Lesen in milder Bergluft
– Rückschau auf den 7. Literaturwettbewerb Wartholz (14.–16. Februar 2014). Von Senta Wagner.
Reichenau an der Rax kann weit weg sein – am weitesten hatten es die Autoren aus Berlin und Hamburg, einer kam sogar aus London, hinein in den tief in den ostösterreichischen Landen gelegenen Marktflecken. Links und rechts und rundherum stehen bewaldete, kahle und schneebedeckte Berge still. Die Luft muss die beste sein, Reichenau hat eine lange Tradition als heilklimatischer Luftkurort. Stichwort: Sommerfrische. Aus dem Kurort ist mit ein paar Buchstaben schnell ein Kulturort gemacht, der Reichenau ebenso seit zwei Jahrhunderten ist.
Wenn es in Reichenau um die Literatur geht, muss die Bergwelt außen vor bleiben, dienlich höchstens als Kulisse. Vergangenes Wochenende fand dort bereits in siebter Auflage der Literaturwettbewerb Wartholz statt. Das bedeutete für zwölf Autorinnen und Autoren (Teilnehmer siehe Vorbericht) antreten zum Wettlesen. Zwanzig Minuten, zehn Seiten. Alles fängt aber an mit dem Anfang – der Sichtung von 686 Einsendungen aus dem gesamten deutschsprachigen Raum durch die vierköpfige Vorjahresjury (Foto).
Der Literaturpreis Wartholz ist begehrt gerade auch bei Jungautoren und zieht seine Kreise, sehr zur Freude der Gastgeber. Die Teilnehmer schätzten besonders die Anonymität des Auswahlverfahrens, sagen sie. Wie ein Mini-Klagenfurt, schwärmt Autor Hinrich von Haaren. Ferner gibt es beim literarischen Genre keine Vorgaben. So kam es, dass in dieser Runde ein vielschreibender Romancier wie Markus Orths ebenso nominiert wurde wie Andreas Thamm, ein Mitte 20-jähriger Student der Schreibschule Hildesheim, und es zum Beispiel nur einen einzigen Lyrikbeitrag gab neben elfmal Prosa. Kurz: Es stehen die Texte im Mittelpunkt und nicht der Autorenglanz auf dem Literaturmarkt. Wartholz liefert ein Bild der Literatur der Gegenwart in all seinen Facetten, es werden rundheraus Geschichten erzählt, die schön, bisweilen kunstvoll komponiert sind und in ihrer Kürze verdichtete Ausschnitte einer Wirklichkeitserfahrung darstellen. An den Themen Kindheit und Jugend arbeiteten sich dabei gleich ein paar Autoren ab. Gerade die kurze Form ist eine Herausforderung für die Schreibenden. Dies zeigte sich besonders bei dem kleinen ambitionierten Wettbewerb im Wettbewerb, wo fünf Studenten der Universität für angewandte Kunst Wien (Institut für Sprachkunst) ihre nur eine Seite langen Texte vor zwei Jurymitgliedern lasen und danach bewertet wurden. Man kann sagen, eine Herausforderung für beide Seiten.
Was gefällt, was gelungen ist
Behaglich richteten sich also für drei Tage die Teilnehmer, Jury und Publikum sowie Veranstalter im Literatursalon Wartholz ein. Man war irgendwie unter sich. Die erste Talentprobe lieferte Ann-Sophie Reitz (geb. 1994) ab, die Erste nach der Auslosung der Lesereihenfolge und die Zweitjüngste. Mit einigem Entzücken las sie ihre archaisch anmutende Geschichte einer „Ferienfamilie“. Ein Text, der „gefällt“, der „gelungen ist“, der im Prinzip durchgewinkt wurde. Das Bewertungsprozedere ist bekannt: Innerhalb weniger Minuten müssen die Juroren ihre Meinungen kundtun, im Verlauf der Veranstaltung herrschte Einstimmigkeit, Unstimmigkeit, Ratlosigkeit, kaum einmal gab es Scharmützel. Wenn doch, wurde die Diskussion abgebrochen und es ging weiter und dahin. Bis hin zu Länderpartien, die sich der starken Mehrheit des Norddeutschen verdankten und Kritikerin Ina Hartwig etwa für das österreichische Idiom eines Adi Traar einnahmen, wie andererseits die Wiener Jurorin Ruth Beckermann an den Vorträgen von Christian Ritter und Stephan Groetzner großen Gefallen fand. Der gebürtige Schweizer Kritiker Stefan Gmünder sparte nicht mit Einblicken in die Gemengelage der Schweizer und vor allem ihre sprichwörtliche Humorlosigkeit („Don’t be happy, be worry.“).
