Geschrieben am 16. März 2011 von für Beuse-Classics, Kolumnen und Themen, Litmag

CULTurMAG-Classics: Die Beuse-Kolumnen

Stefan Beuse berichtet von den Erhabenheiten und Fallstricken der Welt. Heute:

Wie Jürgen Drews einmal unser Auto gekauft hat

– Das Auto solle ich verkaufen, sagte meine Frau. Es fahre nicht mehr so gut, außerdem bräuchten wir keines. Es stehe die meiste Zeit nur rum und verursache Kosten. Okay, sagte ich, geh in dein Fitnessstudio. Wenn du wiederkommst, ist das Auto nicht mehr da. Das Auto wird sich in ein Bündel Scheine verwandelt haben, sagte ich wie ein Idiot aus einem idiotischen Film. Meine Frau verdrehte die Augen und verließ das Haus. Sie mag es nicht, wenn ich so rede.

Autoverkaufen geht leicht: Man macht ein Foto, denkt sich einen Preis aus und stellt das Ganze ins Internet. Ich habe das schon dreimal gemacht, es war ganz einfach.

Mit blütenreicher Rhetorik habe ich in der Produktbeschreibung den drohenden Getriebeschaden so zu umschreiben versucht, dass man mir nicht vorwerfen konnte, etwas verschwiegen zu haben. Ich wählte aber auch eine Wendung, die es Interessenten mit nur rudimentären Deutschkenntnissen erschweren würde, zum semantischen Kern des Satzes vorzudringen.

Meine Frau hatte gesagt, ich solle ehrlich sein. Ich dürfe in keinem Fall verschweigen, was der Mechaniker beim letzten Ölwechsel gesagt habe. Der Mechaniker sagte: „Da würd ich keinen Meter mehr mit fahren. Zu 90% ist das Getriebe im Arsch. Besser ihr verkauft das Teil jetzt, damit ihr noch ein paar Kröten dafür kriegt.“

Als es darum ging, den Preis in die Eingabemaske zu tippen, nutzte ich die Option „Durchschnittswert ermitteln“. Diese Funktion erlaubt es, anhand der eingegebenen Daten den Durchschnittspreis vergleichbarer Fahrzeuge auszurechnen. Der vorgeschlagene Verkaufspreis für unser Auto betrug 3254 Euro.

Das ist ein bisschen viel, dachte ich und fügte hinzu: für ein Auto, das möglicherweise bald keinen Meter mehr fahren wird. Außerdem hatte ich ein schlechtes Gewissen wegen meines sprachlichen Tricks.

Festpreis: 850 Euro, schrieb ich. Meine Frau hatte gesagt, sie wäre froh, wenn jemand für diesen Schrotthaufen überhaupt etwas zahle. 850 Euro würden ihr Dollarzeichen in die Pupillen zaubern. Außerdem klickte ich, weil ich ein Fuchs bin, auf das Kästchen neben „Telefonnummer nicht anzeigen“. Wer sich für den Wagen interessierte, konnte ruhig eine Mail schreiben.

Dreiundzwanzig Sekunden später klingelte das Telefon. Herr Yildriz aus Dortmund. Er könne in vier Stunden hier sein, sagte er. Er zahle bar.

Ich wollte gerade fragen, woher er die Nummer habe, als mein Handy klingelte. Zwei Sekunden später klingelte auch die Basisstation unseres Anschlusses.

Die Auskunft, dachte ich. Diese unverfrorenen Leute haben sofort die Auskunft angerufen. Oder es gibt eine Autohändlersoftware, die bei jedem Angebot, das bestimmte Kriterien erfüllt, automatisch eine Belästigungsoffensive startet.

Momentchen, sagte ich zu Herrn Yildriz und nahm die Gespräche zwei und drei an. Mir fiel nämlich ein, dass unsere Tochter allein in der Stadt unterwegs war und anrufen wollte, sobald sie sich auf den Rückweg machte.

Ich sprach nun auch mit Herrn Bülent und Herrn Öger. Allesamt wollten sie aus fernen Städten anreisen, um unser Auto zu erwerben. Ich hatte etwas falsch gemacht. Auf ziemlich durchschaubare Art imitierte ich eine Funkstörung und beendete alle drei Verbindungen. Ich musste nachdenken.

Es klingelte wieder. Es klingelte auf allen Leitungen. Ich legte die Hörer daneben, stellte mein Handy aus und öffnete den Mail-Account. 23 neue Nachrichten. Betreff: „Interesse an Ihrem Auto“.

Ich hätte das Doppelte verlangen sollen, dachte ich, klickte wahllos auf eine der Mails und rief die Nummer darin an.

Herr Ali versprach, am nächsten Morgen da zu sein, das Auto zum angegebenen Preis zu kaufen und bar zu bezahlen. Er komme aus Bremen und müsse vorher nur seine Kinder in die Schule bringen. Herr Ali, sagte ich, Sie kriegen den Wagen.

Ich löschte die Anzeige, stellte mein Handy an und legte die Hörer wieder auf. Unsere Tochter hatte immer noch nicht angerufen.

Das Telefon klingelte. Das Auto sei leider schon verkauft, erklärte ich jemandem, dessen Name wie ein Würgegeräusch klang.

