Das waren noch Zeiten!
– Jetzt, wo das Ende sich abzeichnet, kann man es laut sagen: Ehec … nein, das war kein großer Wurf.
Erste Anzeichen für eine gelungene Massenkrankheit waren ja vielversprechend.
Sie war schick: Es handelt sich immerhin um eine Panikmache, die den Stempel „Bio“ mit Stolz trug.
Auch für eine geheimnisvolle Atmosphäre wurde gesorgt: Aus dem nebeligen, sagenumwobenen Norddeutschland stammten die Gerüchte, dass Kliniken überlastet und Patienten in Panik geraten seien.
Auch, dass der Hype anfangs bis in die obersten Führungsetagen des Landes eindrang, war beeindruckend: Als diverse Parteien im Bundestag so nett waren, sich gegenseitig Vorwürfe an den Kopf zu werfen, sie hätten alles falsch gemacht und wären auch sonst inkompetente Idioten, dachte ich mir: „Da hat sich irgendeine Marketing-Tussi eine Gehaltserhöhung verdient“.
Doch eine Pandemie lebt nicht von Publicity allein.
Das haben die sogenannten Kreativen hinter dem Massendurchfall nicht verstanden. Man muss die Handlung ernst nehmen können. Eine Pestilenz, die den Körper mit schmerzhaften Beulen übersät, das macht Laune. Eine Plage, die über Geschlechtsverkehr übertragbar ist – das ist genial. Ein Virus, das die Opfer, und wenn es zuerst nur Rinder sind, in den Wahnsinn treibt, das lässt niemanden, der ein Herz hat, kalt.
Aber Sprossen?
Stellen sie sich vor, Bruce Willis musste in „Armageddon“ nicht die Welt vor einem riesigen Meteorit retten, sondern von Tür zu Tür gehen, klingeln und die Sprossen auf der Fensterbank in der Küche einsammeln. Das nennen Sie Spannung? Und überhaupt: Gemüse kann man waschen. Wenn James Bond die Welt hätte retten können, indem er den Bösewicht einfach unter die Dusche setzte – kein Mensch würde heute den Namen Sean Connery kennen.
Wo bleibt die Vision von ganzen Städten, deren Bewohner hinweggerafft wurden? Vom Chaos, das ausbricht, nachdem die gesamte Regierung sich im Bunker verschanzt hat und dort trotzdem vom Virus befallen wurde? Von mörderischen Banden, die die durch die Straßen ziehen, auf der Suche nach dem letzten lebenden Menschen, der immun ist, um in der verlassenen Charité schauerliche Experimente an ihm durchzuführen?
Ach, wie ich mich sehne nach den Zeiten, als eine Pandemie noch eine Pandemie war. Zuerst der süffige Unglaube: Mich kann es nicht treffen. Dann der betörende Zweifel: Aber vielleicht doch – habe ich nicht gerade gestern Salat gegessen? Dann das prickelnde Gefühl des erwachenden Horrors, als ich merke, die tödliche Krankheit kommt näher, immer mehr Menschen werden angesteckt, es sind schon drei, ein vierter könnte jederzeit entdeckt werden, vielleicht mein Nachbar! Und dann der todesmutige Affront, wenn ich den Nachbarn im Treppenhaus mutig und entschlossen informiere: „Verzeihen Sie, wenn ich Ihnen nicht die Hand gebe – Sie wissen ja, Pandemie.“
Das waren noch Zeiten!
Eric T. Hansen
Der Amerikaner, Hawaiianer und Wahlberliner Eric T. Hansen lebt seit 25 Jahren in Deutschland und schreibt Bücher über die seltsamen Menschen, die er dort vorfindet, zuletzt „Nörgeln! Des Deutschen größte Lust”. Mehr Info auf der Homepage von Eric T. Hansen. (Foto: Ralf Ilgenfritz)