Einfach hinsetzen und anfangen zu lesen, war manch einem Autor nicht der passende Weg. Man griff zur kurzen Vorrede, wo Franz Miklautz fremdsprachige Begriffe erläuterte oder Ritter das Publikum ums Zuhören statt Mitlesen bat. Stefan Beuse machte auf multimedial und spielte bei seiner Lesung einen Song per Handy ein. Gefiel, überzeugen konnte er nicht restlos, sein Romanauszug aus Kinderperspektive bekam den Stempel Jugendliteratur: „Jugend forscht“ (Nüchtern), Beckermann deutete „Sehnsüchte nach heiler Kinderwelt“, Stefan Gmünder bedankte sich dagegen persönlich bei dem Autor dafür. Solche Auszüge haben es mitunter schwer, wenn sie falsch interpretiert werden. Erging auch Beuses Prosa so. Im glücklichen Fall machen sie neugierig auf das ganze Werk. In die Jugendecke wurden auch die „schnoddrige“ Prosa von Andreas Thamm (s.o.) gestellt und die „Geschwistergeschichte“ der Schweizer Autorin Simone Lappert. Die junge Österreicherin Verena Mermer las ebenfalls einen Romanauszug, der im Schriftbild durch die Kleinschreibung eine deutliche Sprache spricht und seine weibliche Hauptfigur in der Fremde ansiedelt. Hier wurde dagegen ein Generationentext gesehen.
ri-ra-rutsch, knall-auf-fall, hop-pa-la
Viel Ernsthaftigkeit und Melancholie lagen insgesamt über dem Wettbewerb. Die formbewusste und anspielungsreiche Collage von Max Czollek bedurfte der nachgereichten Erläuterungen durch den Dichter. Und auch satirische Anklänge endeten im Ernsthaften, wie Jurorin Hartwig bei der souverän vorgetragenen Geschichte einer „Reinigungspilgerfahrt“ des in London lebenden Hinrich von Haaren bemängelte. Für die anderen war es eine „rundum geglückte short story“. Schließlich durfte auch gelacht werden, Christian Ritter (s.o.) steuerte den „Humortext“ des Wettbewerbs bei und erzählte gleichzeitig eine „tolle Liebesgeschichte“, laut Jurorin Beckermann.
Den Lesereigen beendete der deutsche Schriftsteller Stefan Groetzner (geb. 1965) mit seinem hinreißenden Text [R], einem Werkauszug über „Tote Russen“. Und das ist er auch – der Siegertext. Mit einem Mal leuchtete die Sprache und ihre Musikalität mit dem Kaminfeuer im Salon um die Wette, es knisterte, Lob über Lob aus der Jury. Auch das Publikum atmete hörbar, rückte sich zurecht und erkannte in einer schriftlichen Abstimmung ebenfalls Groetzner den Publikumspreis (2.000 Euro) zu.
Zur Feier des Tages gab es am Abend Eisstockschießen.
Jurybegründungen
„Absurd, poetisch, witzig und schwermütig wird hier mit Traditionsversatzstücken aus der russischen Literatur- und insbesondere Musikgeschichte gespielt … Traumlogisch, kunstvoll und assoziativ nutzt der Autor das gnadenlose Tempo der Märchen, vielleicht auch der russischen Avantgarde, um uns in eine alte Welt zu entführen, die ganz neu erklingt“, so die Juroren Ruth Beckermann, Stefan Gmünder, Ina Hartwig und Klaus Nüchtern in ihrer Begründung. Stefan Groetzner verließ Reichenau mit dem Literaturpreis Wartholz und 10.000 Euro.
Den Newcomerpreis – eine Buchveröffentlichung im Braumüller Verlag – erhielt die 1984 geborene Simone Lappert. Mit „Blaumachtage“ zeichnete die Jury einen Text aus, der „mit emphatischen, aber präzisen Blicken eine Geschichte geschwisterlicher Solidarität erzählt“.
Noch mehr Kunst und Preise
Dezent, aber klar in der Botschaft wurden an dem Wochenende Zeichen für die Gegenwartsliteratur ausgelegt: Wort-Bilder. Unter diesem Motto gestaltete die Landartistin Eva Gruber gemeinsam mit der Batikkünstlerin Andrea Trabitsch die Schlossgärtnerei Wartholz. Neben kleinformatigen Bildern fielen vor allem die Draperien auf der Bühne direkt hinter dem Lesetischchen auf, das Steinarrangement davor.
Bei der Eröffnung wurde darüber hinaus der Preis der Bader-Waissnix-Stiftung an den niederösterreichischen Schriftsteller Thomas Sautner verliehen. Zwei Aufenthaltsstipendien des Bundesministeriums für Unterricht, Kunst und Kultur gingen an die österreichischen Schriftsteller Ronald Pohl und Maria Seisenbacher, die im Sommer zu Gast in Reichenau sein werden.
Senta Wagner
Fotos: Senta Wagner, Wartholz 2014
Den Band Wartholz VII mit den Beiträgen aller zwölf Autoren gibt es über den Kral Verlag zu beziehen (ISBN: 978-3-99024-254-4).
Mehr Infos hier: schloss-wartholz.at