Nee, oder? Vertrag schon unterschrieben? Pass auf, ich fahr jetzt los, ich leg dir’n Tausender auf’n Tisch, ich wohn nicht weit.

Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich sagte: Aber ich habe schon jemandem versprochen …

Komm, das sind professionelle Händler, die ziehen ne Show ab, und wenn denen der Wagen nicht gefällt, wollen sie von dir die Fahrtkosten. Ich steig jetzt in die U-Bahn, okay? In dreizehn Minuten bin ich da.

Okay, sagte ich zu dem Tuten im Hörer.

Neun Minuten später klingelte es an der Tür. Ich hatte gerade zwei Blanko-Kaufverträge ausgedruckt.

Hallo!, schrie jemand ins Treppenhaus, komm runter!

Ich zog meine Jacke an und kam runter.

Er sei der Freund von Yürgsgl, begrüßte mich ein Problemjugendlicher mit Migrationshintergrund. Ist das der Wagen? Er deutete auf den Wagen. Ich nickte.

Steig ein. Wir fahren zur Haltestelle.

Ich setzte mich ans Steuer und ließ ihn auf dem Beifahrersitz Platz nehmen. In mir lief so etwas wie die Quersumme aller Gangsterfilme ab. Ich wollte noch nicht sterben.

Da ist er!

Ich bremste. Yürgsgl kam ums Auto rum. Er sah aus wie das Publikum in Multiplexkinos ab 23:00 Uhr.

Steig aus, ich will fahren, sagte Yürgsgl. Ich stieg aus und ließ ihn fahren. Mir war alles recht, solange ich nur nicht erschossen wurde.

Aaaahh, sagte Yürgsgl und schüttelte den Kopf. Schwergängige Schaltung. Nicht gut. Ich hatte gleiches Auto, weißt du?

Ich nickte.

Meiste Ausländer denken, Deutsche haben keine Ahnung von Auto. Meistens Händler. Export, verstehst du? Machen Versprechen. Aber dann zahlen wenig. Wir sagen: Du schreibst 850, wir zahlen 850.

Hm-hm, machte ich. Von den versprochenen tausend sagte ich nichts.

Plötzlich wurden sie ruppig. Ich solle da vorn an die Tankstelle fahren, der Wagen sei ja schon auf Reserve. Sie rüttelten überall dran rum, öffneten die Motorhaube, sagten „keine Extras, scheiße“. Ich konnte mir denken, worauf das hinauslief.

Vor unserem Haus parkte Yürgsgl in einer Einfahrt. Wo ist der AU-Bericht?, fragte er. Wo sind die Winterreifen? Wo ist der zweite Schlüssel? Das kostet mich morgen bei der Zulassungsstelle 100 Euro!

Yürgsgl machte so ein mafiamäßiges „Und-das-würde-Donnie-wirklich-sehr-sehr-traurig-machen“-Gesicht.

Okay, sagte ich. Achthundert.

Siebenhundertfünfzig, sagte Yürgsgl.

Ich nahm einen der beiden Kaufverträge und das Geld in Empfang: vier Fünfziger, ein Fünfhunderter. Sofort dachte ich an Nepper, Schlepper, Bauernfänger. Und daran, dass an Tankstellen immer „keine Annahme von 500-Euro-Noten“ stand.

Ich hielt den Schein gegen das Licht der Straßenlaterne. Frisch aus dem Drucker, witzelte Yürgsgl. Ich steckte den Schein ein. 200 Euro waren auch nicht schlecht.

Oben angekommen freute ich mich, noch am Leben zu sein. Das Geschmiere auf dem Kaufvertrag war nicht zu entziffern. Weder der Name, noch die Adresse. Ich war wirklich ein Vollidiot.

Das etwa sagte auch meine Frau. Wenn auch mit etwas anderen Worten.

Es klingelte. Unsere Tochter. Da unten seien finstere Typen, die unser Auto aufgebrochen hätten und sich lachend High Five gäben. Meine Frau nahm sie beiseite und raunte ihr irgendwas zu, in dem die Wendung „dein Vater“ vorkam, während ich im Nebenzimmer die Rudimente des Namens auf dem Kaufvertrag googelte.

Meinten Sie: Jürgen Drews?, fragte Google. Da hätte ich auch von selbst drauf kommen können. Jürgen Drews hat unser Auto gekauft!, rief ich, den Kitzel aufschäumenden Irrsinns unter der Schädeldecke. DER Jügen Drews! Jürgen „Ein Bett im Kornfeld“ Drews!

Ich sei ja nicht mehr zu retten, sagte meine Frau. Warum überhaupt die ganze Zeit besetzt gewesen sei, fragte meine Tochter.

Das Telefon klingelte. Es war Herr Ali. Ich hatte ihm eine sms geschickt, dass das Auto schon weg sei. Das könne ich nicht mit ihm machen, sagte er. Mit ihm nicht. Ich werde ihn kennenlernen, er hätte meine Adresse. Dann legte er auf.

Wer war das?, fragte meine Frau.

Verwählt, sagte ich und ging in die Küche, um die Schärfe des Brotmessers zu kontrollieren.

Stefan Beuse

Zur Homepage von Stefan Beuse geht’s hier. Foto: Diana Fabbricatore

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