Schwarze Orangen
– In den USA auf Weltniveau gehoben, hierzulande hingegen wartet man immer noch auf einen Band mit Übersetzungen von Gedichten eines der wichtigsten zeitgenössischen Schriftsteller Serbiens, Milan Dordevic. Von Carl Wilhelm Macke
Die diesjährige Leipziger Buchmesse widmet sich besonders der serbischen Literatur. Einige der auch bei uns bekannten Schriftsteller wie David Albahari (der inzwischen in Kanada lebt), Dragan Velikic, Bora Ćosić oder Biljana Srbljanović werden aus diesem Anlass auf der Messe oder im Rahmen von Lesungen in der Stadt Leipzig präsent sein. Es wird Gespräche mit ihnen geben, man wird sie in Fernsehsendungen vorstellen. Dass so wenigstens für die kurze Zeit einer Buchmesse die neuere serbische Literatur auch im deutschensprachigen Raum zur Kenntnis genommen wird, ist lobenswert und verdienstvoll. Ein bedeutender serbischer Schriftsteller aber wird nicht nach Leipzig kommen. Weder wird er aus seinem Werk vorlesen noch wird er für Gespräche in den Fernsehstudios zur Verfügung stehen. Es sind keine politischen oder sonstigen Verstimmungen, die ihn daran hindern, nach Leipzig zu kommen. Milan Dordevic hatte vor einigen Jahren einen schweren Verkehrsunfall und seitdem fällt ihm das Gehen sehr schwer. Längere Aufenthalte außerhalb seiner Wohnung kann er sich einfach nicht mehr zumuten. Wider Willen hat ihn das Schicksal zu einem „Writer In Permanent Residence“ gemacht. In Leipzig wird einer wie er fehlen.
Reaktion auf die Dinge dieser Zeit, der Geschichte, der Politik
Abgesehen von der Publikation einiger Gedichte in der Literaturzeitschrift Akzente (5/2009) ist Dordevic bislang kaum bekannt im deutschen Sprachraum. Alida Bremer, eine der derzeit vielleicht wichtigsten Übersetzerinnen serbokroatischer Literatur in die deutsche Sprache, zitiert in dem ebenfalls in Akzente veröffentlichten Porträt von Milan Dordevic einige Kenner der literarischen Szene Serbiens. Und über Dordevic findet zum Beispiel der amerikanisch-serbische Schriftsteller Charles Simic Worte, die den Wert der Poesie von Dordevic sogar auf ein Weltniveau heben: „Dordevic is a major world poet and also the best living Serbian poet at the moment.“ Ähnlich äußerte sich auch der in Deutschland durch verschiedene Romane bekannt gewordene Schriftsteller Dragan Velikic auf die Frage, welchen zeitgenössischen serbischen Lyriker er für eine Übersetzung in die deutsche Sprache empfehlen könne: „Auf jeden Fall Milan Dordevic.“ In Unkenntnis der serbischen Sprache seien an dieser Stelle Passagen aus dem Porträt von Milan Dordevic angeführt, die wir Alida Bremer verdanken:
In den Gedichten von Dordevic wird immer „seine Ironie spürbar, sein Umgang mit der Wirklichkeit, die er immerfort notiert, reflektiert und beschreibt, sein klarer Bezug zu historischen und politischen Ereignissen, die eindeutigen Worte, die er für sie findet, seine sinnliche, farbenfrohe Sprache, die Neigung zu klassischen Tropen und Figuren anstelle einer modernistischen Verschlüsselung der Sprache, sein Verhältnis zum Körper, seine Nomadennatur, die vor allem die Beschreibung der Städte, die er besucht hat, mit sich bringt, aber auch sein Gespür für die Natur, seine lyrischen Episteln, die er immer wieder an Schriftstellerkollegen richtet, immer lebhaft im Kontakt, obwohl – wie er selber dichtet – in einer Wüste oder auf einer Insel lebend. Die Wüste und die Insel befinden sich inmitten der Großstadt – Belgrad –, der er viele Gedichte widmet. In einem Gedicht sagt der von den Ereignissen der neunziger Jahre enttäuschte Dichter: „Ich bin müde von den Belgrader Straßen,/ die in Finsternis getauchten Höhlen ähneln,/ müde von der Betrachtung schrecklicher Gesichter,/ der grauen Sonne und der Eigelbe der Glühbirnen.