Geschrieben am 1. Dezember 2010 von für Litmag, Porträts / Interviews

Der LitMag (Neo)Klassiker-Check: Harold Pinter

Pinter, Foto: Martin Rosenbaum.

Harold Pinter 1960: Durchbruch mit dem Hausmeister

– Nach den Einaktern „Das Zimmer“, „Der stumme Diener“ und seinem ersten abendfüllenden Stück „Die Geburtstagsfeier“ (1958), das auf großes Unverständnis stieß und nach nur einer Woche abgesetzt wurde, steckte Harold Pinter in einer Krise. Der große künstlerische Durchbruch gelang ihm dann vor 50 Jahren mit „Der Hausmeister“. Peter Münder mit einem Check dieses Theater(Neo)Klassikers.

Was für ein Flop! Sechs Zuschauer in einer Vorstellung, Gesamteinnahmen nach einwöchiger Spielzeit der „Birthday Party“ am Londoner „Lyric Theatre“: Genau 260 Pfund, elf Shilling, fünf Pence – und dieses Fiasko hatte Harold Pinter (1930-2008) damals im Mai 1958 selbst miterlebt. Er hatte sich beim Besuch einer desolaten Donnerstags-Matinee gegenüber einer Platzanweiserin als Autor des Stücks geoutet und wurde von dieser daraufhin mit barmherzigsten Mitleidsbekundungen überschüttet. Im Stück mutiert die einfältig zelebrierte Geburtstagsparty in einer kleinen Pension zum irritierenden, aggressiven Kreuzverhör, als die unberechenbaren Typen Goldberg und McCann auftauchen und den simpel gestrickten Gast Stanley als lallenden Krüppel wegschleppen – Endstation Klapsmühle. „Was das alles bedeuten soll, weiß nur Mr. Pinter“, schrieb der Manchester Guardian damals, „denn seine Figuren produzieren nur unausgegorenes Geschwätz und das Gelalle von Irren“.

Dass sich der experimentierfreudige Harold Pinter, der sich damals auf Hörspiele, Gedichte und Einakter kaprizierte, nicht völlig entmutigen ließ, lag wohl an einer euphorischen Besprechung des Sunday Times-Kritikers Harold Hobson, die allerdings erst nach der Absetzung des Stücks erschien: „Mr. Pinter besitzt das originellste, verstörendste und faszinierendste Talent in der Londoner Theaterwelt“ hatte Hobson kurz und bündig befunden.

Ein Fest für „Prokrastinations“-Liebhaber

Was für ein Triumph dann zwei Jahre später, als im kleinen Londoner Arts Theatre „The Caretaker“ mit  Donald Pleasance als obdachloser Tramp Davies aufgeführt wurde! Eine überschaubare Dreipersonen-Konstellation, ein versifftes Messie-Zimmer vollgestopft mit Müll und Trödel, das der gutmütige, aber nach einer Elektroschocktherapie leicht retardierte Aston dem hilflosen Davies als Bleibe anbietet. Und dann dieses intrigante Gezänk, als Astons Bruder Mick auftaucht, der diese Bude zum todschicken Penthouse umbauen will und schon von eingefahrenen grandiosen Renditen träumt. Eindrucksvoll und damals noch ungewöhnlich die grotesken verbalstrategischen Manöver, mit denen alle ihre Schwachstellen kaschieren wollen (Aston:„Wo bist du geboren?“- Davies: „Wie meinst du das?“). Der „Caretaker“ ist außerdem ein wahres Fest für „Prokrastinations“-Theoretiker (damals war der Begriff noch unbekannt): Davies will seine Verhältnisse ordnen, endlich seine Papiere aus Sidcup holen und einen Neuanfang wagen – doch er schwadroniert und nörgelt nur und findet jeden Tag neue Vorwände (unpassende Schuhe, schlechtes Wetter!), um diese Expedition ins Never-Never-Land wieder hinauszuzögern – die Lebenslüge lässt grüßen. Aston träumt von einem prächtigen Schuppen im verwilderten Garten, den er eines Tages bauen will – aber erstmal muss er sich das Projekt noch gründlich durch den Kopf gehen lassen. Und Mick, der angehende Penthouse-Prinzipal, kann zwar alle Nuancen von Teakholz und Teppichboden im elaborierten Vertreter-Jargon beschreiben, aber mit praktischen Umsetzungen seiner Pläne hat er nichts am Hut. Diese Vermeidungs-Strategien erinnern zwar an Ibsen oder O´Neill´s „Der Eismann kommt“, doch dem Schauspieler und Dramatiker Pinter gelingt es in seinem wohl besten Theaterstück, kurz und präzise die Wünsche und Ängste, den Neid und Egoismus des Trios dramatisch zuzuspitzen und so eindringlich mit komischen Effekten zu garnieren, dass Davies´ Rausschmiss zum tragischen, berührenden Exodus aus dem gelobten Land wird.

