Geschrieben am 20. Mai 2015 von für Kolumnen und Themen, Litmag

David Gray: Als wir schäumten oder: German Mus. Ein Traum

German mutNeulich hatte ich einen Traum.

Mit Bewunderung und zunehmend positiver Fassungslosigkeit folgte ich in diesem Traum den Presseberichten über einen Parteitag. Ich sah dort etwas, was ich schon längst für unmöglich in der deutschen Politik gehalten hatte. Nämlich einen ganz besonderen Begriff. Ich las, träumend, diesen Begriff auf Postern, auf Plakaten, Flyern und sah ihn hinterm Podium groß aufgespannt. Jede Nachrichtensendung brachte diesen Begriff in ihrer Moderation und zeigte ihn mir in ihren Einspielern. Und selbstverständlich verzichtete auch keine der Tageszeitungen darauf, ihn in Wort und/oder Bild zu thematisieren.

Jener Begriff lautete: Mut.

Ein klügerer Mensch als ich, nämlich Karl Krauss, schrieb einst, was Mut wirklich ausmache sei Erwartung, nicht etwa Angst. Erwartung hat etwas mit Sehnsüchten und Zielen zu tun.

In diesem Sinne begriff auch ich die Verwendung jenes Begriffes während dieses (Traum-) Parteitags. Erwartung also, die jedwede – womöglich gierig in irgendeiner Bewusstseinsnische lauernde – Angst übertrumpfte.

In meinem Traum erlebte ich die immensen Auswirkungen, die jener Parteitag im Zeichen des Mutes über Deutschland brachte.

Es war herrlich! Ein Fest!

Denn ich sah Menschen, die sich selbst bei Aprilwetter mit einem Lächeln in den U- Bahnen begegneten, ich sah unglaubliche Innovationen, die aus dem Kreativboden der Städte sprossen, und sowieso und überhaupt war allüberall neue Kraft und Zuversicht zu spüren, die die Menschen wie in einem Rausch erfasste und mitriss.

Im Frühjahr meines Traumes verkündete der Sprecher des Bundesverband Deutscher Gartenfreunde eine enorm verfrühte Biokarottenrekordernte und im darauf folgenden (Traum-) Sommer trug Heidi Klum rote Kleider und verteilte in der Hannoveraner Fußgängerzone kotenlose Schminktipps an jeden, der die wollte.

Im Laufe dieses (Traum)-Jahres tauchten in den Feuilletons Kritiker auf, die die Bücher, die sie besprachen, auch wirklich gelesen hatten.

Am Potsdamer Platz enthüllte man ein Denkmal von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, deren Kopf in Form einer CCTV-Kamera gestaltet war. Die Laudatio hielt der frischgebackene BND-Chef. Er behauptete, dass Sabines eher untypischer Kopf eine Mahnung an ein Zeitalter gegenseitigen Misstrauens darstelle, welches man zutiefst bedauere und inzwischen überwunden habe.

Dies allein hätte ausreichen sollen mich stutzig zu machen. Umso mehr, als ich kurz darauf erfuhr, dass Carmen Nebel, Johannes B Kerner und Beckmann die TV-Showsegel streichen würden und man bei der ARD zur besten Sendezeit statt Klinikschnulzen eine Büchershow zeigen werde, die von Redakteuren verantwortet werden würde, auf deren Kompetenznachweisliste der Quotenvergleich mit RTL und SAT1 in etwa denselben Stellenwert genossen wie die aktuellen Wasserstandsmeldungen des Kongooberlaufs.

Dass selbst in jener neuen (Traum-) Normalität die Bildzeitung existierte, empfand ich fast schon als Überraschung.

Dennoch musste auch durch ihre Redaktionen ein Ruck des Mutes gegangen sein, denn sie machte mit der „Forever-Sorry“-Tour Dieter Bohlens auf. Der sich in einem Exklusivinterview darüber beklagte, dass er sich eine Sehnenscheidenentzündung einhandelte, weil er jedem DSDS-Opfer persönlich solange die Hand geschüttelt und sie umarmt habe, bis die ihm verziehen hätten. Woraufhin man nunmehr plante gemeinsam in Fischerchorstärke aufzubrechen um sich in Stadionevents und via Public Viewing beim Publikum für jede einzelne DSDS-Show zu entschuldigen.

So viel Veränderung, so viel Ruck und Mut, machten mich ganz hibbelig.

Ich zog neugierig weiter durch jenes geruckt verwandelte Berlin.

Ruck oder nicht, ich suchte in dieser Hauptstadt eines neuen (Traum-) Landes nach etwas Vertrautem, einer jener Figuren, denen ich mich fast mein ganzes Erwachsenenleben lang in heißer Hassliebe verbunden fühlte: Einem Exemplar des deutschen Kulturmeckerers.

Die erweiterten Innenstädte von Berlin, München, Hamburg, Frankfurt und Hypezig stellten neuerdings fruchtbare Jagdgründe für jene Spezies dar. So erwartete ich, durch den Prenzlberg schlendernd, recht bald auf prächtige Beute zu stoßen.

Obwohl ich mit vielen potenziellen Kandidaten sprach, fiel meine Ausbeute bedenklich mager aus. Ein Pensionär mit Mercedessternbasecap, beschwerte sich über die verspätete Kirschblüte in Japan, ein Merlot trinkender Obdachloser bejammerte, dass seit dem Mutruck die Zeitungsauswahl in den neuen Obdachlosenunterkünften zu wünschen übrig ließe, man erhielte dort inzwischen die FAZ nämlich nur noch in ihrer Papier, nicht mehr in der reichhaltigeren Digitalvariante.

Allmählich ergriff mich Panik.

