Obama vs. Merkel
– Selbst in einer Krise bleiben Amerikaner amerikanisch und Deutsche deutsch. Man braucht nur Obama und Merkel anzugucken und wie sie auf die Eurokrise reagieren.
Obama, wie auch die meisten wichtigen amerikanischen Wirtschaftsbeobachter, will, dass Merkel von ihrem harten Sparkurs zurücktritt und viel Geld in Griechenland und sämtliche andere marode nichtsnutzige europäische Länder pumpt. Sie glauben, damit werde die Wirtschaft wieder auf Trab kommen, und wahrscheinlich haben sie auch Recht: Wo Geld investiert wird, gibt’s mehr Jobs, es wird mehr eingekauft, alles kommt wieder in Gang.
Die Deutschen – zumindest Merkel – sehen das umgekehrt: Zu lange, sagen sie, haben diese Staaten unverantwortlich gelebt, mit einem zu großen Sozialstaat, keiner vernünftigen Steuerpolitik und übertrieben populistischen Politikern, die Unrealistisches versprechen und Unangenehmes vermeiden.
Durch den Sparkurs will Merkel dies ändern: Sie will diese Länder zwingen, langfristige Reformen durchzusetzen und die strukturellen Probleme, die zu der Krise geführt haben, ein für alle Mal zu lösen. Vermutlich zu Recht: Denn selbst wenn die Wirtschaft von Griechenland wieder auf Trab kommt, wird sie ohne Reformen irgendwann erneut zusammenbrechen. Also bleibt Merkel hart und pokert hoch.
Egal was passiert und wer am Ende Recht behält: In beiden Einstellungen sieht man einen grundsätzlichen Unterschied im Denken. Wir Amerikaner denken kurzfristig. Obama geht es nur darum, dass die Wirtschaft wieder auflebt, die strukturellen Probleme lassen ihn kalt. Die Griechen sollen selber entschieden, wie sie das Geld investieren. Auch beim Marshall Plan haben wir den Europäern keine Bedingungen gestellt.
Das ist klüger als Sie glauben: Wir Amerikaner akzeptieren etwas, was die Deutschen gern verdrängen: Dass das Wort „langfristig“ eine Täuschung ist. Man kann nie etwas weiter als ein paar Jahre im Voraus planen, seien wir ehrlich. Erinnern Sie sich noch an die Fünfjahrespläne der DDR? Sie waren schon nach fünf Minuten obsolet. War der Zweite Weltkrieg vorhersehbar? Der Fall der Mauer? Der 11. September? Obama selbst?
So versuchen wir Amis in kurzen Zeitspannen zu denken und verlassen uns drauf, dass wir die Probleme der Zukunft dann, in der Zukunft nämlich, lösen können. Stimmt ja auch: Wir können es, und auch die Deutschen können es.
Die Deutschen aber denken anders. Sie wollen alles für die Ewigkeit, darunter machen sie es nicht. Bei jedem Auto, das sie bauen, bei jeder, jeder Entscheidung, die sie treffen, versuchen sie, sämtliche möglichen Vorkommnisse der Zukunft mit einzuplanen (das ist ein Grund, warum es hierzulande so wenige Innovationen gibt – man denkt so lange über Gegenargumente nach, bis man selbst überzeugt ist, es sei nicht machbar).
Auch politisch suchen die Deutschen immer wieder ein „System“ für die Ewigkeit. Sobald der Kapitalismus eine Krise hat, wollen sie ihn rausschmeißen und irgendein anderes System installieren, das endlich richtig funktioniert. Sie glauben an die Maschine, die jede neue Krise überwindet, weil sie perfekt gebaut ist. Selbst wenn sie ein Reich gründen, muss es mindestens … na ja, tausend Jahre halten.
An den Amerikanern und an den Deutschen sehe ich immer wieder, wie wenig politische Ideen von objektivem Denken kommen und wie sehr sie ganz einfach von ihrer Mentalität und ihren Traditionen herstammen.
Deswegen setzt Merkel auf Sparkurs, Reformen und Strukturverbesserungen: Die Griechen sollen ermuntert werden, auch bei sich ein System zu installieren, das nie wieder eine Krise wie die heutige zulässt. Das ist natürlich utopisch, das weiß sie auch, und am Ende wird es auf einen Kompromiss hinauslaufen. Die Frage ist nur: Wird es bis dahin einen Effekt haben? Was passiert, wenn Merkel richtig liegt? Ist es möglich, ein Europa aufzubauen, das stabil und volkswirtschaftlich souverän ist?
Im Moment sieht Europa eher wie ein Haufen verwöhnter Kinder aus, die das eigene Bankkonto nicht verwalten können und ständig nach Taschengelderhöhung schreien. Schafft es Merkel, die Grundlage für ein stabiles Europa zu legen, dann guckt die ganze Welt Europa und vor allem Deutschland mit neuem Respekt an. Und man wird sich fragen: Haben sie vielleicht doch recht, die Deutschen mit ihrem Langfristigkeitsfimmel?
Das will ich sehen.
Eric T. Hansen
Der Amerikaner, Hawaiianer und Wahlberliner Eric T. Hansen lebt seit 25 Jahren in Deutschland und schreibt Bücher über die seltsamen Menschen, die er dort vorfindet, zuletzt „Nörgeln! Des Deutschen größte Lust“. Mehr Info auf der Homepage von Eric T. Hansen. (Foto: Ralf Ilgenfritz)