„Macbeth“ und die Bilder von Adam Arkapaw
— Von Sonja Hartl.
In der Rezeption des Films gibt es in der Regel eine klare Aufmerksamkeitshierarchie: Am meisten wird über die Schauspieler gesprochen und geschrieben, danach folgen die Regisseure, die weithin als namensgebende Urheber des Werkes gelten. Der neue Film von Quentin Tarantino. Von Naomi Kawase. Oder eben von Justin Kurzel. Nur bei wenigen Filmen scheint diese Regel außer Kraft gesetzt zu sein – beispielsweise werden bei sehr großen Blockbustern wie den neuen Batman-, Superman-, X-Men-, Avengers-Streifen Story und Besetzung gleichermaßen diskutiert – allerdings geht es dabei fast nie um den oder die Drehbuchautor_in. Denn sie kommen in der Aufmerksamkeitsökonomie erst nach den Schauspieler_innen und Regisseur_innen, aber vermutlich noch kurz vor den Kameraleuten, Maskenbildner_innen und Produktionsdesiger_innen. Und bei den Menschen hinter der Kamera gilt, was bei Büchern auf Übersetzer_innen, Lektor_innen usw. zutrifft: Nur wenige haben es aus unterschiedlichen Gründen überhaupt zu einer Berühmtheit gebracht, so dass man ihren Namen kennt. Michael Ballhaus, zum Beispiel, weil er mit Martin Scorsese gearbeitet und als Deutscher „den Sprung nach Hollywood“ geschafft hat; Nick Hornby und Anthony McCarten, weil sie nicht nur Drehbücher, sondern auch Romane schreiben; oder Trent Reznor, weil er Pop- und Filmmusik komponiert.
Auch bei dem neuen „Macbeth“ Film ist sehr viel zu lesen über Michael Fassbender und Marion Cotillard und immerhin noch einiges über Regisseur Justin Kurzel, der sich mit seinen jüngsten Arbeiten langsam einen Namen außerhalb von Australien gemacht hat und voraussichtlich spätestens nächstes Jahr mit seiner Verfilmung des Computerspiels „Assassin’s Creed“– wieder mit Fassbender – endgültig einem großen Publikum bekannt sein wird. Doch gerade bei einem stilisierten Film wie „Macbeth“ sollte viel mehr über die Menschen hinter der Kamera gesprochen werden. Denn es sind die großartigen Bilder, die ihn zu der bisher filmischsten Adaption des Stoffes machen. Und diese Bilder stammen von Adam Arkapaw, einem der interessantesten Kameraleute, dessen Bilder derzeit auf der großen und kleinen Leinwand zu sehen sind. Er ist der Kameramann der ersten Staffeln von „True Detective“ und „Top of the Lake“, von „Animal Kingdom“, „Lore“, „Die Morde von Snowtown“ und nun von „Macbeth“.
Natur in Bildern
In Arkapaws bisherigen Langfilmen als Director of Photography erzählen seine Bilder in oftmals entsättigten Farben eindrucksvoll von der Beziehung des Menschen und der Natur. In „Top of the Lake“ kehrt eine Polizistin in ihr Heimatdorf zurück und untersucht dort das Verschwinden eines Mädchens – sie erscheinen beide aus unterschiedlichen Gründen als Außenseiterinnen in diesem Ort. Arkapaws Bildsprache ist düster, in der Farbgebung dominieren kalte Blau- und Grüntöne, aber immer wieder werden diese kalten Töne durch eine sehr bewusste, oftmals sanft-warme Lichtsetzung durchbrochen. Dabei geht insbesondere der klare Himmel mit dem weichen Licht eine bestechende Verbindung ein (schon im Trailer zu erkennen). Auch in „Macbeth“ vermittelt das Licht die Emotionen – sei es die Erfahrung der Transzendenz bei den Hexen, die zunehmende Verzweiflung von Lady Macbeth oder die Bedrohlichkeit in der Krönungsszene, in der das von links kommende Licht scheinbar die Dunkelheit einer Krone akzentuiert, die jedoch aus Kopfbedeckungen besteht. Hier ist die Leere, die Macbeth im Inneren in der Folge immer stärker empfinden wird, schon im Bild angelegt; eine Leere, die manifester wird, nachdem er die Natur verlassen musste. Fast scheint er in den Gemäuern verloren zu sein.
In noch keiner „Macbeth“-Verfilmung wurde die Natur in Schottland so in Szene gesetzt. Wenn am Anfang des Films der Tod eines Kindes in den rauen Highlands betrauert wird, düstere, blanke Kampfszenen auf matschigen Feldern oftmals in (Super-)Zeitlupe folgen, wird deutlich, dass in dieser naturalistischen Interpretation des Shakespeare-Stücks ein martialischer Kampf auf Leben und Tod stattfindet. Wortlos kommt dieser Anfang daher, ganz vertrauend auf die Bilder von Adam Arkapaw, der die Angst und Verlorenheit in den Gesichtern einfängt. Erst ein Schrei zum Kampf beendet – passenderweise – das Schweigen.
Die Landschaft spiegelt die Seelenlage der Protagonisten wider, deshalb schlagen sich Macbeth und seine Mannen durch blutige Felder, wandert Lady Macbeth wahnsinnig vor Trauer und Selbsthass durch das Moor. Macbeth ist in diesem Film ein traumatisierter Kämpfer, ein unter PTBS-leidender Anführer, Lady Macbeth nicht einfach nur eine Intrigantin, sondern eine Frau, die nicht mehr Mutter ist und diese Lücke nun mit Macht zu füllen versucht, um Herrscherin zu sein. In den wenigen Szenen, die Wärme vermitteln, trauert sie um ihren Verlust – und bittet um Beistand bei ihrem gewählten Ausweg. Sie ist wie ihr Mann eine Verlorene, die in den Weitwinkelaufnahmen von den Bergen und Mooren beinahe verschluckt wird. Dabei verstärkt blauer Lidschatten ihren von den Konventionen gelösten, zunehmend entrückten Eindruck (Make-up u.a. von Jenny Shircore).
