Backsteinbröselsoundtrack
KiWi (und Der Hörverlag) legt nach: Jetzt, da der Hype um den Unendlichen Spaß abzuflauen droht, erscheint ein Hörbuch. „Ein Buch als Ereignis“ verspricht es und dokumentiert eine Veranstaltung im Kölner Schauspielhaus. Denis Scheck und andere reden, Harald Schmidt und andere lesen. Bloß: für wen und wozu eigentlich?, fragt Gisela Trahms.
Zwei CDs, 170 Minuten, acht Vorleser, zwei Gespräche, zwei Begrüßungen. Mit diesen fängt es naturgemäß an, und wer überlegt, ob er das Hörbuch kaufen soll und probeweise in die Nummern 1 bis 3 reinhört, wird dankend verzichten. Wer ab Nummer 4 der ersten, von Manfred Zapatka gelesenen Textpassage begegnet, dürfte dem Kauf zugeneigter sein. Und wer dann tatsächlich kauft und die Vorleser miteinander vergleicht, sagt: „Wacker, Harald!“ Denn Harald Schmidt, im sogenannten wirklichen Leben nur noch selten ein fellow of infinite jest, ist ja der Star und liest trotzdem gut. Zweiter Platz, würd ich sagen. And the winner is: Michael Wittenborn, ein Ensemblemitglied und nicht halb so berühmt. Völlig daneben, viel zu theatralisch: Joachim Król.
Wie soll man sie lesen, diese Schlangen- und Schlängelsätze, die Fremdwörter- und Neologismus-Orgien, die Exzesse der Eleganz und Vertracktheit? Schnell, unbedingt. Nicht betulich, als sei jedes Adjektiv ein Lutschbonbon. Das Tempo dieser Prosa muss rüberkommen, das Tänzeln, das grenzenlose Vertrauen der Sprache in sich selbst. Wallace überreicht ja nicht die einzelne gelungene Formulierung auf dem Tablett, sondern es zischt und sprüht ununterbrochen und das sprachlich Unerwartete feiert eine Epiphanie nach der anderen, etwa wenn in der von Wittenborn gelesenen Rede Mikeys plötzlich, in rüdester Umgebung, das Wort „beten“ fällt als handle es sich um „fuck“ oder „Fotze“. Und es leuchtet gerade dann, wenn man es, wie Wittenborn, auf genau diese Weise liest.
Die Prosa von Wallace ist nicht frauenaffin
Eigentlich aber fügt das gesprochene Wort, jedenfalls auf diesen beiden CDs, dem geschriebenen nichts hinzu. Es ergibt sich kein Mehrwert. Das Vergnügen beim Lesen ist größer. Da kann man auf den Sätzen balancieren und in die Abgründe schauen, die sie schildern. Die virtuosen Wortkapriolen des Übersetzers Ulrich Blumenbach auskosten. Und für Madame Psychosis (wenn englisch ausgesprochen (unnötig), dann bitte ohne P!) ist eigentlich jede Stimme schon zu viel Materialität, ganz abgesehen davon, dass Wallace’ Prosa nicht frauenaffin ist. Sie verlangt eine männliche Stimme, selbst für die Frauenrollen, ohne Klage sei’s zugegeben.
Hörbücher können durchaus den Lektüregenuss übertreffen. Wenn Thomas Holtzmann Alte Meister von Thomas Bernhard vorliest, ist das erheblich spannender und komischer als der nackte Text; es ist ein Fest der Grantelsprache als Musik. Für DFW haben die Sprecher den Ton noch nicht gefunden, sie zappeln, vergröbern, verheddern sich, allesamt.
Dieser unendliche Spaß ist außerordentlich endlich
Fairerweise muss man sagen: Es ist ja auch ein Live-Mitschnitt, keine Studioproduktion. Die Veranstaltung vom Oktober des letzten Jahres war als Appetizer konzipiert. Ein bisschen Gespräch, zwei Stunden Leseschmankerln und dann an die Tische, Leute, und das Buch gekauft! Dagegen ist nichts zu sagen. Aber was soll diese Dokumentation jetzt? Seit einem halben Jahr regnet es weiße Backsteine auf die Büchertische der Republik und gut ist’s – und KiWi beherrscht die Kunst des Marketing, wir ziehen den Hut. Doch wer ist denn 2010 noch so ahnungslos, um dieser „Einführung“ zu bedürfen? Wem macht es Appetit, wenn Elmar Krekeler immer klingt, als nuschele er seinem Gesprächspartner aus einem weit entfernten Wattebeutel etwas zu? Dieser Spaß ist außerordentlich endlich.
Drei Highlights gibt’s dann doch noch: Ulrich Blumenbach, der dieselbe Wörterfreude, Quirligkeit, Treffsicherheit und Uneitelkeit besitzt wie das Objekt seiner Mühen, der glasklar spricht und pointensicher abbricht. Und, zweitens, die von Verleger Helge Malchow berichtete Erinnerung, dass sich Wallace für Georg Büchner interessierte. Das ist eine Information, die senkrecht in die Tiefe des Textes führt. Und schließlich: zu hören, wie Denis Scheck eine Frage von Krekeler offenbar so töricht findet, dass er ihm eine satte Torheit als Antwort aufs Brot streicht. Aber das ist nur ein Sekundenscherz.
Schön ausgestattet ist das Hörbuch, zweifellos. Das Booklet enthält den Nachruf von Jonathan Franzen auf seinen Freund Wallace, ein Stück Prosa voller Trauer, Empathie und Zuneigung, das schon in dem Begleitbuch zum „Spaß“ zu finden war. Aber letztendlich: Nehmt den Zwanzig Euro-Schein, den das Hörbuch kostet, legt noch einen drauf und kauft das Buch und lest. Bis Wallace seinen Holtzmann gefunden hat, und wahrscheinlich überhaupt und grundsätzlich: traut eurer eigenen inneren Stimme. Lest.
Gisela Trahms
David Foster Wallace: Unendlicher Spaß (Infinite Jest, 1996). Live-Lesung und Diskussion. München: Der Hörverlag 2010. 2 CDs, Spieldauer 170 Minuten. 19,95 Euro.
Foto: © Marion Ettlinger
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