„Dichter des Mail-Order Katalogs“

Den später so extensiv beschworenen, neuartigen Pinter-Jargon hatte der Dramatiker hier so grandios entwickelt, dass er bald zum unverwechselbaren Markenzeichen wurde: Banalste Alltagsutensilien wie Sägen, Holzdielen oder Elektrostecker werden so detailliert und mit geradezu lyrischer Intensität beschrieben, beschworen, kultisch verehrt, dass Pinter bald als „Dichter des Mail-Order Katalogs“ bejubelt wurde.

Identitätsproblematik und elaborierte Vermeidungs- und Verbalstrategien, das rhetorische Abtauchen in einen an Tschechow erinnernden Subtext – all das, was Pinter hier so eindrucksvoll gestaltete, variiert er dann phantasievoll in seinen späteren Dramen „Die Heimkehr“ (1965), „Alte Zeiten“ (1971) und auch noch in seinem letzten Stück „Celebration“ (2000).

Der künstlerische Durchbruch mit dem „Hausmeister“ markierte 1960  eine grandiose, eindrucksvolle Wendemarke: Nach dem Transfer ans „Duchess Theatre“ ins Westend gab es 444 Vorstellungen, triumphale Begeisterungsstürme, überschwängliche Kritiken und die Auszeichnung mit dem DSE-Award als bestes Stück des Jahres. Pinter spielte während der letzten vier Wochen dieser grandiosen Inszenierung von Donald McWhinnie selbst den maliziösen Möchtegern-Restaurator Mick; sein Stück wurde zum Bühnen-Klassiker, der in Paris, Madrid oder New York genauso erfolgreich war wie in Buenos Aires oder am kleinen Hamburger Zimmertheater, wo man die drei männlichen Protagonisten mit einer reinen Frauenregie besetzte und die Prinzipalin Gerda Gmelin den Davies spielte.

Harold Pinter (rechts) mit Donald Pleasance

Aufwühlende Eindringlichkeit

Mit dem legendären Mimen Donald Pleasance verband Pinter dann nach der Verfilmung des „Caretaker“ eine besonders enge Freundschaft- und bei den „Caretaker“-Dreharbeiten (er schrieb das Drehbuch) entdeckte er auch seine neue Liebe, nämlich den Film und das Drehbuchschreiben. Insgesamt 24 Drehbücher hat Pinter verfasst, darunter so erfolgreiche wie „Accident“, „The Go-Between“, „The French Lieutenant´s Woman“, aber auch so banal-aufgeblasene wie„Turtle Diary“ oder „The Last Tycoon“.

Sein politisches Erweckungserlebnis, das ihn so stark prägte und ihn mitunter zum verbohrten Agitprop-Kommissar und politisch korrekten Rächer aller Enterbten dieser Welt werden ließ, hatte Pinter übrigens während seines Türkei-Besuchs 1975, als er zusammen mit Arthur Miller im Auftrag des PEN in türkischen Gefängnissen politisch verfolgte Schriftsteller besuchte. Aber das ist wieder eine andere Facette in der vielschichtigen Vita dieses unangepassten, kritischen Künstlers, der dann 2005 – wohl für seine konsequenten Hasstiraden gegen die Kriegstreiber Bush und Blair – mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde. Die aufwühlende Eindringlichkeit und die überwältigende Empathie, mit der Pinter seine „Caretaker“-Außenseiter beschrieb, hat er in seinen überaus politisch-korrekten und dementsprechend langweiligen späteren Stücken („Bergsprache“, „Noch einen Letzten“) jedenfalls nicht mehr gezeigt.

Peter Münder

Peter Münder hat über Harold Pinter promoviert und eine bei Rowohlt erschienene Monographie veröffentlicht: PM: Harold Pinter. Reinbek: rororo 2006. 160 Seiten. 8,50 Euro.
Sehr umfangreiche Informationen finden Sie auf der Seite: HaraldPinter.org
Foto: Martin Rosenbaum, Nobelprize.org
Video: Harold Pinter bei Charlie Rose, 19.7.2001