Päderastie als Waffe
Den Knaben die er im Kino getroffen hatte
gestand André Gide
im Bett oder am Morgen
nach einer durchliebten Nacht:
Du kannst deinen Freunden sagen
du hast mit einem berühmten Mann geschlafen
mit einem Schriftsteller
Mein Name ist François Mauriac
Geradezu „hinterfotzig“ ist der Inhalt des Gedichtes von Erich Fried (geboren 1921 in Wien, gestorben 1988 in Baden-Baden), der vor allem durch seine berühmten und in hoher Auflage verbreiteten Liebesgedichte und seine engagierten, politischen Gedichte (z.B. zum Vietnamkrieg) bekannt und berühmt geworden ist.
Hinterfotzig, weil sich im Gedicht der homosexuelle französische Schriftsteller Andre Gide, der der siebte aus Frankreich stammende Nobelpreisträge (1947) für Literatur war, nach einer „durchliebten Nacht“ seinem Lustknaben gegenüber als Francois Mauriac ausgibt, seine wahre Identität also nicht nur verschleiert, sondern die falsche Identität gleichsam als Waffe zum Rufmord gegen den nicht minder berühmten französischen Schriftstellerkollegen Francois Mauriac einsetzt. Francois Mauriac nämlich, der 1952 als achter französischer Autor mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet wurde, gilt als einer der bedeutendsten und erfolgreichsten französischen Romanciers zwischen den Weltkriegen, als wichtiger literarischer Vertreter der katholischen Soziallehre – und er war verheiratet und vierfacher Vater. Man braucht nicht viel Fantasie um zu vermuten, dass Andre Gide dem erfolgreicheren Schriftsteller“kollegen“ eben diesen Erfolg neidete.
Manfred C. Reimann
Das Gedicht entstammt dem Band: „Darum sollte man im Leben mit dem Dorn nach vorne streben“. Moderne erotische Lyrik. Herausgeber: Manfred C. Reimann, Gesine Karge, Andreas Fischer. Zürich: Walde + Graf 2011. 192 Seiten mit Abbildungen. 19,90 Euro.