Die Verlorenheit der Benjamine
– Im Hamburger Mairisch-Verlag ist in diesem Jahr Benjamin Maacks „Monster“ erschienen, ein Band mit Erzählungen, in dem mindestens drei „Benjamine“ eine Rolle spielen. Interview Lounge wollte wissen, warum das der Fall ist und sprach mit Maack über ein mögliches gemeinsames Grundthema seiner Geschichten, Angst- und Glücksmomente beim Schreiben, Kontrollsucht und die Wichtigkeit von Kleinverlagen.
„Monster“ besteht aus vielen längeren und kürzeren Geschichten. Gibt es ein gemeinsames Thema?
Ich mag am liebsten Autoren, die ein Lebensthema haben, das sie immer, immer, immer wieder erzählen. Ich weiß noch nicht genau, was mein Thema ist, aber bei mir kommen oft Geschichten raus, die so ein bisschen düster sind, ein bisschen traurig, wo Menschen sich ein bisschen verloren fühlen. Was das für Rückschlüsse auf mich zulässt, weiß ich nicht so genau, aber beim Arbeiten gehe ich meistens von Bildern aus: Irgendein Motiv, das mir gut gefällt, irgendeine Grundkonstellation und dann versuche ich das anzufüllen und langsam wird daraus eine Geschichte.
Vordergründig geht es um Leute, die nicht so genau wissen, wohin mit sich. Es gibt jemanden, der in den Harz fährt, weil es bei ihm zu Hause nicht so gut läuft und der dort alte Freunde besucht. Es gibt jemanden, der um die Welt reist als Geschäftsmann, aber sich auch so ein bisschen entwurzelt fühlt. Es gibt jemanden, der ein Housesitter ist in einem riesigen Haus, in dem er sich nicht auskennt und auch nicht wohl und heimisch fühlt. Es sind eigentlich immer entwurzelte Charaktere, die gucken müssen, wie sie mit ihrem Leben zurechtkommen sollen.
An der Geschichte mit dem Jungen und Las Casas habe ich wirklich lange gearbeitet und die hat so ein bisschen den Ton angegeben für die restlichen Geschichten. Es ist eine Geschichte, in der es darum geht, Dinge kaputt zu machen, vielleicht auch Dinge aus Versehen kaputt zu machen – und das hat mich interessiert.
Wie kam es zu dem Titel „Monster“? Stand der von Anfang an fest?
Ich brauche immer recht früh einen Titel – was heißt immer: Bei den drei Büchern, die ich gemacht habe, hatte ich immer relativ früh den Titel, weil der Titel auch auf die Art, wie ich das Buch schreibe, abstrahlt. Das Buch heißt nicht ohne Grund „Monster“, denn es macht mir ein bisschen Angst: Ich bin normalerweise ein großer Kontrollfreak und habe das Gefühl, nicht alles in dem Buch 100% unter Kontrolle zu haben.
Die letzte Geschichte, die ich geschrieben habe, war „Atavismen“. Da geht es um einen Jungen, der ein Housesitter in einem ganz großen Haus ist und sich um eine Katze und den Garten kümmert. Die Geschichte hat mir irgendwann große Angst gemacht. Da habe ich so nachts nicht schlafen können oder habe meine Frau, die in Hannover wohnte, angerufen und gesagt: „Ich weiß überhaupt nicht, was ich hier gemacht habe. Irgendwie wächst mir die Geschichte über den Kopf. Da gibt es so einen Jungen und der onaniert nur noch, aber irgendwie kann ich das auch nicht rausnehmen. Das muss irgendwie sein und die halten mich doch alle für irre, wenn das so bleibt.“ Jede Geschichte, die ich mich traue anzufangen, schreibe ich auch zu Ende, ich werfe keine Geschichte weg. Und da habe ich eine Zeit lang Angst gehabt, dass ich etwas mache, was irgendwie zurückschlägt und das etwas passiert, was ich eigentlich gar nicht wollte. Aber am Ende habe ich nun doch eine sehr väterliche Beziehung zur Geschichte und mag sie sehr.
Die Charaktere in „Monster“ heißen alle Benjamin – lässt das auf eine gewisse autobiografische Färbung schließen oder was steckt dahinter?
Die Benjamine in dem Buch – das bin nicht ich, sondern das sind alles unterschiedliche Protagonisten, die Benjamin heißen. Schon in meinem letzten Erzählband hießen alle Protagonisten Benjamin. Ich hab angefangen, Geschichten zu schreiben, Geschichten auf eine bestimmte Art zu schreiben, die die Protagonisten oft in unangenehme Situationen gebracht hat und das tat mir immer ein bisschen leid. Und auf Lesungen damals – bei den ersten Geschichten habe ich noch nicht auf ein Buch hingearbeitet, sondern die einfach auf Lesungen vorgetragen – da hatte ich immer Angst, dass Leute sagen: „Was für ein Arschloch! Was macht der mit seinen Protagonisten?“ Und dann habe ich mir gedacht, ich muss mich irgendwie vor die stellen. Ich muss den Leuten erklären, dass die Situationen, in die ich die Protagonisten bringe, mir auch keinen Spaß machen, mir auch wehtun und mich auch fertigmachen. Deswegen habe ich damals angefangen, die Protagonisten Benjamin zu nennen.
Das klingt so, als sei das Schreiben für Sie ein recht anstrender Prozess?
Mir fällt das Schreiben unglaublich schwer. Ich schreibe auch nicht besonders gerne. Manche Leute haben so eine Natürlichkeit beim Schreiben. Die springen rein in ihr Thema und sind da auch total gerne, die fühlen sich dann so wie ein Fisch im Wasser. Ein Freund von mir, Michael Weins, erzählt mir oft, wie gerne er schreibt und wie gerne er sich in den Welten, die er so erschafft, aufhält. Ich halte mich da gar nicht so gerne auf, aber ich habe irgendwie das Gefühl, dass ich das machen möchte.