“ In einem Gespräch habe Milan Dordevic einmal sein Schreiben gegen jede Form politischer Vereinahmung verteidigt, diejenige des serbischen Nationalismus im Besonderen: „Meine Poetik steht der Idee der Verbindung zwischen dem Ästhetischen und dem Ethischen nahe. Das bedeutet eine Reaktion auf die Dinge dieser Zeit, der Geschichte, sogar der Politik. Es ist nicht wichtig, dass der Schriftsteller in jenem Sinne engagiert ist, wie es linksorientierte Menschen gerne einfordern, aber ich denke, dass es nötig ist, dass er nicht lügt, dass er Dinge nicht mystifiziert, sondern dass er sie betrachtet, so wie sie sind.“
Frauen und Sprache als Quelle des Glücks
Dordevics lyrische Welt, so schreibt Alida Bremer weiter, „ist bevölkert von Frauen, die nicht bloße Objekte erotischer Phantasien sind, ihre Körper sind Quellen einer niemals endenden Freude und des Glücks – ähnlich wie die Sprache. Zugleich sind die Frauen die besseren Menschen, haben es aber schwer in einer von Männern beherrschten Welt, wie er im Gedicht „Frau“, das der Dichterin Radmila Lazić gewidmet ist, sagt“. Ein Gedichtband trägt den Titel „Reine Farben“ (2002) und ist ein Reiseband, das lyrische Ich wandert durch Städte und Landschaften und durch das Farbenspektrum. Auf den Bildern von Anselm Kiefer sieht der Dichter „vielleicht die endgültige Wahrheit und die wahre Farbe Deutschlands?/ Etwas Scharfes und Schönes wie bei Caspar David Friedrich?/ Die Zerstörung, die Auferstehung aus Asche und Ruinen?/ Die erschreckende Ordnung und die Sauberkeit, die grauenvolle Grenzlinie/ zwischen dem Schwarz der Höhle und dem Weiß der Alpen?“ Dieses Gedicht ist dem kroatischen Dichter und Kunsthistoriker Zvonko Maković gewidmet, einem feinfühligen Kenner des Werkes von Anselm Kiefer.
Orangen, die auch schwarz werden können, wie im Gedichtband „Die schwarze Orange“ (2004), stellen die wichtigste Farbe und die symbolträchtigste Frucht dieser Lyrik dar, sie begleiten den Leser durch alle Gedichtbände. Sie sind vieldeutige Zeichen für Lebensfreude, die durch die Gedichte rollen, voller Saft und Sonne. Die Veränderung ihrer Farbe bedeutet eine Umkehr zur Melancholie, die schwarze Orange wird zum Bild des Todes und des Nichts. Der Dichter, der immer bestrebt ist, Feuer und Eis, Süden und Norden zu „verheiraten“, verbindet im schmerzerfüllten Gedicht nach dem Tod der Mutter Leben und Tod in einem einfachen Satz: „Der Tod wird uns trennen so wie die Geburt.“ So weit einige Auszüge aus dem Dordevic-Porträt von Alida Bremer, erschienen in der Zeitschrift „Akzente“ (5/2009).
Jüngst erschien in den USA ein Band mit Gedichten von Milan Dordevic, „Oranges and snow“, zu dem Charles Simic ein Vorwort schrieb. Im deutschen Sprachraum hingegen wartet man immer noch auf einen Band mit Übersetzungen von Gedichten eines der wichtigsten zeitgenössischen Schriftsteller Serbiens. Eine Übersetzerin ist vorhanden, mit Charles Simic, Dragan Velikic, vielleicht auch Claudio Magris existieren große Namen, die den Band sicherlich dem deutschsprachigen Publikum vorstellen würden. Wie lange soll man noch warten bis die Orangen schwarz werden?
Carl Wilhelm Macke
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