Geschrieben am 27. Juni 2012 von für Kolumnen und Themen, Litmag

Gerlachs (Un-)Mögliche Lektüren

Gunter Gerlach über Bücher, die er einfach nicht zu Ende lesen kann – und über die seltenen Ausnahmen, bei denen es dann doch gelingt … Heute: Wiglaf Droste und Tom McCarthy.

Nur den Anfang und das Ende lesen!

„Jede Glosse schmeckt wie ein lecker dekoriertes Gericht!“ Ich schwärme von Wiglaf Drostes neuestem Buch „Sprichst du noch oder kommunizierst du schon?“ „Weißt du, Maja, wenn mir ein Buch richtig gut gefällt, dann muss ich wissen, dass es auch dem Autor gut geht.“ Ich setze mich an den Computer.

Maja nimmt den Kopf aus den Seiten von Tom McCarthys „8 ½ Millionen“. „Wie wär’s mit einer Erhöhung deiner Sozialkontakte, statt im Internet zu recherchieren.“

„Ich kenne den Mann doch gar nicht.“

„Der ist doch oft mit Lesungen unterwegs.“

Leider ist Wiglaf Droste eher in Herbrechtingen und in Hemsbach anzutreffen als in Hamburg. „Unsere Literaturhäuser sind allesamt Schlafmützen, so einen müssten sie doch jedes Jahr im Programm haben“, grummle ich vor mich hin.

„Warum schreibst du nicht auch solche Glossen?“, fragt Maja.

„Das kann nur Droste oder auf seine Art Max Goldt. Ich kann das  nicht.“

„Du bist zu verbissen!“

„Nein, ich bin nicht intellektuell genug.“

„Aber Bücher nicht zu Ende lesen und sich über sie mokieren!“

„Ich gebe es ja zu: Es  gibt einfach Sachen, für die bin ich wohl nicht schlau genug.“

Ich nehme ihr Tom McCarthys „8 ½ Millionen“ aus der Hand. „Dieses Buch, zum Beispiel, ist jetzt als Taschenbuch erschienen. Als es gebunden herauskam, bin ich drum herum geschlichen. Manch Rezensenten vergällen mir ein Buch.“

„Vergällen? Ein Wort aus dem Museum der Sprache?“

„Apropos: Vor kurzem las ich gleich zweimal auf einer Seite der FAZ den Ausdruck: geschmeidige Übersetzung. Was ist das? Ich bezweifle, dass die Kritiker die Bücher auch im Original gelesen haben. Und neulich begegnete mir dieser Ausdruck erneut  Scheint die Runde zu machen.“

„Was ist nun mit Tom McCarthys Roman? Gib ihn wieder her!“

„Epochal, schrieb einer, andere interpretierten ihn, als wäre es keine Belletristik sondern ein Essay über die Wirklichkeit. Sie redeten von poststrukturalistisch inspiriert, von philosophischem Schlüsselroman.“

Sie zieht mit beiden Händen an dem Buch. „Gib endlich her, für so was bist  du zu doof.“

„Ich begreife ja, wie man die Geschichte eines Mannes, der seine Erinnerung inszenieren lässt, so interpretieren kann, aber es ist genau der Punkt, der mich langweilt. Und als der Protagonist eine Party beschreibt, auf der alles langweilig ist, habe ich einen Grund gefunden, das Buch ebenfalls langweilig zu finden.“

„Da bin ich gerade!“ Sie gibt das Buch frei und ich lasse es auf den Boden fallen, um mich darauf zu stellen. „Ich habe mich wahnsinnig geärgert, weil ich einfach bis Seite 90 nicht erfahren habe, wie der Erzähler aussieht, dabei hat er nach einem Unfall eine plastische Gesichts-Operation hinter sich.“ Ich fuchtle mit den Armen, komme mir vor wie ein Schauspieler. Eine Szene auf dem Theater. „Und dann geht er bei dieser Party aufs Klo. Verdammt,  warum betrachtet er sich nicht einmal im Spiegel. Stattdessen entdeckt er einen Riss in der Wand, der allen Kritikern sofort das Symbol für den Riss in seiner Welt ist. Oh, Gott, darf das wirklich so einfach sein?“

„Spiel dich nicht so auf. Komm von dem Buch runter, ich will es weiter lesen“, sagt Maja. „Das Finale soll doch eine wahnsinnige Überraschung bieten.“

„Pah, die Rekonstruktion der Erinnerung muss sich am Schluss natürlich als authentisch, als Wirklichkeit herausstellen.“

„Du hast das Ende gelesen und verrätst den Schluss? Spinnst du, ich will das selber noch lesen!“ Sie stößt mich von dem 300-Seiten-Podest und zieht sich mit dem Buch in ihren Schmollsessel zurück

„Das ist doch nur das Prinzip des Endes“, versuche ich zu besänftigen.

Maja schüttelt den Kopf. „Nur die ersten und die letzten Seiten lesen wie bei einem billigen Krimi! Du alter Kulturbanause bist auch als Rezensent keine Hilfe!“

„Meine Absichten sind redlich. Ich will dir eine mühsame Lektüre ersparen.“

„Wofür?“

„Für Wiglaf Droste.“

Gunter Gerlach

Wiglaf Droste: Sprichst du noch oder kommunizierst du schon? Edition TIAMAT 2012. 191 Seiten. 14,00 Euro.
Tom McCarthy: 8 ½ Millionen. Übersetzt von Astrid Sommer. Diaphanes Verlag 2012. 299 Seiten. 12,00 Euro.

Gunter Gerlach hat zuletzt den Roman „Frauen von Brücken werfen. Händels Münchner Fall“ veröffentlicht. Mehr dazu hier.

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