Ich trete zurück
– Sehr geehrte Damen und Herren der Culturmag.de-Redaktion,
hiermit möchte ich mit sofortiger Wirkung meinen Rücktritt als „DeutschCult“-Kolumnist einreichen.
Ich bedauere diesen Schritt und entschuldige mich dafür, dass er so überraschend passiert, zumal Sie vermutlich nicht wissen, dass ich auf Ihrer Website überhaupt eine Kolumne veröffentliche. Dennoch möchte ich meine Gründe darlegen.
Sie müssen wissen: Seitdem ich auf der Welt bin, sind sämtliche wichtigen Trends an mir vorbeigezogen.
Ich konnte nicht mal Furzgeräusche mit der Achselhöhle machen, als ich in dem Alter war, in dem gesellschaftliche Akzeptanz von dieser Fähigkeit abhing. Jetzt kann ich es, nur leider kommt es nicht mehr so gut an.
Ich war zu arm, um Yuppie zu sein und zu reich für einen Prekarier. Ich gehöre zu den wenigen Menschen auf der Welt, die an einem FKK-Stand gebeten wurden, sich anzuziehen. Mein Tamagotchi heult den ganzen Tag. In Leggings sehe ich sehr schlecht aus, und Gisele Bündchen hat mir persönlich verboten, ihre Flipflops zu tragen.
Fast wäre ich Veganer geworden, aber nach langen Jahren des Fleischkonsums erkennt mein Verdauungstrakt kein Gemüse mehr. Zu Demos kam ich immer zu spät, so dass mir nichts anderes übrig blieb, als mit meinem schweren Transparent dem Castor einsam hinterher zu radeln. S/M-Sex wollte ich ausprobieren, aber in meinem Bekanntenkreis brachte ich es leider nur bis zum M/M-Sex.
Nun aber hat der heißeste Trend seit Kindesmissbrauch unter Priestern, ja vielleicht sogar seit der Lederkrawatte begonnen: Der Rücktritt. Und zwar nicht irgendein Rücktritt, sondern der selbstlose Rücktritt, der Rücktritt zum Wohle der Menschheit.
Horst Köhler hat es sofort nach der ersten Kritik getan, damit alle Welt weiß, dass auch Bundespräsidenten Gefühle haben;
Thilo Sarrazin ist aus dem Vorstand der Bundesbank zurückgetreten, um den Menschen zu zeigen: Ja, es ist möglich, sich als Opfer einer Verschwörung zu geben und trotzdem in Ruhe seinen Reichtum zu genießen.
Karl-Theodor zu Guttenberg hat es zögerlich, aber festentschlossen getan, um alle Plagiatoren der Welt zu warnen: Auch mit euch wird man unfair umspringen!
Manche Rücktritte sind so atemberaubend in ihrer Dramatik, dass sie an altertümliche Heldengesänge erinnern.
Der devote BDI-Hauptgeschäftsführer Werner Schnappauf hatte keine Grund, zurück zu treten, hat es nur aus Mitleidenschaft getan, nachdem Rainer Brüderle die Politik Merkels analysierte – ein Akt der selbstlosen Liebe zur CDU, wie eine lebensmüde indische Jungfrau, die sich freiwillig auf den Scheiterhaufen ihres verstorbene, 90 Jahre älteren Ehemannes wirft.
Und Stefan Mappus und Rainer Brüderle? Gleich einem römischen Hauptmann nach der Niederlage ließen sie sich nach der CDU-Wahlpleite auf das eigene Schwert fallen, um zu beweisen, dass immerhin jemand bei der CDU und FDP in der Lage ist, mit seinen Drohungen ernst zu machen, und errangen damit in den Annalen der deutschen Geschichte die Unsterblichkeit.
Während der Rücktritt von Margot Käßmann, um die Schuld anzunehmen, etwas Neutestamentarisches hatte, haftet den Rücktritten, Vortritten, Nebentritten und einfach nur Tritten der Bundesliga etwas vom Alten Testament an.
Ich bin voller Bewunderung für diese großen Geister, die, wenn es hart auf hart kommt, keine Sekunde lang zögern, sich beispielhaft aus dem Staub zu machen. Es gibt keinen besseren Beweis für die Führungsqualitäten eines Menschen, als wenn er weiß, wann er das sinkende Schiff fluchtartig verlassen muss.
Und ich sehe mit gestochener Klarheit, dass dies meine letzte Gelegenheit ist, einen waschechten Trend mitzumachen. Ich muss jetzt schnell handeln. Wenn es soweit ist, dass selbst Angela Merkel, Guido Westerwelle oder gar Dieter Bohlen zurücktreten, dann ist der Trend gelaufen.
Also trete ich zurück, bevor ich einen Grund dazu habe. Und ist das nicht Grund genug? Denn es weiß doch jeder, wer in Deutschland keinen Grund hat zurückzutreten, macht in seinem Job irgendwas falsch.
Doch sollten Sie dieses Rücktrittsgesuch nicht akzeptieren können, biete ich als Alternative hiermit an, stattdessen Harakiri zu begehen. Aber nur, wenn Köhler, Sarrazin, Guttenberg, Schnappauf, Mappus und Brüderle es auch tun.
Hochachtungsvoll,
Eric T. Hansen
Der Amerikaner, Hawaiianer und Wahlberliner Eric T. Hansen lebt seit 25 Jahren in Deutschland und schreibt Bücher über die seltsamen Menschen, die er dort vorfindet, zuletzt „Nörgeln! Des Deutschen größte Lust”. Mehr Info auf der Homepage von Eric T. Hansen. (Foto: Ralf Ilgenfritz)