Also es gibt bei mir ganz, ganz wenige Momente, wo ich mich unglaublich freue. So Momente purer Freude, wo mir was gelungen ist, was mehr ist, als ich gedacht hätte. Manchmal ist das auch bei einer Lesung, dass ich eine Geschichte lese und denke: „Wow, die ist klüger als du bist!“ Manchmal lese ich die Geschichte aber auch am nächsten Abend vor und denke: „Äh, was ist denn das für ein Unfug?“ Das Schreiben kann so Momente puren Glücks hervorrufen, aber auch andere Dinge: vor allem lese ich gerne, ich gucke unglaublich gerne Filme, ich lese gerne Comics, ich spiele gerne Videospiele, ich liebe es einfach, dass es so unglaublich viele Geschichten da draußen gibt.
Bei meinen eigenen Geschichten habe ich schon das Gefühl, dass ich sie genau so noch nicht gelesen habe – und ich finde es schön, wenn man selber so gerne Geschichten hört und sich selber so gerne an schönen Dingen berauscht, dass man dann versucht, auch etwas davon zurückzugeben.
Schreiben scheint für Sie eine sehr intensive, bewusste Sache zu sein, „Monster“ wirkt nicht so, als hätten Sie es in kurzer Zeit „runtergeschrieben“ …
Die Arbeit an „Monster“ hat ungefähr drei Jahre gedauert, vielleicht auch ein bisschen länger. Ich arbeite eigentlich fünf Tage die Woche – und vor zwei Jahren habe ich für ein halbes Jahr auf drei Tage reduziert und dann dauerhaft auf vier Tage, um eben schreiben zu können. Ich schreibe viel abends und am Wochenende. Ich habe immer gedacht, man muss ganz lange sitzen und schreiben. Mittlerweile weiß ich aber, ich kann mich so ungefähr eine Stunde – wenn es richtig gut läuft, zwei oder zweieinhalb Stunden – wirklich gut konzentrieren. Oft ist es so, dass ich vorher sechs Stunden rumsitze und Videos im Internet angucke oder Nachrichten-Seiten scanne oder irgendwelchen Quatsch auf Wikipedia recherchiere oder sonst was mache.
Ich bin unglaublich langsam. Es ist immer ein Vortasten. Ganz selten traue ich mich mal, eine Geschichte so runter zu schreiben. Meistens schreibe ich einen oder zwei oder drei Absätze und dann höre ich erst mal wieder auf und denke darüber nach. Und wenn ich wieder anfange, dann fange ich noch mal ganz von vorne an, überarbeite die ersten drei oder vier Absätze und schreibe vielleicht noch einen dazu. Beim nächsten Mal fange ich dann wieder ganz von vorne an.
Bei kurzen Geschichten, von denen es ja auch einige im Buch gibt, geht das noch ganz gut und da bin ich auch immer ganz glücklich über das Ergebnis, weil ich dann am Ende denke: „Jeder Satz steht genau da, wo er stehen soll und ich kenne jeden Satz. Ich weiß, warum der da ist und welchen Rhythmus und welche Melodie der hat.“ Bei längeren Geschichten wie z.B. der ersten Geschichte, die 75 Seiten hat – da hatte ich ein bisschen Angst, dass mir das alles entgleitet, meine ganze Kontrolle über die Geschichten und mit der bin ich auch noch gar nicht so richtig warm geworden. Genau deswegen, weil ich die eben nicht zehn Mal, zwanzig Mal am Stück überarbeiten konnte, sondern weil ich mich dabei ein bisschen auf mein Erzählen verlassen musste. Mittlerweile ist es so, dass viele Leute sagen: „Die Harz-Geschichte überstrahlt alles.“ Wo ich nur sagen kann: „Aber guck doch mal hier diese Dreiseitengeschichte. Ist die nicht makellos?“ Und die so: „Ja, aber da komm‘ ich irgendwie nicht so richtig rein.“
Das Buch ist bei einem „kleinen“ Verlag erschienen, war das eine bewusste Entscheidung?
Dieses Buch hätte wahrscheinlich bei einem größeren Verlag so nicht erscheinen können. Ich hatte ganz kurz Gespräche mit einem Agenten und der hat das Manuskript gelesen und hat gesagt: „Alles schön und gut. Aber das ganze Gemüse zwischen den Geschichten muss raus. Warum heißen die alle Benjamin? Sind das alles dieselben?“ Hab ich gesagt: „Nee.“ Hat er gesagt: „Warum?“ Hab ich gesagt: „Kann ich nicht in zwei Sätzen erklären.“ Hat er gesagt: „Das muss alles so hingeschrieben werden, dass das alles dieselben sind und alle Geschichten müssen ungefähr dreißig Seiten haben.“ Und dann war ich froh, sagen zu können: „Aha, o.k., vielen Dank für die Einschätzung“ – und ich war auch wirklich dankbar für die Einschätzung, weil ich es interessant fand – „aber das ist nicht das Buch, das ich schreiben möchte“.
Deswegen bin ich auch so wahnwitzig dankbar, dass es so viele kleine Verlage gibt, die es ermöglichen, solche Bücher zu veröffentlichen, denn viele Bücher würden einfach nicht entstehen, wenn es diese ganzen kleinen Verlage nicht gäbe, die mutige Programme machen und tolle Sachen rausbringen.
Kerstin Carlstedt, Interview-Lounge
Benjamin Maack: Monster. Mairisch 2012. 192 Seiten. 16,90 Euro.