Sollte ich schlussendlich doch auf einen negativen Aspekt jenes Mutrucks gestoßen sein, der mein (Traum-) Land so sehr verändert hatte? War es möglich – und / oder gar nötig – die Gattung des toitschen Kulturmeckerers auf der Roten Liste der bedrohten Arten verzeichnen zu lassen?

Das musste der Moment gewesen sein, in dem ich ruckartig erwachte.

Träume, so heißt es, seien Schäume. Doch Träume sind es nun einmal auch, womit Veränderungen beginnen.

Beim morgendlichen Blick in die Zeitung, sprangen mich Bilder vom FDP-Parteitag in Berlin an. Auf diesem Parteitag enthüllte man das neue Motto der Liberalen. Auf sämtlichen Pressebildern prangte es, strahlte in Neonfarben vom Bildschirm herab wie eine Cocktailbarwerbung: „German Mud“.

Ich rieb mir die Augen und las erneut. German Mud – Deutscher Schlamm? Konnte das richtig sein?

Ich rieb noch einmal fester und sah endlich klarer. Was dort in Neongelb leuchtete, hieß „German Mut“. Nicht einmal ein Unterstrich verband die beiden Begriffe miteinander. Und da stand „German“, nicht Deutschland, nicht deutscher, sondern: German.

Eigenartig.

Das neue Motto der FDP inkorporierte zwar diesen einzigartigen, so lange aus der deutschen Realpolitik verbannten Begriff Mut, mit dem in meinem Traum jener Ruck begann, der mein (Traum-) Heimatland so veränderte. Und auch in seiner Rede zum Motto vertrat Parteichef Lindner die Ansicht, Deutschland hätte seine besten Zeiten längst noch nicht hinter sich. Alles was es brauche sei – eben Mut und ein Ruck und weg mit den Kulturpessimisten und Neinsagern und Kleingeistern. Und her mit einem neuen einheimischen Selbstverständnis, das sich darin äußert, dass man auf deutschen Amtsstuben endlich flächendeckend Englisch als zweite Amtssprache einführte, die Steuern zur Flat-Tax vereinfachte und jeder Fleißige es allein schon durch seinen Fleiß verdiente glücklich zu werden.

Trotzdem kamen mir angesichts dessen nicht etwa unwillkürlich neu erblühte deutsche Gesamtlandschaften in den Sinn, sondern zwei sehr verschiedene historische Persönlichkeiten. Die eine war Viktor Klemperer, die andere Charles Maurice de Talleyrand, der eine unter anderem bekannt als Verfasser eines klugen Buches namens „LTI“, der andere berühmt-berüchtigt als Napoleons mit allen Wassern gewaschener Chefdiplomat und Außenminister mit Hang zum Bonmot.

Talleyrand bekundete Ende des 18. Jahrhunderts, dass Sprache dazu da sei, die wahren Gedanken eines Diplomaten zu verbergen. Klemperer befand im 20. Jahrhundert: „Die Sprache bringt es an den Tag … die Aussagen eines Menschen mögen verlogen sein, im Stil seiner Sprache liegt sein Wesen hüllenlos offen.“

Ich fragte mich, was man da wohl mit dem neuen FDP-Motto nach Talleyrand verbergen mochte, indem man es – paradoxerweise – nach Klemperer womöglich eben dadurch gleichzeitig enthüllte.

Mir wurde klar, das, was man da bei der FDP sowohl verbarg wie offen legte, war: Geringschätzung.

Eine Geringschätzung den Menschen gegenüber, von denen Herr Lindner und dessen Parteigranden zwar gewählt werden wollen, aber deren Alltagssprache man bereits im Parteislogan vergewaltigt. Denn was sollte jener „German Mut“ sein? Bezog der sich auf den Begriff der german angst, den einst ein SPD Kanzlerkandidat hin und wieder im Munde führte? Wer sollte diesen Gedankensprung machen? Der 56 jährige Ostcottbuser Streifenpolizist etwa, von dem Herr Lindner laut FDP Parteiprogramm erwartete, dass er demnächst in seiner Amtsstube fließend englisch sprach? Die Kulturpessimisten von denen er in seinen Reden behauptete, sie hätten immer noch zu viel Einfluss in der deutschen Geisteslandschaft?

Was, fragte ich mich, konnte einer Partei das Wahlvolk schon wert sein, wenn sie es nicht einmal für angebracht hielt, in ihrem Wahlslogan dieses Volk auch in dessen eigener Sprache anzusprechen?

Nichts. Oder zumindest – nicht viel.

Was konnte dieser Partei und ihren PR-Strategen die Kultur wert sein, die dieses Wahlvolk geprägt hatte? Etwa weniger als nichts. Nämlich gar nichts?

Ich beschloss Kaffee zu kochen und dann Zigaretten zu kaufen.

Der Ruck, den ich in meinem Nachttraum sah, würde noch länger auf sich warten lassen. Trotzdem finde ich nach wie vor, dass Mut ein Begriff ist, der durchaus gebraucht werden würde, in der deutschen politischen Kultur.

Schon wieder ein Traum dachte ich – ein Tagtraum.

Auf dem Weg zum Zigarettenautomaten kam mir in den Sinn, vor welcher Kulisse ich Herrn Christian Lindner bei einem seiner nächsten Wahlkampfveranstaltungsmengenbäder gern sehen wollte: In einer Douglas Filiale. Einer, in der man den früheren Firmenwerbeslogan noch nicht überpinselt hatte: Come in and find out.

David Gray

Zuletzt von David Gray erschienen: Kanakenblues. Roman. Pendragon 2015. 376 Seiten 12,99 Euro. Foto: Samira Schmäh.

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