Feindliche Umgebung
„Macbeth“ entpuppt sich immer mehr als Studie der Gewalt – und damit knüpfen Justin Kurzel und Adam Arkapaw auch an ihre erste Zusammenarbeit „Die Morde von Snowtown“ an, in dem sie nach den Ursachen einer Mordserie in Australien forschen, bei der eine Gruppe zwölf Menschen ermordet hat. Der Film verankert die Taten in einem Milieu der Perspektivlosigkeit und Verlorenheit, in dem der Jugendliche Jamie aufwächst und den Anführer der Gruppe kennenlernt. Die Aussichtslosigkeit spiegelt sich schon in den fahlen Hautfarben und ausgebleichten Farben wider, in die Arkapaw diese Welt fasst – und durch die brillanten Nachtaufnahmen kontrastiert.
Immer wieder fasst Arkapaw das Aufwachsen in feindlicher Umgebung in Bilder. Deshalb wählt er oft weite Einstellungsgrößen, in denen die Leere im Bild die Verlorenheit und die Beziehungen der Figuren zueinander ausdrückt. In „Snowtown“ ist die Kamera bei Jamies Vergewaltigung durch seinen Bruder distanziert, sie beobachtet sie scheinbar mit Gleichgültigkeit, weil es Jamie selbst nicht in den Sinn kommt aufzubegehren, verweist aber vielmehr auf die Schockstarre angesichts des Übergriffs.
Oftmals ist dann nur eine kleine Verschiebung in der Kameraposition, ein leichter, kaum wahrzunehmender Schwenk, der in diese Bilder eine nuancierte Dynamik bringt. Dabei gelingt ihm eine sehr natürliche Kamerabewegung, die jedoch nahezu perfekt die Stimmung widerspiegelt. Deshalb greift er in den Gesprächen am Küchentisch in „Snowtown“ oder in „Lore“ auf die Handkamera zurück. Gerade in „Lore“ spiegelt sie die Unsicherheit der Protagonistin wider, die sich am Ende des Zweiten Weltkriegs mit ihren Geschwistern zur Großmutter nach Hamburg durchschlagen muss.
Lange Zeit bleibt die Kamera bei Lore und ihrer Schwester meist auf Höhe mit ihnen, dann wechselt sie in die Perspektive des Jungen, ohne dass es forciert wirkt. Vielmehr fängt sie auf diese Weise die vorsichtige Annäherung der Teenager ein.
Martialischer Wahnsinn
Es sind die Nuancen, das Unauffällige, das Adam Arkapaws Kameraarbeit auszeichnet, die sich in „Macbeth“ abermals eindrucksvoll mit Justin Kurzels Regie und der Musik von Justins Bruder Jed zusammenfügt. Dieser Film ergießt Düsternis in den Kinosaal – manchmal ein wenig zu viel. Insgesamt fehlen dem Film Differenzierungen und Schattierungen, abgesehen von den Schlachtszenen auch etwas an Dynamik, zudem verharrt das Bild ein wenig zu lange und oft insbesondere auf Fassbenders Gesicht. Dadurch ist der Kern des Films allzu schnell zu erfassen, drücken repetierte Gewalt und Verlorenheit schwer in den Kinosessel. Aber es sind in ihrer martialischen Konsequenz beeindruckende Bilder. Am Ende der Gewaltstudie steht ein weiterer brutaler Akt, der in Rottöne getaucht ist, die – wie immer Feuer in diesem Film – einen Wandel ankündigen. Er ist die raue, viszerale Inszenierung der finalen, tödlichen Auseinandersetzung und in seiner kompromisslosen Stilisierung eindrucksvoll. Denn hier ist die Gewalt nicht ästhetisiert im Sinne von schön und glatt, sondern sie ist dreckig und verdorben – und es sind diese vor Wahnsinn strotzenden Bilder, die von „Macbeth“ in Erinnerung bleiben.
Adam Arkapaw findet für den Ansatz des Drehbuchs von Jakob Koskoff, Michael Lesslie, Todd Louiso und der Regie von Justin Kurzel die perfekt stilisierten Bilder, in die sich das Produktionsdesign von Fiona Crombie, die Art Direction von Nick Dent und die Kostüme von Jacqueline Durran einfügen – und die durch die Montage von Chris Dickens faszinierend verbunden werden, so dass im Bild immer wieder eine Gleichzeitigkeit dessen zu erleben ist, was in dem Stück nacheinander, im Off oder leeren Raum stattfindet. Daher ist „Macbeth“ ein brutal-filmisches Erlebnis – und Adam Arkapaw ein Name, der den Gang ins Kino lohnt.
Sonja Hartl
Macbeth. Großbritannien, Frankreich, USA. 113 Minuten. Regie: Justin Kurzel. Drehbuch: von Jakob Koskoff, Michael Lesslie, Todd Louiso. Kamera: Adam Arkapaw. Produzenten: Iain Canning, Laura Hastings-Smith & Emile Sherman. Darsteller u.a.: Michael Fassbender, Marion Cotillard, David Thewlis, Paddy Considine, Jack Reynor, Sean Harris, Elizabeth Debicki, David Hayman. Filmstills: Quelle.