für Architektur an der Universität von Venedig, spricht, über seine Studenten und deren selbstverständliche Nutzung der unterschiedlichsten Medien, über den interdisziplinären Austausch, unter anderem mit Wolfgang Scheppe, der das ebenfalls dort angesiedelte Projekt „Migropolis“ leitet, den Reiz, seiner Tätigkeit an solch einem außergewöhnlichen Ort nachzugehen und sich ganz darauf konzentrieren zu können, ohne den äußeren Druck, dadurch den Lebensunterhalt  finanzieren zu müssen, dann drängt sich unweigerlich die Frage auf, wann und wie er noch dazu kommt, eigene Projekte zu verfolgen. Was zu der Antwort führt, dass er nicht mehr fotografiere. Einerseits hätte er bereits alles fotografiert, was ihm wichtig wäre und andererseits möchte er nicht wie diejenigen Fotografen enden, die einfach immer weitermachen, ohne eine treibende Idee oder das Gefühl der inneren Notwendigkeit. Für ihn wäre fotografisch alles erzählt, mehr müsste nicht sein und überhaupt konzentriert er sich viel lieber darauf, das Leben zu genießen. Und während er sich von offizieller Seite höflich zu einem verfrühten Brunch überreden lässt, fügt er noch hinzu, dass er sich ohnehin nie als Fotograf verstanden hätte – die Fotografie hätte er nur gewählt, weil er weder zeichnen, noch malen könne. Womit er die Legende seines Freundes John Gossage aufgreift, der gerne proklamiert, er fotografiere, weil er nicht tanzen könne.

Lewis Baltz, National Centre for Meterological Research, Grenoble, 1989-1991. Aus der Serie 89/91 Sites of Technology © Lewis Baltz, courtesy Galerie Thomas Zander, Köln

Lewis Baltz verabschiedet sich, zurück bleiben ein leerer, weißer Raum und seine Bilder. Kleinformatige Serien von Schwarzweiß-Aufnahmen, in denen er unaufgeregt und en détail die Isolierung künstlich angelegter Vorstadtsiedlungen (Tract Houses, 1971 / The Prototype Works, 1967-1976) und Industriegebiete (The New Industrial Parks near Irvine, 1974) festhielt und damit zu einem der führenden Vertreter der „New Topographics“-Bewegung wurde. Obwohl dieses Etikett seitdem seinen Bildserien anhaftet, charakterisiert es einen minimalistischen, auf Details gerichteten Stil nur unzulänglich, da er sich, im Gegensatz zu anderen Vertretern dieser sogenannten Bewegung, weder im rein Dokumentarischen verfängt, wie Bernd und Hilla Becher, noch einer zunehmende Uneinheitlichkeit der Wahrnehmung erliegt, wie Robert Adams, sondern seiner Bildauffassung, der ein kritisch fokussierter, quasi spröder Blick zugrunde liegt, konsequent treu geblieben ist. Dadurch haben seine Aufnahmen eine zeitlose Allgemeingültigkeit erlangt, deren Neutralität sich deutlich von den Postkartenmotiven à la Stephen Shores oder dem Rückzug in die Welt eines privaten Familienalbums, wie sie Frank Gohlke betreibt, unterscheidet.

Ganz gleich also, wie Lewis Baltz sich auch bezeichnen mag, mit seinen Fotoserien ist ihm der Brückenschlag zwischen individueller Ästhetik und allgemeingültiger Aussage gelungen wie nur wenigen Künstlern vor ihm. Deshalb werden seine Bilder auch weiterhin ihre Gültigkeit behalten und eben deshalb ist es umso bedauerlicher, dass sich Lewis Baltz von der Fotografie verabschiedet hat, um sich dem Dolce Vita zu widmen. Verdient hat er es sich auf jeden Fall.

David Kregenow

Lewis Baltz Retrospektive im Kunstmuseum Bonn, 10.05. – 02.09.2012, anschließend  (in reduziertem Umfang) in der Kestnergesellschaft, Hannover, vom 14.09. – 04.11.2012.
Zur Ausstellung erscheint die Begleitpublikation „Rule Without Exception / Only Exceptions“. Steidl Verlag Göttingen. 2 Bände, Softcover in Pappumleger, je ca. 180 Seiten, 24 x 33.3 cm, 75,00 Euro. Mehr hier.
Zur Homepage von David Kregenow geht es hier.

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